Auf den ersten Blick erinnert das Treiben im Blauen Adler an einen Billardsalon. Zehn mit grünem Belag überzogene Tische stehen im Nebensaal der Vereinsgaststätte des „Eisenbahner Turn- und Sportvereino“ ETSV Würzburg in Reih und Glied. An jedem treten parallel zwei Kontrahenten gegeneinander an.
Ihre Spielgeräte liegen in der Hand, ins Visier genommen wird etwas Rollendes. Doch ansonsten hat die Spielerei mit Billard nicht viel gemein. Das Runde muss beim Tipp-Kick auch nicht ins Runde. Das Eckige muss ins Eckige! Denn der Mini-Ball hat zwölf Ecken.
„Das Fieber hat mich schnell gepackt. Tipp-Kick bereitet viel Freude, vor allem zusammen mit Menschen, die die gleiche Leidenschaft haben“, sagt Christoph Jilo vom Spieltrieb Ylipulli Gießen. Offensichtlich ist dieser Virus vererbbar. Jedenfalls frönt auch Jilos ebenfalls nach Würzburg mitgekommener 13-jähriger Sohn Valentin dem eher ungewöhnlichen Hobby. „Zum Klavierspielen hat es nicht gereicht“, kommentiert ein Vereinskollege Jilos schmunzelnd. Und lässt es offen, ob er sich selbst oder die Teamkameraden meint.
Fingerfertigkeit ist neben Konzentration in jedem Fall ein hohes Gut im Tipp-Kick. „Zu einem überwiegenden Teil hängt der Erfolg vom Können des Spielers ab“, weiß Jilo. Ob der Ball auf einer schwarzen oder weißen Seite lande, lasse sich zwar mit der richtigen Technik beeinflussen, habe aber auch eine Zufallsnote. Je nachdem, welche Farbe nach oben zeigt, darf der eine oder andere Schütze seine Figur zum Schuss ansetzen. Dem anderen bleibt in diesem Moment nur der Rückzug in die Verteidigungsposition.
Das rechte Bein wird beim Tipp-Kick mit einem Antippen des Knopfes auf dem Kopf bedient. Bis zu diesem Augenblick bewegen sich unter dem Tisch vier Beine. Es geht mitunter so rasant hin und her, dass die Spieler außer Puste geraten. „Neben der Physis über den gesamten Turniertag hinweg spielt auch das Material eine Rolle“, erklärt Jilo. „Da gibt es einige Tüftler, die viel Zeit und Geld in ihre Spielerfiguren stecken.“
Außer dem Torwart wird eigentlich nur ein Feldspieler benötigt. Doch viele Tipp-Kicker haben noch mehrere Figuren in der Hinterhand, die auch während der Partie munter gewechselt werden dürfen. „Jeder Fuß schießt anders“, so Jilo. Früher waren die Beine noch schwer wie Blei. Heute sind sie aus Edelstahl und können präzise gefeilt werden. Bis zu 150 Euro kostet eine solche Figur, es geht aber auch deutlich günstiger.
Organisiert wird die zweite Auflage der Würzburger Stadtmeisterschaften von Wolfgang Renninger. Bis vor einiger Zeit ist der Waldbüttelbrunner selbst für die Eisefüß Würzburg an den Tisch getreten. Doch der Verein hat sich mangels Nachwuchs aufgelöst. Renninger und Harald Götz gehen nun für Gallus Frankfurt in der zweiten Liga auf Torejagd. Andreas Göbel, ein dritter verbliebener, spielt nur noch sporadisch Tipp-Kick.
Kickerinnen? Fehlanzeige. Das Turnier an der Mergentheimer Straße im „Blauen Adler“ ist fest in männlicher Hand. „Das ist irgendwo schade“, sagt Renninger. „Denn eigentlich müssten die Fähigkeiten, die im Tipp-Kick gefragt sind, der Frauenwelt entgegenkommen.“
Ob es an den Gesprächen in den Pausen liegt? Auf fast jedem Figurenkoffer ist ein Aufkleber des favorisierten Fußballklubs abgebildet. Die aktuelle Lage der Bundesliga wird von den teilweise weit hergereisten Teilnehmern genauso thematisiert wie die Aufbruchstimmung bei den Würzburger Kickers. Und das meistbestellte Mittagessen in der seit Ende 2012 von Otto Keinert betriebenen ETSV-Gaststätte ist übrigens die Currywurst mittelscharf mit Pommes. Doping für Tipp-Kick-Profis!