Kera alias Christian Hinz fährt die Hebebühne hoch, greift nach der Farbrolle und beginnt, ein Dreieck auf der Hauswand in der Lindleinsmühle weiß auszumalen. Blau, rot und grün prangt es bereits auf der 150 Quadratmeter großen Fläche. „In Berlin haben wir eine grobe Skizze angefertigt“, meint der Fassadengestalter, der letzten Mittwoch zum StreetMeet-Festival nach Würzburg kam. Die wird von ihm und „Quintessenz“ alias Tomislav Topic nun sukzessive umgesetzt.
Zum dritten Mal treffen sich professionelle Wandmaler aus verschiedenen Ländern in Würzburg, um die Stadt mit Farbe aufzupeppen. 20 Streetartisten sind es in diesem Jahr. Kera ist zum ersten Mal dabei. Der 30-Jährige, der aus einer Berliner Handwerkerfamilie stammt, hat Grafik-Design studiert. Er kreiert Broschüren, fertigt aus einzelnen Bildern sogenannte Stop-Motion-Filme an und hat sich daneben auf Fassadengestaltung spezialisiert. „Das Ganze begann vor 15 Jahren mit Graffiti“, erzählt er.
150 Quadratmeter Hausfassade durften Kera und Quintessenz gegenüber der Gustav-Walle-Schule bemalen. Bis zu 14 Meter fuhr die Hebebühne dabei in die Höhe: „Da muss man natürlich schwindelfrei sein.“ Wobei Kera ganz anderes gewohnt ist: „Erst vor kurzem gestaltete ich eine Fassade im walisischen Cardiff, die war 40 Meter hoch.“
Das vom Würzburger Verein für Kunst im Öffentlichen Raum (KÖR) organisierte StreetMeet-Festival findet Kera klasse - obwohl es keine Gage gibt: „Dafür ist es super organisiert und die Leute sind einfach unglaublich nett.“ Besonders interessant ist für ihn, Kollegen aus anderen Ländern zu treffen. Künstler im öffentlichen Raum, so Kera, sehen sich als große Familie an: „Jeder hat seinen eigenen, unverwechselbaren Stil. Weshalb wir untereinander nicht in Konkurrenz stehen.“
Gerade der Stilmix macht das Festival aus, sagt auch Organisatorin Manou Wahler: „Danach werden die Künstler von uns im Vorfeld ausgesucht.“ Während Wahler im ersten Jahr noch aktiv auf die Suche nach Wandartisten gehen musste, trudeln die Bewerbungen über die Homepage inzwischen ganz von selbst ein: „Über 30 Künstler hatten sich in diesem Jahr beworben.“

Unter ihnen war auch der Spanier „Skount“ alias Raúl Garcia Pereira. „To be or not to be“ lautet der Titel seines bunten Gemäldes, das bis Ende der Woche an einer Seitenwand des Theaters in der Oeggstraße entstehen wird. Am Samstag musste Skount allerdings pausieren: „Das Metall der Hebebühne war so heiß, dass die Farbe nahezu zu kochen begann“, erzählt Manou Wahler.
Auch für Skount ist es okay, eine Woche lang - unter sommerlich bedingt erschwerten Umständen – ganz ohne Gage Kunst zu schaffen. „Wir möchten, dass die Leute wirklich wegen des Künstlertreffens zu uns nach Würzburg kommen, und nicht wegen Geld“, betont Manou Wahler. Allerdings: „Gagen zu zahlen, das könnten wir uns auch gar nicht leisten.“ Noch ist es fraglich, wie KÖR das gesamte Festival in diesem Jahr überhaupt stemmen wird. Rund 3.500 Euro gab es an Zuschüssen. „Allein die Farbe kostet jedoch 3.000 Euro.“ Hinzu kommen Kosten für die Hebebühne, die Transporte der Künstler zu den verschiedenen Aktionsorten, für Flyer und die Verpflegung.

Erstmals sind in diesem Jahr Schülerprojekte in das StreetMeet integriert: An der Mittelschule Heuchelhof, der Gustav-Walle-Schule in der Lindleinsmühle und der Mittelschule Zellerau entstehen an diesem Montag Wandkunstwerke. „Die Künstler wollen den Schülern zeigen, dass professionelle Fassadengestaltung nicht heißt, nur mal eben die Sprühdose in die Hand zu nehmen“, so Wahler. Eine Wand zu gestalten, ist eine anspruchsvolle Sache. Nicht zuletzt im Teamwork.
Letzteres war auch im Vorfeld des StreetMeet angesagt, als sich Manou Wahler eine Woche lang mit dem spanischen Künstler Antonio Laguna in ihr Atelier „einschloss“, um, über extreme stilistische Unterschiede hinweg, gemeinsam Kunst zu schaffen. Was dabei herauskam, ist noch bis Donnerstag in der Ausstellung „Oh! My fingers“ in der FIN-GER-Galerie des finnische Architekten Juhani Karanka auf dem Bürgerbräu-Gelände zu bewundern. Eine weitere Ausstellung von Talissa Mehringer läuft bis 22. Juli im Würzburger Künstlerhaus des BBK.
Ob das, was Ende der Woche an verschiedenen Würzburger Fassaden prangt, wohl gefällt? Sicher nicht allen!, weiß Manou Wahler: „Aber auch nur dann ist Kunst gut. Sie muss polarisieren.“ Was alle toll finden, das ist der Streetartistin äußerst verdächtig.