Über den Unfall spricht Michael Pietrowiec offen. Es geht nicht anders. Wer den 50-Jährigen ansieht, entdeckt unschwer das Meer an Narben bis hin zu seinen Händen. Und dabei hatte der Goldschmiedemeister noch unglaubliches Glück. Mehrfach.
Nicht nur kann Michael Pietrowiec heute trotz erlittener schwerster Verbrennungen an Kopf und Händen wieder in seinem Beruf arbeiten, er repariert, entwirft und fertigt zudem just in dem Juweliergeschäft in der Theaterstraße Schmuck, in dem er gelernt hat.
Das allerdings nur wegen eines Trauerfalls. Gerade, als Pietrowiec wieder einigermaßen genesen war, starb sein einstiger Lehrmeister Bernhard Süssenguth plötzlich, und dessen Sohn Maximilian stand als gelernter Kaufmann und Handelsfachwirt in Ausbildung vor einer verwaisten Goldschmiedewerkstatt. Er brauchte einen Goldschmied und ging auf Michael Pietrowiec zu, der inzwischen wieder in seiner eigenen Werkstatt in Heidingsfeld arbeitete. Man kannte sich, die freundschaftliche Beziehung und vor allem das Vertrauen waren da. Die beiden zögerten nicht, Pietrowiec übernahm die Leitung der Werkstatt bei Süssenguth. Dass er auch Ausbilder ist, kommt der Goldschmiede zu pass.
Ein Blick zurück: Pietrowiec, Goldschmied und Restaurator, bearbeitete am 23. Juli 2012 einen Buchenholzbalken, als der schreckliche Unfall geschah: Er erwischte mit einem Bandschleifer einen Nagel im Holz, der ihm vorher nicht aufgefallen war. Der Nagel wurde glühend heiß. Mit dem Schleifstaub ergab das eine Verpuffung, der ein Feuerball folgte. Pietrowiecs Haare brannten sofort. Er griff zum Handtuch und erstickte die Flammen auf seinem Kopf. Mit dem Rettungshubschrauber wurde Pietrowiec zum Krankenhaus geflogen. Wochenlang lag er im künstlichen Koma. Die Fetzen, die er in den ersten Schrecksekunden für verkohlte Kleider gehalten hatte, waren Hautfetzen. Später erst drang die Information zu ihm durch, dass 33 Prozent seiner Haut verbrannt waren. Die kaputten Hautzonen mussten zum größten Teil mit Haut aus dem Oberschenkel ersetzt werden.
Pietrowiec erhielt Morphium, wurde nach mehreren Rückschlägen wiederbelebt – und machte dann eine schier unglaubliche Genesung durch: Statt veranschlagter zwölf bis 15 Wochen verbrachte er nur fünf auf Reha; noch im Kompressionsanzug, den er tragen musste, um die Narben zusammenzuhalten und keine Wucherungen entstehen zu lassen, fing er wieder an zu arbeiten.
Nur vier Monate nach dem Unfall stand er wieder in seiner Werkstatt, die seine Freunde nach dem Brand neu aufgebaut hatten. „Man muss wirklich einen knallharten Willen haben“, antwortet er heute auf die Frage, wie jemand so etwas überstehen kann. Geholfen habe ihm auch Sport, den er immer betrieben hatte: Fitnesstraining, aber vor allem auch Ninjutsu, das neben Kampfkunst auch Geduld, Ausdauer und Selbstdisziplin lehrt.
Er hat seine Haare wieder etwas wachsen lassen, bewegt sich und seine Finger wieder, als wäre nichts gewesen. Auch wenn durch die Hautverpflanzungen teilweise etwas viel Haut anwuchs, hinderliche „Schwimmhäute“, die er an einer Hand bereits hat entfernen lassen. Über kurz oder lang ist die zweite Hand dran, sagt er lächelnd, während er an einer Krone weiterarbeitet, die für eine Weinprinzessin wieder im ursprünglichen Glanz erscheinen soll. Lächeln, das kann der 50-Jährige auch deswegen wieder, weil er sich, wie er sagt, sehr wohl fühlt im Fünf-Mann-Betrieb plus Bulldogge Lana, die dem Chef gehört. Kleine und große Aufträge kommen herein und werden erfüllt.
