Me too, ich auch. Nach dem Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein teilen auch Frauen aus Unterfranken den von Schauspielerin Alyssa Milano ins Leben gerufenen Hashtag #metoo. Unsere Volontärin Ivana Biscan berichtet von eigenen Erlebnissen und hat sich bei Frauen in der Region umgehört.
„Ist dir kalt?“, fragte er mich und legte seine Hand auf meinen unbekleideten Oberschenkel, seine Fingerspitzen unter meinem Rock. Ich traf mich in Berlin mit einem Freund von mir. Ein Fotograf aus Frankfurt. Ein verlobter Mann. Es war das erste Mal, dass wir uns alleine trafen. Es war eine abgelegene Ecke, an der niemand vorbeilief. Es war Nacht. Er streichelte mein nacktes Bein, hielt meine Hand, vergrub sein Gesicht in meinem Nacken und küsste ihn. Ich fragte ihn immer wieder, was das soll, worauf er jedes Mal nur mit einem grinsenden 'Nichts?' antwortete. Aber er ist doch verlobt, dachte ich mir. Das verstehe ich doch gerade bestimmt nur falsch, dachte ich mir. Ich konnte gar nicht begreifen, was da geschah. Irgendwann stand ich trotzdem auf und sagte ich würde nach Hause gehen. Er folgte mir.
Er nahm meine Hand, ich zog sie weg, er nahm sie wieder. Er legte seinen Arm um mich, ich entzog mich seinem Griff, er tat es wieder. Niemand lief an uns vorbei, ich wusste nicht, was ich machen sollte. Er bat mich immer wieder mit in sein Hotelzimmer zu kommen. Er setzte sich dann mit in mein Taxi und griff irgendwann nach meiner Hand und zog sie in seinen Schritt. Ich habe sie weggezogen. Ich fühlte mich ganz ekelhaft, als ich endlich ausstieg und den Schlüssel zur Wohnung meiner Freundin umdrehte.“
Ivana Biscan, 20
Wenn ich diese und viele andere Geschichten erzähle, die mir widerfahren sind, fragen mich die Leute oft „Warum hast du ihm keine geklatscht?“ Und ich wünschte, ich hätte in vielen Situationen, in denen mir an den Hintern oder in den Schritt gefasst, oder die Zunge in den Hals geschoben wurde, den Mut dazu gehabt. Aber ich habe oft gar nicht verstanden, was passiert ist oder realisiert, dass ich ein Recht habe, mich zu wehren. Weil ich zu jung war, oder weil die Täter Menschen waren, die ich kannte und eigentlich mochte. Ich habe mich nie getraut wirklich offen über diese Dinge zu sprechen bis der Hashtag #metoo ins Leben gerufen wurde, den Männer und Frauen teilen, die in ihrem Leben sexuell belästigt oder missbraucht wurden.

Dieser Hashtag gibt vielen Menschen Mut, ihre eigenen Geschichten zu teilen. Schnell lässt sich erkennen, dass es jeden treffen kann. Egal in welchem Alter, welches Geschlecht, ob verbal oder physisch, ob auf dem Dorf oder in der Großstadt. Ich habe mich viel zum Thema ausgetauscht und ein paar Frauen aus Unterfranken gefunden, die ihre Geschichten hier teilen.
„Ich habe lange überlegt, ob ich #metoo teilen soll. Einfach weil ich Angst hatte, jemand könnte mich und meine Erfahrungen nicht ernst nehmen. So wie meine Therapeutin, die mir sagte, die Erfahrungen, die ich gemacht habe, seien heutzutage normal. Doch genau deshalb ist es so wichtig. Schon als ich noch relativ jung war wurde ich immer wieder von älteren Männern bedrängt, oder sie haben mir hinterhergerufen, gepfiffen und mich sogar angefasst. Früher war ich sehr schüchtern und konnte mich nicht wehren, wodurch ein paar für mich sehr schlimme Situationen zustande kamen. Daraus entwickelte sich eine große Angst vor älteren Männern, die ich sogar auf meinen eigenen Vater übertragen habe.
Noch heute hab ich Probleme mit dieser Angst, verfalle teils in eine Art Schockstarre, wenn ich von Männern auch nur auf eine bestimmte Art angesehen werde, obwohl ich mich inzwischen zu wehren weiß. Viele dieser Situationen sind direkt in der Öffentlichkeit passiert, selbst in der Würzburger Innenstadt, doch nie ist jemand dazwischengegangen und hat die Situation so eingeschätzt, wie sie für mich war: schrecklich. Deshalb hoffe ich, dass die #metoo-Bewegung manchen Menschen die Augen öffnet.“
*Bianca Connell, 23
Bei verbaler Belästigung, flüchtigen Berührungen des Genitalbereichs oder der Brust über der Kleidung fängt es an. Was unter die Begriffe „sexuelle Gewalt“ oder „Missbrauch“ fällt, weist eine große Bandbreite auf. Von Masturbation vor dem Opfer, über Aufforderung zu sexuellen Handlungen vor der Webcam bis hin zu Vergewaltigung aller Art. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass die Täter ihre Macht- oder Autoritätsposition ausnutzen, um ihre Bedürfnisse auf Kosten des Opfers zu befriedigen.
