Tanzlehrer Rudolf Richter erklärt einem jungen Paar den Tanz. Die beiden Mädchen sind noch relativ neu in der Rollstuhltanzgruppe des Vereins der Rollstuhlfahrer und ihrer Freunde e.V. (VdR). Zwar würden die Schritte der „Fußis“, so nennen die Tanzsportler die Fußgänger, denen aus dem Standardtanz stark ähneln, doch das Tanzen mit einem „Rolli“ stellt die Partner dann doch vor die eine oder andere Herausforderung.
„Aber so bricht sie mir den Arm“, wendet Julia ein, als Rudolf Richter den beiden die Drehung erklärt. Das soll natürlich nicht vorkommen, wenngleich Verletzungen nicht immer verhindern werden können. Dorothee Kienle ist schon des Öfteren mit ihrem Rollstuhl umgekippt. Aber sie und ihre Tanzpartnerin nehmen derartige Unfälle eher gelassen und sind sich einig: „The show must go on!“
Seit über acht Jahren ist Dorothee Kienle Mitglied der Tanzsportgruppe. Damals wohnte die Pädagogik-Studentin noch bei ihrer Familie in Uffenheim. Die weite Anfahrt nahm ihre Mutter aber gerne für sie in Kauf. War es ihr doch lieber, die Tochter zum Rollstuhltanz als zum gefährlicheren Rollstuhlbasketball zu fahren. „Beim Basketball war mein Rollstuhl nach zwei Jahren kaputt“, erzählt die Studentin.
Mehr Spaß macht ihr da das Tanzen. Als Jennifer Lopez Song „Let's get loud“ ertönt, ist sie sofort Feuer und Flamme, enthusiastisch bewegt sie ihren Oberkörper im Takt, vollführt schnelle Drehungen mit ihrem Rollstuhl und setzt zu Sprüngen an, indem sie ihr Gewicht im Stuhl verlagert und sich damit nach hinten und vorne kippen lässt. Sie sprüht vor Energie und der Spaß ist unübersehbar.
Auch einige Kilometer weiter in der Turnhalle des Zentrums für Körper- und Mehrfachbehinderte (ZfK) am Heuchelhof ist der Spaß der Hauptfaktor am gemeinsamen Sport. Hier trainieren Julian Wendel und seine Mannschaftskollegen Hockey, genauer gesagt Elektro-Hockey. Sitzen doch alle im Elektrorollstuhl. Die Sportart, die an Eishockey im Rollstuhl erinnert, kam Ende der 70er-Jahre auf. Man spielt mit einem leichten Plastikball und Hockeyschlägern oder mit einer Schlägervorrichtung am Trittbrett des Rollstuhls bei Spielern, die keinen Schläger halten können – wie Julian Wendel.
Der 24-jährige Psychologiestudent leidet... ...an Spinaler Muskelatrophie, einer fortschreitenden erblichen Erkrankung, bei der die Muskulatur immer schwächer wird, und sitzt seit seinem vierten Lebensjahr im Rollstuhl. Fast genauso lange spielt er Elektro-Hockey, kurz E-Hockey. Die Schläge steuert Julian, der seine Hände kaum selbst bewegen kann, durch die Fahrtgeschwindigkeit, also durch Knopfdruck am Rollstuhl. Genaues Zielen ist da ein absolutes Muss.
Trainer Sascha Hintz baut deshalb einen Hütchenparcours auf. Julian und seine Teamkollegen lenken den Ball durch den Parcours und zielen auf ein Tor. Im März müssen die Jungs fit sein für ein Turnier in Bochum. Auch in der zweiten Liga kommt man ganz schön rum. Das sei ein wichtiger Teil der Integration, meint der Trainer. Auf Turnieren würden die Jungs Kontakte zu anderen Hockeyspielern bekommen und Freundschaften schließen.
„Muss ein integratives Rollstuhl-Tanzpaar tanzen wie ein nichtbehindertes Paar?“
Volker Daut, Dozent am Lehrstuhl für Körperbehindertenpädagogik
Wie schwierig es ist, integrative Sportangebote für Menschen mit Behinderung zu finden, hat Jutta Bär von der Würzburger Beratungsstelle für Senioren und Menschen mit Behinderung (KOMM) festgestellt. „Mühseligst“ habe sie Adressen zusammengestellt, um zum gleichen Ergebnis zu kommen wie viele ihrer Kollegen. Möglichkeiten gibt es.
Allerdings bedeutet Integration meist, dass allgemeine Sportvereine Abteilungen für Behinderte haben. Gemeinsamer Sport wie beim Rollstuhltanz in Grombühl ist selten. Das liegt dem Geschäftsführer des DJK Sportbunds Würzburg, Peter Dorsch, zufolge daran, dass spezielle Trainerschulungen nötig seien.
Auch Rosmarie Schneider weiß, dass die Integration Behinderter in Sportvereinen nicht einfach ist. Die Sportlehrerin am Zentrum für Körperbehinderte hatte nur einen Schüler, der in den Tischtennisverein seines Heimatdorfes aufgenommen wurde. „In Sportvereinen ist man sehr leistungsorientiert, einen Behinderten mitzuziehen, ist da oftmals schwer“, so Schneider. Praktische Gründe können auch eine Rolle spielen. Seien doch einige ihrer Schüler geistig beeinträchtigt oder hätten keinen Zugang zu Sportvereinen.
Gerade die motorischen Hürden will Volker Daut, Dozent am Lehrstuhl für Körperbehindertenpädagogik der Uni Würzburg, nicht verschweigen. Trotzdem fragt er sich, was Integration heißt: „Muss ein integratives Rollstuhl-Tanzpaar tanzen wie ein nichtbehindertes Paar?“ Vielleicht könnten durch gemeinsamen Sport von Behinderten und Nichtbehinderten neue Formen entstehen.
Ein Beispiel dafür findet sich jede Woche im Sportzentrum der Universität beim Familiensportclub der Lebenshilfe e.V. Vom Enkel bis zur Großmutter kommen hier alle Altersgruppen zusammen, um Gymnastik oder Weitsprung zu machen. Im Vordergrund steht keine bestimmte Sportart, sondern gemeinsames Erleben von Menschen mit und ohne geistige Behinderung.
Für Julian und Dorothee stellt sich die Frage der Eingliederung kaum. Dorothee ist klar, dass ihr manche Sportarten aufgrund ihrer Behinderung einfach verwehrt bleiben werden, und auch Julian ist realistisch: „Ich habe eine starke Behinderung. Da ist es schwierig, eine Sportart zu finden, in der ich konkurrenzfähig bin – außer vielleicht Schach“, er lacht, „aber ich bin kein Schachspieler.“ Im Alltag fühlt er sich gut integriert, fügt aber auch hinzu, dass er Glück gehabt hätte, von seiner Familie immer stark unterstützt worden sei.
Trotzdem gibt ihm E-Hockey emotional sehr viel. Er gehe dadurch sicherer in den Alltag. Das wichtigste, weiß Julian, ist der Spaß: „Der muss im Vordergrund stehen, dann trägt's auch zur Integration bei.“