An jedem Montagabend, an dem Pegida-Redner gegen Flüchtlinge und „Gutmenschen“ zu Felde ziehen, stehen junge Leute, teils vermummt und in schwarzer Kluft, an den Absperrgittern und brüllen, es gebe „kein Recht auf Nazi-Propaganda“.
Da brüllt die Antifa. Wie viele sie sind – zwei, drei oder vier Dutzend – ist ungewiss. Sichere Auskünfte gibt es nicht, und die Polizei will aus „ermittlungstaktischen Gründen“ keine Zahl nennen.
Die Antifa ist kein Verein, sie hat keine Mitglieder und keine Sprecher. Die Antifaschisten, zwischen 14 und 30 Jahre alt, sind einander „Genossen“. Sie lehnen Hierarchien ab und sehen im Kapitalismus die Ursache für Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ausgrenzung. In der Auseinandersetzung mit Rassismus und Militarismus unterscheiden sie nicht zwischen legalen und illegalen Mitteln. Ihr Misstrauen gegenüber Außenstehenden ist enorm.
Eva Peteler, eine renommierte Würzburger Flüchtlingshelferin, meint, „das sind tolle junge Leute. Wir brauchen mehr von denen.“
Die Genossen haben 13 Strafbefehle am Hals. Die Delikte, derer die Staatsanwaltschaft sie beschuldigt, reichen von Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte über Haus- und Landfriedensbruch bis zum Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz und zur gefährlichen Körperverletzung. Die Beschuldigten haben Widerspruch eingelegt, die Fälle gehen vor Gericht.
Die Antifa fühlt sich verfolgt, mit unverhältnismäßigem Polizeiaufwand drangsaliert und kriminalisiert. Und so rief sie zur Solidaritätsdemonstration „mit den Betroffenen von staatlicher Repression“ auf. 100 Leute, schätzt die Polizei, folgten ihr am Samstagnachmittag.
Klein beigeben will die Antifa offenbar nicht. Ein Redner rief zum Auftakt: "Wir lassen uns nicht einschüchtern. Sie haben Pfefferspray und Knüppel – aber wir haben ein ganzes Herz voller Träume!“
"Wie die Katzen in der Nacht"
Unter den Demonstranten waren Mitglieder des Florakreises, einem losen Bündnis aus Gewerkschaftern, Friedensbewegten, Antifaschisten, organisierten und parteilosen Linken und Menschenrechtlern, fast alle älteren Semesters.
Der pensionierte Medizinaldirektor Helmut Fichte ist einer von ihnen, ein Alt-68er, der die Antifa von den Anti-Pegida-Protesten kennt. Er sagt, er habe sie "nur als Kids erlebt und nicht als Militante“. "Wie die Katzen in der Nacht" tauchten sie auf. Ihn störe die Unbedachtheit, mit der sie sich unnötigen Ärger einhandelten. Aber er habe Freude an ihnen, weil sie „die Hetze nicht hinnehmen“.
Die „Kids“ sind zornig. In den Reden während der Demo-Kundgebungen stellten sie vor, wie sie die Welt erleben. Handy-Läden, Euroshops, Fast Food- und Bekleidungsketten „und sonstiger Dreck“ besetzten die Innenstädte, die „einfache Bevölkerung“ werde durch hohe Mieten vertrieben. Im Kapitalismus sei nur Platz für Menschen mit Geld.
Ein Demonstrant hielt ein Pappschild hoch mit der Aufschrift „Menschen sterben und ihr schweigt“. Sein Nachbar zeigte ein zweites Schild: „Scheiben splittern und ihr schreit“.
Während einer Zwischenkundgebung am oberen Markt verlas die Flüchtlingshelferin Peteler eine Erklärung des Florakreises. Demnach bezeugen die Alten den Jungen „Respekt für euren Mut und für eure Zivilcourage“. Die Antifa wende sich nicht „gleichgültig ab wie die große schweigende Mehrheit“, sondern stehe „mit vollem Einsatz und mit einem hohen persönlichen Risiko gegen Rassismus, Faschismus und Kapitalismus“ auf.
Angesichts einer „drastischen Zunahme fremdenfeindlicher Angriffe und neonazistischer Straftaten“ sei nicht hinnehmbar, „dass Menschen, die gegen rassistische und chauvinistische Hetzer aktiven Widerstand leisten, geradezu mit einer Flut repressiver staatlicher Verfolgung überzogen“ würden.
Besonders das Unterstützungskommando (USK) der Polizei gehe „provokativ, offensiv, kompromisslos und überzogen gezielt gegen Antifaschisten“ vor. So seien „friedfertige junge Menschen beim Versuch einer Nazi-Blockade wie gewalttätige Schwerverbrecher behandelt worden“.
Widerspruch aus dem Polizeipräsidim
Der Redaktion liegen Berichte über mutmaßliche Polizeiübergriffe vor, kaum einer ist nachprüfbar. Der katholische Studentenpfarrer Burkhard Hose berichtet, er habe am 15. März, bevor Nazis durch Würzburg marschierten, erlebt, „mit welcher Massivität die Bundespolizei gegen eine friedliche Sitzblockade“ vorgegangen sei: „Da fehlte jede Relation.“ Hose, der sagt, er heiße „nicht alle Aktivitäten der Antifa gut“, sieht „mit Sorge, was auf die jungen Leute zukommt“. Auch er glaubt, sie würden für ihr Engagement kriminalisiert.
Das Polizeipräsidium wertet Blockaden als „nicht zu rechtfertigende Handlungen zur Einschränkung von Grundrechten Anderer“. Polizeisprecher Walter Schömig erklärt, „vordringliches Ziel polizeilichen Handelns“ sei das Verhüten von Straftaten. Die Polizei treffe „keine Maßnahmen gegen Personen, die weder Straftaten planen oder begehen, noch sonstige Störungen verursachen oder durch ihr Verhalten Störungen erwarten lassen“.
Während der Demonstration gaben sich Redner und Teilnehmer durchweg überzeugt, dass Justiz und Ermittlungsbehörden mit besonderem Eifer gegen Linke vorgehen, auf dem rechten Auge aber blind seien.
Auch dem widerspricht das Polizeipräsidium: Polizeiliches Handeln richte sich „nicht nach politischer Motivation“, es gelte „das Prinzip der Neutralität“.
Zweifel an der Friedfertigkeit
Am Samstag standen manchen Passanten in der Innenstadt die Zweifel an der Friedfertigkeit der Antifa ins Gesicht geschrieben. Der Sprechchor „Solidarität muss praktisch werden, Feuer und Flamme den Repressionsbehörden!“ schuf sichtlich Sympathie für die Polizei.
Dennoch war die Polizei augenscheinlich sicher, dass nichts passiert. Vier uniformierte Beamte begleiteten den Zug, wie bei Demonstrationen üblich. Der Einsatzleiter meldet, „die Versammlung“ sei „insgesamt ohne nennenswerte Störungen“ verlaufen.