Im Jahr 2005, als Angela Merkel zum ersten Mal Kanzlerin wurde, war vieles anders als heute. Zum Wort des Jahres wurde damals „Bundeskanzlerin“ gekürt. 2017 ging dieser Titel an „Jamaika-Aus“. Matthias Platzeck wurde 2005 mit 99,4 Prozent zum neuen Vorsitzenden der SPD gewählt. Heute ist er Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums.
Felix Magath trainierte damals den FC Bayern München. Heute wartet er nach seinem Engagement bei Club Luneng in China auf die nächste Anstellung. Und Thomas Gottschalk moderierte damals mit „Wetten dass..?" die Top-Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen. Heute ist er weitgehend vom Bildschirm verschwunden.
Merkel wird zum vierten Mal Bundeskanzlerin
„Bundeskanzlerin" wird in Deutschland gewiss nicht mehr Wort des Jahres, denn Teile der jüngeren Generation dürften sich schon gar nicht mehr daran erinnern, dass Deutschland auch mal einen Mann als Bundeskanzler hatte.
Wenn Angela Merkel (CDU) am Mittwoch (14.3.) vom Bundestag zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt wird, sind 4495 Tage seit ihrer ersten Wahl in dieses Amt am 22. November 2005 vergangen.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann aus Hammelburg fragt sich, was in den zwölf Jahren aus der als „Klima-Kanzlerin“ angetretenen Angela Merkel geworden ist. „Alle ökologischen Themen sind bei Merkel irgendwann auf der Strecke geblieben“, bedauert Rottmann. Für die neue Amtszeit wünscht sich die Grünen-Abgeordnete, dass Merkel „ihre Europapolitik besser erklärt“. Richtig reagiert hat die Kanzlerin, so Rottmann, in der Flüchtlingsfrage im Sommer 2015. „Sie hat unter großem Druck eine Notsituation auf dem Balkan bewältigt. Es ist kurzsichtig, dass sie dafür heute noch angegriffen wird“, sagt Rottmann.
Klaus Ernst: „Seit zwölf Jahren steigt die Armut in Deutschland.“
Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst aus Schweinfurt lobt Angela Merkels menschlichen Zug zu Anfang der Flüchtlingskrise bei dem Ansinnen, Menschen, die ihr Land verlassen mussten, zu helfen. Aber: „Ihre größten Fehler hat sie in der Sozialpolitik gemacht“, ist sich Ernst sicher. „Seit zwölf Jahren steigt die Armut in Deutschland, genau wie der Niedriglohnsektor. Gerade in sozialen Berufen wie den Pflegeberufen bezahlen wir viel zu wenig Lohn und auch die Renten sind in Deutschland viel zu niedrig.“ Angepackt werden muss, so der Linken-Politiker, dass man sich wieder um „die Abgehängten in der Gesellschaft kümmert, sonst stärkt man den rechten Rand“.
4495 Tage Amtszeit: Das sind auch zwei Päpste, vier Bundespräsidenten, fünf Vize-Kanzler (Olaf Scholz wird der sechste) und 19 Fußball-Trainer beim Bundesliga-Dino Hamburger SV, der in all dieser Zeit natürlich in der höchsten deutschen Spielklasse antrat.
Hans Georg Michelbach: Lob für Merkels Management der Weltwirtschaftskrise
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Georg Michelbach ist auch Landesvorsitzender der Mittelstands-Union. Die zwölfjährige Amtszeit der Bundeskanzlerin beurteilt Michelbach sehr positiv: „Zu den wichtigen Leistungen der vergangenen Amtsjahre von Bundeskanzlerin Merkel gehören zweifelllos die rasche Bewältigung der Auswirkungen der Weltwirtschaft- und Finanzkrise, die Rahmenbedingungen für ein stabiles Wirtschaftswachstum, der höchste Beschäftigungsstand und die niedrigste Arbeitslosigkeit in Deutschland seit der Einheit, die Überwindung der Neuverschuldung sowie die deutliche Unterschreitung der Defizitquote des Euro-Stabilitätspaktes bei den öffentlichen Kassen.“
Radu Ferendino, Pressesprecher der IGHK-Würzburg Schweinfurt, möchte nicht die gesamte Amtszeit Merkels kommentieren, aber er hat den Koalitionsvertrag unter die Lupe genommen. „Positiv sind die geplanten Investitionen in eine bessere Bildung und Digitalisierung, auch in die lange vernachlässigten Berufsschulen. Ein großer Schwachpunkt ist der Verzicht auf Steuerentlastungen für hier tätige Unternehmen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem wichtige Standortkonkurrenten die Steuern senken. Wir hätten uns im Sinne der deutschen Wirtschaft insgesamt mutigere Entscheidungen gewünscht."
„Angela Merkel hat in den vielen Krisen während ihrer langen Amtszeit die Ruhe auch in unruhigen Zeiten bewahrt“, sagt Edda Weise, evangelisch-lutherische Dekanin für das Dekanat Würzburg. Dass Merkel aus einem Pfarrhaus stamme, merke man, weil sie immer wieder versucht habe, ihrer christlichen Verantwortung gerecht zu werden, gerade auch in der Flüchtlingskrise. „Eine Aufgabe für die Zukunft wird sein, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu gewährleisten und soziale Gerechtigkeit zu gestalten. Das ist eine große Herausforderung.“
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel aus Gemünden am Main will nicht in die Vergangenheit, sondern nach vorne schauen. „Es wird Zeit, dass wir wichtige Themen anpacken, wie die Parität in der Krankenkasse, also dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder gleiche Anteile zur Krankenversicherung bezahlen“, sagt Rützel. Außerdem stehe das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit auf der Agenda sowie die Grundrente.
Mit Material von dpa
So wird die Kanzlerin gewählt Laut Grundgesetz ist es die Aufgabe der gewählten Abgeordneten, die Kanzlerin oder den Kanzler zu wählen. Abgestimmt wird dabei ohne Debatte und geheim in Wahlkabinen. Der Bundespräsident schlägt dem Parlament einen Kandidaten vor. Rechtlich darf er zwar frei entscheiden, bislang hat er aber meist den Kandidaten der bei der Wahl stärksten Partei vorgeschlagen – in diesem Fall zum vierten Mal Angela Merkel. Bisher folgte der Bundestag immer dem Vorschlag des Bundespräsidenten. Erzielt Merkel bei der Abstimmung am Mittwoch erneut die sogenannte Kanzlermehrheit, also die absolute Mehrheit an Stimmen der Abgeordneten, dann muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie zur Kanzlerin ernennen. Union und SPD haben zusammen 44 Stimmen mehr als für die Kanzlermehrheit nötig sind. Insgesamt sitzen 709 Abgeordnete im Parlament, die Kanzlermehrheit liegt bei 355 Stimmen. Die Union verfügt über 246 Sitze, die SPD über 153. Wenn die Kanzlerwahl beim ersten Mal nicht klappt, folgen weitere Wahldurchgänge. Scheitern sämtliche Versuche, eine Mehrheit zu finden, kann das komplizierte Verfahren in eine Minderheitsregierung oder eine Neuwahl münden. Bisher wählten die Abgeordneten den Kanzler aber stets im ersten Wahlgang. (Quelle Kanzleramt)