Es hat schon seine Gründe, wenn manche Türen verschlossen sind. Hinter der im Giebelstädter Wasserturm zum Beispiel hängt ein Vorhang aus staubigen Spinnweben. Die muss man erst einmal wegfieseln, ehe man den Raum dahinter betreten kann. So leer wie erwartet ist er nicht. Auf dem Boden und auf Regalen an den Wänden sind haufenweise Akten gelagert.
„Die hat einmal ein Ingenieur hier untergestellt“, erinnert sich Stefan Schirm vom technischen Bauamt der Gemeinde Giebelstadt. Hier stören sie niemanden, denn der Wasserturm wird kaum einmal betreten. So war es für Schirm schon gar nicht einfach, beim Bauhof der Gemeinde überhaupt den Schlüssel zu der weißen Turmtüre ausfindig zu machen. Und als er ihn dann ins Schloss steckt, muss er eine Weile ruckeln und rütteln, ehe sich die Tür bewegen lässt und muffige Luft nach außen dringt.
Seit Giebelstadt 1966 an die Fernwasserversorgung angeschlossen wurde, hat der Wasserturm keine Funktion mehr. Es habe wohl früher einmal Überlegungen gegeben, ihn anderweitig zu nutzen, sagt Stefan Schirm. Offensichtlich ist daraus aber nichts geworden.
Im Turm sind noch zwei Rohrleitungen samt Schiebern zu sehen. Über die eine wurde das Wasser nach oben in den eigentlichen Behälter gepumpt, über die andere floss es von dort zurück ins örtliche Leitungsnetz. Der ganze untere Teil des 19 Meter hohen Bauwerks diente ausschließlich der Höhengewinnung.
Blickt man im Turm nach oben, sind nur einige hölzerne Verstrebungen zu erkennen, und in der Düsternis darüber der Boden des eigentlichen Wasserbehälters. Dieser musste sich weit genug oben befinden, um einen ausreichenden Wasserdruck aufbauen zu können.
Der obere Teil des Turms ist nur von außen zugänglich. Hoch über dem Erdboden beginnt eine eiserne Leiter, die zu einer Öffnung oben im Behälter führt. Wer da hinaufsteigen will, muss zunächst unten eine Leiter anlehnen und von dort die Eisenleiter erklimmen. Die Vermutung liegt nahe, dass auch im Wasserbehälter die Spinnen zuerst da waren.
Obwohl der gemauerte Turm mit seinem gelben oberen Teil und dem roten Dächlein am Ostrand des Friedhofs mittlerweile nur noch der Zier des Ortes dient, lohnt ein Blick in seine Geschichte. Im Archiv der Gemeinde lagern noch zahlreiche Akten, die Stefan Schirm herausgesucht hat. Im Jahr 1928 wurde der Wasserturm in Angriff genommen. Bis dahin hatten die Giebelstädter ihr Wasser aus 40 privaten und fünf öffentlichen Brunnen bezogen. Die Idee, für Giebelstadt ein Wasserleitungsnetz zu bauen, gab es zu diesem Zeitpunkt aber schon seit zehn Jahren.
Die vergilbten Papiere umfassen Verträge in den schön geschwungenen Handschriften der vergangenen Zeit, Kostenvoranschläge, statische Berechnungen der damals schon existenten Landesgewerbeanstalt Bayern, Analysen des Quellwassers und eine „Wasserleitungsordnung“. Bemerkenswert sind die vielen Anschreiben von Firmen aus ganz Deutschland, die sich um die Ausführung der Bauarbeiten bewarben und ihre Vorzüge eifrig beschrieben. „An das verehrliche Bürgermeisteramt“, beginnen einige dieser Schreiben.
Das Rennen machte offensichtlich eine Arbeitsgemeinschaft von lokalen Maurern und Baustoffhändlern, nämlich die Firmen Lutz aus Giebelstadt und Hanika aus Ochsenfurt und Giebelstadt. Sie errichteten den Wasserturm mit einem Fassungsvermögen von 100 Kubikmetern, der laut Vertrag bis zum 15. Mai 1930 fertig sein musste.
Eine Besonderheit des Wasserturms ist nur bei genauem Hinsehen erkennbar: eine links neben der Tür etwa 30 Zentimeter über dem Boden eingemauerte Höhenmarke. Das runde Metallstückchen ist bereits genau vermessen und dient bei Vermessungsarbeiten in der Nähe des Wasserturms als Anhaltspunkt. Es trägt die Nummer 27, die Daten sind bei der Gemeinde hinterlegt. Demnach befindet sich die Marke auf einer Höhe von genau 303,5 Metern über Normalnull.