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WÜRZBURG: Stadtteilserie (5): Tausende französische Kriegsgefangene am Galgenberg

WÜRZBURG

Stadtteilserie (5): Tausende französische Kriegsgefangene am Galgenberg

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    Französische Kriegsgefangene spielen Theater: Alle Fotos auf dieser Seite stammen aus einer Privatsammlung und wurden noch nie veröffentlicht.
    Französische Kriegsgefangene spielen Theater: Alle Fotos auf dieser Seite stammen aus einer Privatsammlung und wurden noch nie veröffentlicht. Foto: Fotos: Privat

    Ein eleganter Herr sitzt sichtlich gelangweilt in einem Sessel, während zwei andere, nicht weniger formidabel gekleidet, auf eine Dame im schwarzen Kleid einreden, die lässig an einem Tischchen lehnt. Ein Diener mit weißer Schürze hält sich im Hintergrund, jederzeit bereit, Anordnungen der Herrschaft auszuführen.

    Das Ambiente mit Paravent, prächtiger Palme und feiner Tapisserie würde auf ein Domizil in einem der besseren Arrondissements in Paris hindeuten, wären da nicht Scheinwerfer am Boden und ein hochgezogener Bühnenvorhang. Hier wird ganz offensichtlich eine französische Salonkomödie gespielt. Ganz oben steht auch wo: im „Theatre de Galgenberg“.

    Ein Würzburger Privatsammler hat dieses Foto und die übrigen Bilder auf dieser Seite vor einiger Zeit erworben. Sie werfen neues Licht auf eine Einrichtung, die kaum bekannt ist: das Lager auf dem Galgenberg im Ersten Weltkrieg, im dem mehrere Tausend Kriegsgefangene, vor allem Franzosen, untergebracht waren.

    Wie im Krieg 1870/71 kamen auch 1914/18 vor allem Franzosen nach Würzburg, schrieb Werner Dettelbacher in seinem Buch „Damals in Würzburg, 1914 bis 1945“. Sie wurden in einem eilig errichteten Barackenlager untergebracht, „auf kahler Fläche, um die Flucht zu erschweren, hinter Stacheldraht, vom Landsturm bewacht“.

    Abgeschnürt von der Außenwelt, unter Bewachung zu den Arbeiten gebracht, von jeder Frauenbekanntschaft ferngehalten, versuchten sich die Gefangenen mit Sport- und Theaterveranstaltungen aus der bohrenden Isolation zu lösen.

    Offensichtlich erhielten die Gefangenen Unterstützung von den Deutschen, beispielsweise für die Ausstattung der Bühne; auf einem anderen Foto ist sogar ein Theaterorchester zu sehen. Für erträgliche Lebensumstände sprechen Bilder von Fußballmannschaften, die entsprechend der Herkunft der Gefangenen zusammenstellt wurden. Sogar ein Foto, das Franzosen unter Bewachung bei Erdarbeiten zeigt, ist von lachenden Gesichtern geprägt. Wobei natürlich nicht klar ist, ob die Gefangenen aus freien Stücken so fröhlich blicken.

    Sich Befehlen der deutschen Aufseher zu widersetzen, konnte teuer werden. Dettelbacher berichtet von harten Gerichtsurteilen wegen Aufsässigkeit und Fluchtversuch. So wurde Abraham Ichard aus Algier zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er zwar das Rauchen einstellte, aber trotz dreimaliger Aufforderung vor einem Feldwebel nicht stillstand.

    Jedenfalls waren die Gefangenen aber der Todesgefahr an der Front entkommen und hatten sich in Würzburg leidlich eingerichtet, schrieb Rainer Pöppinghege in einem Artikel. Neben Sport und Theater sorgten vor allem Briefe aus der Heimat und eine eigene Gefangenenzeitung für Zerstreuung. Viele solcher Zeitungen entstanden in deutschen Lagern während des Ersten Weltkrieges – meistens durch die Eigeninitiative der Internierten. Insgesamt dürfte es sich um rund 100 Titel im gesamten Deutschen Reich gehandelt haben, vermutet Pöppinghege. Die Redakteure befanden sich in einer speziellen Situation: Zensur durch die Lagerleitung, Ungewissheit über die eigene Zukunft, Unzufriedenheit mit dem oft als monoton empfundenen Lagerleben.

