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WÜRZBURG: Thomas Gorhau ist mehr als ein Bestatter

WÜRZBURG

Thomas Gorhau ist mehr als ein Bestatter

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    Spezielles Arbeitswerkzeug: Die Ausrüstung eines Thanatopraktikers wie Thomas Gorhau geht über den Standard des Bestatters hinaus. Er kümmert sich nicht nur um das Äußere der Verstorbenen.
    Spezielles Arbeitswerkzeug: Die Ausrüstung eines Thanatopraktikers wie Thomas Gorhau geht über den Standard des Bestatters hinaus. Er kümmert sich nicht nur um das Äußere der Verstorbenen. Foto: Foto: Thomas Obermeier

    Sterben, Tod, Vergänglichkeit: Themen, mit denen man sich normalerweise erst beschäftigt, wenn man dazu gezwungen wird. Bei Thomas Gorhau ist das anders. Seit mehr als 20 Jahren dreht sich sein Leben genau darum. Täglich. 24 Stunden. Zwangsläufig. Der 40-Jährige ist Bestatter und seit gut zwei Jahren der einzige geprüfte Thanatopraktiker in Würzburg. In ganz Deutschland gibt es rund 150 von ihnen.

    Eineinhalb Jahre dauerte die Ausbildung, mehr als 15 000 Euro kostete sie. Thomas Gorhau belegte Veranstaltungen in Mikrobiologie, Anatomie und Gefäßlehre, absolvierte ein Auslandsseminar in England. Doch wofür eigentlich – was macht ein Thanatopraktiker? „Salopp ausgedrückt: Ein Bestatter kann und darf alles von außen. Schminken, Waschen, Kämmen. Die hygienische Grundversorgung eben. Ein Thanatopraktiker behandelt die Verstorbenen auch von innen“, sagt Gorhau.

    Gebraucht werden diese Spezialkenntnisse, um den Vergänglichkeitsprozess des Körpers für einige Tage aufzuhalten. So wird beispielsweise die Bildung von Gasen verhindert. „Um Grunde funktioniert das Ganze nicht anders als ein Dialyseverfahren“, erklärt der 40-jährige. Ein Konzentrat wird in den Körper geleitet, während Blut und Körperflüssigkeit parallel ablaufen. Äußere Verletzungen des Verstorbenen treten dabei nicht auf. Die Lösung wird über die Halsschlagader ein-, die Körperflüssigkeiten über die Drosselvene ausgeleitet – im Körper wird das Gefäßsystem genutzt.

    Je nach Dosierung nimmt das Konzentrat Einfluss auf die Farbe des Körpers und lässt diesen „natürlicher“ erscheinen. Da anatomisch genau gearbeitet werden muss, dauert der simpel klingende Vorgang mehrere Stunden, schon deshalb, um Fehler zu vermeiden und die Würde des Verstorbenen zu wahren.

    Doch wozu das Ganze? Gefragt sind die Fähigkeiten von Thomas Gorhau aus unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel aufgrund der Globalisierung: „Heute kommt es häufiger vor, dass ein Verstorbener in sein Heimatland überführt und dort beerdigt wird“, sagt Gorhau. Hygiene ist dabei Pflicht, in vielen Ländern ist die vorherige Einbalsamierung gesetzlich vorgeschrieben. Nur können Infektionsrisiko und ganz simple Probleme wie unangenehmer Geruch verhindert werden.

    Meist aber kommt das Verfahren zum Einsatz, wenn Angehörige am offenen Sarg Abschied vom Verstorbenen nehmen wollen. Da zwischen Todeszeitpunkt und Bestattung oft mehrere Tage liegen, ist eine thanatopraktische Behandlung notwendig. Was für manchen zunächst gewöhnungsbedürftig klingt, ist für andere unbedingt nötig. „Die Menschen trauern völlig unterschiedlich, und ich erlaube mir da kein Urteil“, sagt Thomas Gorhau. Meist habe die Entscheidung etwas mit der „Art“ des Todes zu tun. „Wenn jemand nach langer Krankheit stirbt oder in Alter einem ist, wo man den Tod akzeptiert, haben sich Angehörige oft schon verabschiedet.“

    „Viele müssen etwas sehen, um überhaupt glauben zu können, dass es passiert ist.“