„Ich war noch ein Kind. Meine Freundin und ich liefen gemeinsam zu meinem Elternhaus. Hinter uns lief ein Mann. Wir hatten den Eindruck er verfolgte uns, aber wir taten so, als merkten wir es nicht. Doch dann folgte er uns in die Einfahrt zum Wohnhaus. Wir versuchten, schnell die Wohnungstür zu schließen, doch er stellte seinen Fuß dazwischen. Er fing an, uns zu erzählen er wolle rein, während meine Freundin permanent versuchte, die Tür zu schließen. Ich rannte in die Küche und holte einen Kartoffelstampfer. Der Mann fing an, sich auszuziehen, doch ich schlug ihm mit dem Stampfer fest auf den Fuß, so dass er ihn aus dem Türrahmen zog. Ich erzählte sofort meinen Eltern davon, als sie nach Hause kamen und wir gingen zur Polizei. Wir sollten Hunderte Fotos von bekannten Sexualstraftätern ansehen, um den Mann zu identifizieren. Er wurde nie gefunden. Das Unglaubliche war jedoch die Menge an Männern, für die es damals normal schien, Mädchen anzufassen oder Kindern hinterherzulaufen.“
*Birgit Schmidt, 56 (Mutter)
Es trifft weitaus mehr Menschen, auch aus dem eigenen Bekannten- und Freundeskreis, als die meisten wohl vermuten würden. Laut dem Jahresbericht des Wildwasser Würzburg e.V fanden 2016 in ihrem Verein 283 Beratungen und therapeutische Begleitungen von Mädchen und Frauen – darunter 49 Weiterführungen aus dem Jahr 2015 – statt. Der Polizei Unterfranken sind aus dem Jahr 2016 insgesamt 608 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bekannt. Unter den 480 bekannten Opfern waren 393 weiblich und 87 männlich. Womit die Zahl im Vergleich zu den 559 Fällen im Jahr 2015 gestiegen ist. Dazu kommen allerdings noch 287 Fälle von sexuellem Missbrauch, 167 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern, 71 Vergewaltigungen und weitere sexuelle Straftaten.
„Ich dachte nie, dass ich ein Opfer sexuellen Übergriffes wäre, bis viele Frauen im Netz ihre Geschichten posteten. Dabei fiel mir meine wieder ein. Ein sehr talentierter Fotograf wollte mit mir Fotos schießen, die zum Teil für sein Projekt „sexier“, aber ohne Gesicht sein sollten. Aber auch harmlosere Bilder für meine Verwendung. Ich war hin- und hergerissen, aber entschied mich für das Fotoshooting, obwohl meine Mutter und mein Freund mir vehement abrieten.
Während des Shootings fühlte ich mich ziemlich unwohl, und die Tatsache dass der Fotograf mich „aus Versehen“ in meinem Schritt berührte, machte es nicht besser. Ich war so perplex, dass ich tatsächlich geglaubt habe, das sei aus Versehen passiert. Eigentlich hätte ich hier schon meinen Mund aufmachen und das Fotoshooting beenden sollen, aber ich hatte Angst, ihn zu verärgern. Man weiß in der Theorie genau, wie man sich in einem solchen Moment verhalten sollte, aber kann es nicht praktisch anwenden. Ich erzählte niemandem davon. Ich schämte mich, denn ich hatte das Gefühl, selber an der ganzen Sache schuld zu sein. Ich verdrängte das alles bis vor ein paar Tagen, und endlich weiß ich: Nein, verdammt, ich bin nicht schuld! Ich wurde angefasst ohne meine Erlaubnis gegeben zu haben! Ich finde diese Bewegung toll, denn sie öffnet vielen Menschen, die sexuell belästigt wurden, die Augen und hilft ihnen, das Geschehene zu verstehen und zu verarbeiten.“
*Sophie Schmidt, 23
Viele haben immer noch Angst über sexuelle Übergriffe, die ihnen widerfahren sind, zu sprechen. Aus Scham oder Angst, ihre Freunde und Familie damit zu belasten. Doch selbst, wenn man niemanden in seinem Umfeld hat, mit dem man reden möchte, es gibt viele Stellen, an die man sich wenden kann, wenn man sexuelle Gewalt erlebt hat. Und es gibt Hoffnung, dass #metoo weiter dazu beitragen wird, dass Menschen jeden Geschlechts und jeden Alters sich trauen, ihre eigene Erfahrung nicht länger alleine mit sich tragen zu müssen.
*Namen geändert