    Sowohl journalistischer Anspruch als auch die Herstellungsbedingungen unterschieden sich erheblich voneinander. Während man in zahlreichen Lagern bei der Erstellung auf Eigeninitiative angewiesen war, genoss die Redaktion andernorts die technische Unterstützung ortsansässiger Zeitungsverlage. Das Blatt der Würzburger Kriegsgefangenen erschien beispielsweise im Eigendruck in der Fränkischen Gesellschaftsdruckerei mit einer Auflage von 1000, später 2000 Exemplaren.

    „L'Intermede“ (Das Zwischenspiel) kam erstmals im Januar 1916 heraus und enthielt vor allem unterhaltsame Artikel über das Lagerleben, Karikaturen und Kurzgeschichten. Rubriken wie „Chronique Sportive“ (Sportchronik) oder „La Musique au Camps“ (Musik im Lager) deuten bereits auf einige Hauptbeschäftigungen der Gefangenen hin. Im Lager Galgenberg existierte außer dem schon erwähnten Theater eine eigene Bank. Im Allgemeinen war es den Gefangenen verboten, deutsches Geld zu besitzen. Dies wurde jeweils in das sogenannte Lagergeld umgetauscht, mit dem sie bei einer möglichen Flucht nichts anfangen konnten.

    Viele Kriegsgefangene versuchten, die Zeit in Würzburg sinnvoll zu nutzen und bildeten sich weiter. Zu diesem Zweck existierte eine Lagerschule, in der die Fachleute in den jeweiligen Fächern ihre Kameraden unterrichteten. Es gab Kurse in Recht, Naturwissenschaft, Kunst, Philosophie und Literatur, wie „L'Intermede“ im September 1916 berichtete. Einige frönten auch ihrer poetischen Ader und schufen Gedichte oder Kurzgeschichten, von denen „L'Intermede“ einige Beispiele abdruckte.

    In einem Artikel vom Januar 1917 kommt die oftmals gedrückte Stimmung zum Ausdruck, die unter den Gefangenen herrschte. Unter dem Titel „Impressionen am 1. Januar“ heißt es in düsterem Ton über das Lager am Galgenberg: „Der Himmel ist schwarz, die Baracken sind schwarz, in meinem Herzen ist es schwarz. Der Himmel hat Regenfluten auf unsere Köpfe geschüttet, die Baracken werden berieselt, es regnet auch in meinem Herzen. Seit einer Woche ist das Lager nicht mehr als eine ekelhafte Kloake.“

    Das Thema „Wetter“ diente den Gefangenen immer wieder als Vehikel, um ihre melancholische Stimmung auszudrücken.

    Die Existenz der Lagerzeitungen hing auf Gedeih und Verderb von der deutschen Zensur der Kommandobehörden ab. Diese zeigten sich zunächst relativ tolerant und gestatteten die Gründung der Blätter – wohl auch, um keine Unruhe aufkommen zu lassen. Viele Zeitschriften mussten jedoch schon nach wenigen Ausgaben eingestellt werden. Die Gründe konnten finanzieller Natur sein, in Papiermangel bestehen oder darin, dass Redakteure verlegt wurden.

    Mitunter bereitete auch die deutsche Zensur selbst den ambitionierten Projekten ein Ende: Im April 1917 verbot das preußische Kriegsministerium – es war damals auch außerhalb Preußens zuständig – die Lagerzeitschriften für kurze Zeit generell, weil angeblich die Behandlung der deutschen Gefangenen in Frankreich zu wünschen übrig ließ. Nur wenige konnten nach diesem Verbot überhaupt wieder erscheinen.

    Die Würzburger Gefangenenzeitung existierte als eine der wenigen bis zum Ende des Krieges im November 1918. Einige Wochen später konnten auch die Gefangenen vom Lager Galgenberg in ihre französische Heimat zurückehren.

    Laut Dettelbacher hatten zeitweise fast 3000 Franzosen auf dem Galgenberg gelebt, darunter 150 Offiziere. Ab November 1917 hatten sich auch Amerikaner dazu gesellt.

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