Am Montag war es Würzburg, am Freitag München. Zwei bayerische Städte, die von brutalen Attentaten erschüttert wurden. In den Würzburger Stadtteil Heidingsfeld, wo ein 17-jähriger Flüchtling in einem Zug fünf Menschen mit einer Axt schwer verletzt hat, rief die bayerische NPD fünf Tage später zu einer „Mahnwache“ vor dem Rathaus. Motto: „Einwanderung tötet! Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“
Einer der Teilnehmer stellt drei Friedhofslichter auf den Bordstein vor dem Heidingsfelder Rathaus. Beim Anzünden streikt sein Feuerzeug. Eine „Kameradin“ kommt ihm zu Hilfe. Ein paar Versuche, dann brennen die kleinen roten Kerzen. Noch ist es ruhig auf dem Rathausplatz. Die sieben NPD-Leute sind noch unter sich.
Der Platz füllt sich schnell. Es sind deutlich mehr Menschen hinter den Sperrgittern als davor. Auf der NPD-Seite rollen acht Männer und eine Frau Transparente und Deutschland-Fahnen aus, stellen einen Lautsprecher auf. Später, gegen 14.30 Uhr, stoßen zwei weitere Frauen und fünf Männer aus dem rechten Lager dazu.
Empfangen werden sie alle von einem lauten Pfeifkonzert. Zunächst sind es rund 100 Gegendemonstranten mit Trillerpfeifen, Trommeln und Rasseln. Später etwa 300. Die Polizei mag nicht sagen, wie stark sie zahlenmäßig vertreten ist. „Wir sind gut aufgestellt“, erklärt Pressesprecherin Kathrin Reinhardt. Der Durchgangsverkehr durch den Stadtteil Heidingsfeld wird umgeleitet, die Geschäfte in der Hauptstraße sind geschlossen. „Ihr seid doch noch Kinder, fahrt wieder heim“, ruft einer den NPD-Leuten zu.
„Die Nazis kotzen mich an“
Unter den Gegendemonstranten ist auch Urte Deutscher. „Ich will nicht, dass meine Kinder mit so einem Hass auf Flüchtlinge aufwachsen“, sagt sie. Der Angriff auf die Zug-Reisenden sei die Tat eines Einzelnen gewesen. „Es kann nicht sein, dass dafür nun die vielen Flüchtlinge im Land bestraft werden.“ Joachim Koch aus Kleinrinderfeld spricht deutliche Worte: „Die Nazis kotzen mich an. Es ist beschämend, jetzt alles in einen Topf zu werfen“.
In der für die genehmigte Kundgebung abgesperrten Fläche versuchen die Veranstalter der „Mahnwache“, sich Gehör zu verschaffen. Ihre Parolen, die Lieder, die sie abspielen, gehen unter in dem Ohren betäubenden Lärm der Gegendemonstranten: „Ihr seid nicht das Volk“, „Haut ab“. Von 14 bis 14.15 Uhr läuten die Kirchenglocken von St. Paul und St. Laurentius. In der katholischen Kirche findet eine Friedensandacht statt, es wird der Opfer von Würzburg und München gedacht.
Unter den Gegendemonstranten ist auch Würzburgs ehemaliger SPD-Oberbürgermeister Georg Rosenthal, der in Heidingsfeld wohnt. Zusammen mit den Jusos skandiert er „Nazis raus“. Rosenthal, mittlerweile Landtagsabgeordneter, will Solidarität mit den vielen Bürgern zeigen, die „mit Recht gegen die sogenannte Mahnwache der Nazis protestieren“.
Er sei froh, dass überwiegend junge Leute und viele Heidingsfelder friedlich gegen die Rechten protestieren, sagt Rosenthal. „Die Extremen versuchen auf allen Wellen zu reiten, um die Angst der Bürger für ihre dumpfen und antidemokratischen Zwecke zu missbrauchen.“
Sigrid Schüßler, Ex-NPD-Funktionärin, ehemalige Spitzenkandidatin der Partei und Schauspielerin, hält ein Transparent „Bürgerbündnis Unser Aschaffenburg“, „Goldbach sagt Nein“. Goldbach ist eine 10 000-Einwohner-Marktgemeinde im Kreis Aschaffenburg. Mit dem Spruchband hatte Schüßler schon beim Neujahrsempfang der Goldbacher Grünen für Unruhe gesorgt.
„Gezielte Provokation“
In Würzburg lässt sie sich von dem Nügida-Aktivisten Dan Eising interviewen, dann geht sie plötzlich schnellen Schrittes mit einem Mikrofon in der Hand auf die Gegendemonstranten zu. Polizeibeamte schieben sich dazwischen, Georg Rosenthal, der gleich daneben steht, spricht von einer „gezielten Provokation von Frau Schüßler“. Lärm, Pfiffe und viele in die Luft gereckte Stinkefinger begleiten die Aktion.
Als Schüßler sich zurück zieht, rollen die Kundgebungsteilnehmer ihre Transparente und Fahnen ein. Es ist 15.20 Uhr, als sie, begleitet vom Applaus der Gegendemonstranten, den Rathausplatz verlassen. Die drei Friedhofslichter werden ausgepustet und mitgenommen.