Und Pietrowiec spart nicht mit Lob für seine Mitarbeiter. Seine Auszubildende Angela Kiefer zum Beispiel hatte vor der Einstellung im August vergangenen Jahres drei harte Probetage arbeiten müssen. Inzwischen sei sie eine der besten, sagt ihr Meister.
Ein Auszubildender im Goldschmiedehandwerk braucht Eins-A-Feinmotorik, muss die Hornhaut aushalten, die sich am Anfang beim Feilen und weiteren Arbeiten bildet, muss den Umgang mit Metallen und Legierungen lernen, muss so genannte Tiefzieh-Eigenschaften kennen (Material in eine andere Form ziehen ohne dass es reißt), ebenso Galvanik (Vergolden, Versilbern), Gefahrstoff- und Werkstoffkunde und vieles mehr. Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung. Allerdings muss auch der Meister selbst noch immer – auch als erfahrener Goldschmied – tief durchatmen, wenn er einen Fünf–Karäter-Allschliffdiamanten fassen soll. Dabei geht es leicht schon mal um über 80 000 Euro.
Nach seiner Lieblingsarbeit befragt, sagt Pietrowiec, eine solche gebe es nicht. „Unser Credo ist, den Kunden zu verzaubern – so, dass er gerne wiederkommt. Ist ein Trauring so gelungen, dass die Kundin große Augen bekommt“, dann sei er stolz auf seine Arbeit. Auf Trauringe hat sich Süssenguth mittlerweile spezialisiert, die sogar in der Handschrift des Partners graviert werden.
Pietrowiec gibt gerne zu, dass es zwischen ihm und dem Junior-Chef Maximilian Süssenguth schon auch mal hakt: zum Beispiel wenn der väterliche Freund Pietrowiec auf eine neue Maschine großen Wert lege und der Kaufmann Süssenguth aufs Geld achte.
Der Goldschmied liebt sein Handwerk. „Abends ziehe ich das Werkzeug manchmal aus meiner anderen Hand 'raus“, erzählt er, um überhaupt aufhören zu können, nach stundenlanger Beschäftigung am Schmuck, über die er eben auch mal die Zeit vergisst.
Material des Goldschmieds
Am häufigsten verwendete Materialien des Goldschmieds sind Gold, Silber, Platin und Palladium in allen üblichen Legierungen. Gelegentlich werden auch die Metalle Titan, Edelstahl, Aluminium, Eisen, Kupfer und Messing verwendet.
Auch Naturprodukte wie alle natürlich vorkommenden Edelsteine (zum Beispiel Diamant, Rubin, Safir, Smaragd, Turmalin,...), Perlen aller Art, Koralle, Cites-Elfenbein (Herkunftsnachweis) und auch einige Edelhölzer wie Ebenholz, Schlangenholz, Zebrano et cetera werden verarbeitet.
Was ist eine Legierung? Eine Legierung ist eine homogene Mischung aus zwei oder mehr Metallen, die im geschmolzenen Zustand gemischt werden und nach dem Erkalten vermischt bleiben. Warum wird legiert? Um die Metalleigenschaften zu verändern. Verändert werden hierbei zum Beispiel die Farbe des Metalls, die Härte, aber auch der Preis. Die geläufigsten Legierungen des Goldschmieds sind: 333/000, 585/000, 750/000, 900/000 sind die üblichsten Goldlegierungen (egal welche Farbe), 800/000, 835/000, 925/000, 935/000 sind die üblichen Silberlegierungen. Hierbei gibt die Zahl an, wie viele Anteile Feingold oder Feinsilber von 1000 in dem Gesamtmaterial enthalten sind.
Juwelier oder Goldschmied?: Der Juwelier ist meist Inhaber eines Fachgeschäftes für Uhren und Schmuck. Ein Juwelier ist Händler; er verkauft in erster Linie. Ein Goldschmied hingegen stellt als Handwerker Schmuck selbst her oder passt ihn an. Er repariert auch Schmuck.
„Man muss wirklich einen knallharten Willen haben“
Goldschmied Michael Pietrowiecz über die Genesung nach seinem Unfall