Noch heute besitze ich ein aus Rindertalg und -knochen selbst hergestelltes Seifenstück, wie es meine Großmutter bei Bedarf immer wieder neu kochte. Wir Kinder, meine Schwester Barbara und ich, mussten so gut wir konnten, beim Wäschetragen bis zum Main und wieder zurück zur Wohnung mithelfen. Auch auf dem Waschschiff durften wir mit der Wurzelbürste schrubben. Einmal entglitt mir ein Stück Seife in den Fluss. Es war ein großer Verlust und ich wurde ordentlich ermahnt wegen dieser Unachtsamkeit.
Zu Hause angekommen, wurde die Wäsche auf dem kleinen Fleckchen Rasen im Hinterhof zum Bleichen ausgelegt. Nach dem Trocknen bügelten meine Urgroßmutter und meine Oma die Wäsche noch mit einem eisernen Bügeleisen, das mit heißer Kohle bestückt wurde. Auch erinnere ich mich an die Steinkohle- und Brikettlieferungen, die wegen der billigeren Preise im Sommer erfolgten.
Die „Kohlenmänner“ schleppten die Zentnersäcke durch den Hof bis vor das Kellerfenster und schütteten den Inhalt von außen durch die kleine Fensteröffnung in den Keller. Von drinnen versuchte meine Oma, geschützt mit einem Kopftuch wegen des Kohlenstaubs, die Lieferung in einer dafür vorgesehenen Ecke ordentlich auf kleinstem Raum anzuhäufeln. Danach hatte sie den ganzen Tag beim Schnäuzen schwarze Flecken in den Stofftaschentüchern.
Mein Großvater war damals Obmann vom Würzburger Schlachthof. Einmal in der Woche, ich glaube dienstags, war Großschlachtung. Da lieferten die Bauern aus dem Umland ihre Rinder und Schweine. Der Sammelplatz war dort, wo heute der Parkplatz zwischen Friedensbrücke und Fernheizkraftwerk ist. Es stank meilenweit. Wir Kinder waren oft entrüstet, wie grob die Bauern, aber auch die Schlächter mit den Tieren beim Ausladen oder Begutachten umgingen.
Am Großschlachttag gingen wir mit unserer Oma, die eine große Tasche trug, ins Schlachthaus. Wir kauften das billigere Kopffleisch, das dann an die weitläufige Verwandtschaft gegen einen geringen Preis abgegeben wurde.
Hierbei blieb uns nicht erspart, über den blutverschmierten, glitschigen Boden zu laufen, wenn wir Opa bei seiner Arbeit kurz sehen und sprechen wollten. Manchmal setzte uns unser Großvater auch auf eine noch lebende Kuh. Über uns hingen die gehälfteten und geviertelten Tierkörper, an denen die Metzger sägten und schnitten.
Ich erinnere mich auch noch an die Tötung eines Kälbchens, das draußen vor dem Schlachthaus mit einem Strick am Geländer angebunden war und durch einen Bolzenschuss in die Stirn getötet wurde. Auf dem Nachhauseweg war die mit Knochen und Fleisch gefüllte Tasche sehr schwer und meine Schwester und ich gingen Oma zur Hand.
Zu Hause wurde alles auf dem Küchentisch ausgebreitet, und die Großmutter ging daran, mit einem großen Fleischermesser die Stücke für die einzelnen Familien zurechtzuschneiden. Wir Kinder ekelten uns oft, vor allem wenn ein totes Ochsenauge herausgeschnitten werden musste. Aufgrund solcher hautnaher Erfahrungen wollten wir überhaupt kein Fleisch mehr essen, wurden aber dazu angehalten. Denn in der Nachkriegszeit in der Stadt war es schon etwas Besonderes, Fleisch zu haben, und so musste der Teller leer gegessen werden. Zum Glück waren die Portionen sehr klein.
Nach meiner Erinnerung reichte ein Pfund Fleisch für eine ganze Woche, selbst bei einer mehrköpfigen Familie. Zuerst bekam immer das Familienoberhaupt den Teller gefüllt, wir Kinder bekamen zuletzt. Übrigens, beim Zerlegen der Fleischstücke gab es immer auch viel Blut, das die Oma auffing, um ihre Geranien auf dem Balkon damit zu gießen. Mit Wasser verdünnt war das ein gutes Düngemittel und wir hatten immer reich blühende Geranien.
Abends, wenn mein Opa von einem anstrengenden Schlachthaustag heimkam, durften meine Schwester und ich ihm eine Maß Bier holen. Wir wohnten in einem Hinterhof in der Ziegelaustraße, in dem auch eine Brauerei-Lagerstätte war. Jedenfalls erinnere ich mich an weiß gekachelte Wände und herumstehende Bierfässer. Hier holten wir die Maß und trugen sie bis zu unserer Wohnung in den zweiten Stock. Unterwegs verloren wir oft etwas Gerstensaft, weil die Maß randvoll eingeschenkt war. Manchmal nippten wir auch selbst vom Bierschaum.
Zum Milchholen wurden wir mit der Aluminiumkanne über die Straße geschickt. Auf dem Rückweg probierten wir geübt die Zentrifugalkraft aus, ohne auch nur einen Tropfen Milch zu verlieren. Beim Kauf von geschlagener Sahne konnten wir zusehen, wie mühelos der Verkäufer diese mit einem handbetriebenen Quirl steif schlug.
Unsere Urgroßmutter lief zu Fuß mit dem Leiterwagen, der im Keller aufbewahrt wurde, ab und zu nach Greußenheim zu Verwandten aufs Land. Von dort brachte sie dann Kartoffeln, Speck, Eier und von Hand geformte Butter mit, eben das, was es in der ausgebombten Stadt nicht gab.
Das Zeitungspapier wurde wieder verwendet, und zwar für „hinterlistige Zwecke“. Dazu zerriss es die Oma sorgfältig in zirka DIN A 6 große Blätter, die dann auf einem Haken aufgespießt und neben die Kloschüssel gehängt wurden. In unserer Drei-Zimmer-Wohnung war nur ein einziges Waschbecken, und das befand sich in der Küche. Das bedeutete, dass hier von der Körperpflege bis zum Kochen alles stattfand.
Einmal in der Woche, am Samstag, wurde gebadet. Dazu holte die Oma die große Zinkbadewanne aus der Rumpelkammer und stellte sie in die Küche. In großen Töpfen wurde Wasser heiß gemacht und damit die Wanne gefüllt. Zuerst durfte Opa baden, dann kam Oma und am Schluss wir Kinder. Dabei wurde immer wieder lauwarmes und schmutziges Wasser abgeschöpft und frisches heißes Wasser nachgegossen. Am Schluss wurden noch ganz schmutzige Sachen wie Putzlumpen darin gewaschen.
Meine Schwestern und ich wurden sehr zu Achtsamkeit und Sauberkeit erzogen. Das heißt, wir hatten eine Woche lang das gleiche Kleid an, das nicht allzu schmutzig werden sollte. Für den Sonntag gab es ein extra Sonntagskleid. Mein Opa konnte sich schon bald nach dem Krieg ein Radio kaufen. Das besitze ich heute noch.
Elisabeth Scheuplein-Bellmann ist Lehrerin und Mutter dreier erwachsener Söhne.