Meteorologisch herrschte am Sonntag schönstes Herbstwetter in Würzburg, politisch ist ein Gewitter über die Stadt gezogen. Die Landtagswahl hat das gewohnte politische Koordinatensystem in einer Weise durcheinander gewirbelt, die noch vor Jahresfrist unvorstellbar schien.
Der Verlust des Direktmandats bedeutet für die CSU nicht nur eine Niederlage, sondern eine Zäsur. Zwar hatte die Partei im Stimmkreis Würzburg, zu dem auch Rottendorf und Gerbrunn gehören, zuletzt immer etwas unter dem Landesdurchschnitt gelegen, doch der Gewinn des Direktmandats war ein Ziel, dessen Erreichung außer Frage stand: 2013 hatten zwischen Oliver Jörg und dem jetzt gewählten Abgeordneten Patrick Friedl (Grüne) noch satte 23 Prozent gelegen.
Vom negativen Parteitrend nicht abgekoppelt
Oliver Jörg ist es nicht gelungen, sich vom Negativtrend seiner Partei abzukoppeln, und das, obwohl er kein CSU-Hardliner ist: In der Flüchtlingsfrage waren von ihm keine Stammtischparolen zu hören. Jörg hatte sich in den zwei Legislaturperioden in die Sacharbeit gestürzt. Den Fleiß wird dem 46-Jährigen niemand absprechen und auch nicht, dass er einen engagierten Wahlkampf geführt hat. Doch Fleiß allein reicht nicht, wenn sich im Land eine massive Stimmung gegen die eigene Partei aufbaut.
Im Wahlsieg Patrick Friedls zeigt sich, dass Würzburg noch viel mehr als im übrigen Freistaat ein grünes Pflaster ist. Die Tendenz hatte sich bei vorangegangenen Wahlen bereits abgezeichnet. Für Patrick Friedl zahlte sich am Sonntag eine jahrelange politische Kärrnerarbeit aus. In Würzburg präsentieren sich die Grünen seit langem als realpolitisch verankert, sie sind damit längst nicht nur fürs bürgerliche, sondern auch fürs konservative Klientel wählbar geworden. Und das ist in Würzburg, wo die CSU bisher auf ein treues Wahlvolk vertrauen durfte, enorm wichtig. Zu Friedls Wahlsieg hat möglicherweise auch beigetragen, dass angesichts des Niedergangs der bayerischen Sozialdemokratie mancher SPD-Wähler seine Erststimme nicht „verschenken“ wollte und sie an Friedl statt an Georg Rosenthal gab.
Für Patrick Friedl bedeutet der Wählerauftrag jetzt aber auch, dass er in München den Stimmkreis in der Gesamtheit seiner Bevölkerung vertreten muss. Auch davon wird abhängen, ob sich in Würzburg die Grünen tatsächlich als neue Volkspartei verankern. Allerdings gilt der 48-Jährige Grüne nicht als Ideologe, daher könnte diese Aufgabe gelingen.
OB-Bonus zog nicht mehr
Georg Rosenthal, der 2013 noch 25,2 Prozent der Erststimmen holte, konnte diesmal offenbar nicht mehr vom Amtsbonus des ehemaligen Oberbürgermeisters profitieren. Ähnlich wie Oliver Jörg war auch Rosenthal im Wahlkampf omnipräsent, doch wenn die SPD im Bund immer mehr Menschen als entbehrlich gilt, dann gilt das in Bayern – traditionell schwieriges Pflaster für Sozialdemokraten – eben erst recht.
Der Aufwärtstrend der FDP erwies sich auch in Würzburg stabil, hier liegt das Ergebnis sogar etwas über dem Landestrend. Ganz anders bei den Freien Wählern: Die traditionell im ländlichen Raum starke Partei kann in der Stadt nicht punkten.
Aufgabe der etablierten Parteien
Aufhorchen lassen muss das Ergebnis der AfD. Rund sieben Prozent hat die Partei sowohl bei den Erst- als auch den Zweitstimmen erreicht. Das ist zwar weniger als das Landesergebnis von etwas mehr als zehn Prozent, aber schon allein deshalb bemerkenswert, da der Direktkandidat der AfD in seinem Stimmkreis praktisch keinen Wahlkampf gemacht hat. Es wird eine der Aufgaben der etablierten Parteien sein, dem Populismus der Rechtsaußenpartei geschlossen entgegen zu treten.