    Thomas Gorhau über die Bedürfnisse der Angehörigen, einen Verstorbenen zu betrachten

    Dann gibt es aber auch die, wie Thomas Gorhau sie nennt, jungen und überraschenden Toten. „Stellen sich vor, die Mutter schickt ihren Sohn morgens zur Schule und er kommt nicht zurück. So komisch es klingt, in so einem Fall müssen viele etwas sehen, um überhaupt glauben zu können, dass es passiert ist“, schildert Gorhau das Bedürfnis, den Verstorbenen zu betrachten. Weisen Unfallopfer schwere sichtbare Verletzungen auf, kommt Gorhau zum Einsatz. Ein Thanatopraktiker verfügt über die notwendigen medizinischen Kenntnisse, um diese zu versorgen.

    Manchmal sei er machtlos, sagt der 40-Jährige: „Ich bin ja auch kein Hexer.“ Nicht immer aber halte das Angehörige davon ab, den Verstorbenen sehen zu wollen, um dessen Tod zu begreifen. „Da ist es auch schon vorgekommen, dass ich nur eine Hand oder ein heiles Körperteil gezeigt habe, weil der restliche Körper zu schwer geschädigt war.“ Wenn Gorhau erzählt, ist er entspannt und freundlich, ohne jede äußerliche Veränderung oder Regung – als plaudere man über das Wetter oder den letzten Kneipenbesuch. „Natürlich bin ich mit der Zeit in einer gewissen Tretmühle“, sagt er. Doch auch wenn sich nach über 20 Berufsjahren eine zwangsläufige, auch nötige Routine eingeschlichen hat, gibt es sie, die Fälle, die ihn berühren.

    Einerseits ist da der Beruf, der manchmal auch über den täglichen Umgang mit Verstorbenen hinaus schwierig ist. „Die Leute vergessen gerne, dass ich heute nicht mehr nur Bestatter, sondern auch Psychologe bin. Die Zeiten, wo der Pfarrer erster Seelsorger war, sind vorbei. Das gibt es meist nur noch auf dem Land.“ Gerade bei uneinigen Verwandten könne dies zum Problem werden. „Ich muss aufpassen, nicht zum Spielball zu werden oder mich vereinnahmen zu lassen, das ist nicht immer einfach.“

    Andererseits gibt es die Fälle, die wohl jeder Bestatter schon erlebt hat. „Plötzlich liegt jemand vor dir, den du persönlich kanntest, vielleicht sogar mit ihm befreundet warst. Oder du hast einen Freund vor dir sitzen, der die Welt nicht mehr versteht, weil sein Kind gerade gestorben ist.“ Aber auch, dass der Tod keinen Feierabend kennt, macht dem Würzburger manchmal zu schaffen: „Bei uns gibt es keinen Anrufbeantworter, wir stehen 24 Stunden zur Verfügung. Das kann hart sein.“

    Dass er trotzdem bis heute mit der Arbeit als Bestatter und Thanatopraktiker arbeiten kann und will, begründet Thomas Gorhau mit den Angehörigen: „Ihre Dankbarkeit ist das, was mich weitermachen lässt“. Bei der Arbeit selbst helfen manchmal ganz simple Dinge: „Bei wirklich schlimmen Verletzungen arbeite ich notfalls wie ein Chirurg an einer Stelle, während der Rest des Körpers abgedeckt ist.“

    Obwohl ihn der Job fest im Griff zu haben scheint, schafft es Gorhau, sich auch mit schöneren Dingen des Lebens zu beschäftigen. „Ich habe ja meine Familie, und ich spiele leidenschaftlich gerne Fußball.“ Wirklich abschalten könne er aber nur bei einer Gelegenheit: dem Motorradfahren. „Da kann ich auch mal alles vergessen“. Doch selbst auf dem Motorrad ist die Arbeit nicht weit weg. „In einem Helm habe ich eine Freisprecheinrichtung integriert, so bin ich für Angehörige immer erreichbar. Geschäft geht vor privat.“ Für den Zuhörer klingt diese Aussage irgendwie verrückt. Nicht für Gorhau. Für ihn ist es vielmehr ein Luxus: „So kann ich immer fahren, wann ich will, und nicht nur, wenn ich Zeit habe. Denn die habe ich ja eigentlich nie.“

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