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WÜRZBURG: Untersuchungsgefangene treiben es bunt

WÜRZBURG

Untersuchungsgefangene treiben es bunt

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    Kontrast bei den Dienstags-Malern im Knast: Üppig tätowierte Gefangene werden da zum ersten Mal seit ihrer Schulzeit wieder mit Pinsel und Wasserfarben kreativ.
    Kontrast bei den Dienstags-Malern im Knast: Üppig tätowierte Gefangene werden da zum ersten Mal seit ihrer Schulzeit wieder mit Pinsel und Wasserfarben kreativ. Foto: Fotos (bearbeitet): Barthel

    In den Knast geht man, vom Personal abgesehen, nicht freiwillig. Reinhold Müller, Jahrgang 1944, ist da eine Ausnahme: Der ehemalige Mitarbeiter der Direktion für Ländliche Entwicklung, früher Flurbereinigungsdirektion, rückt seit fünf Jahren einmal in der Woche ein – am Dienstag früh, zu einem Malkurs hinter Gittern mit Farbstiften oder Wasserfarben. Teilnehmer sind sechs bis acht Untersuchungsgefangene, die Warteliste ist lang.

    Dass es manchem dabei gar nicht ums Malen geht, dass man nur Abwechslung und Zuhörer sucht, kann Müller nicht ausschließen, stört ihn aber auch nicht. Reinhold Müller will von dem, was ihn ein Leben lang in seiner Freizeit fasziniert hat, vom Malen in allen Facetten, will er den Gefangenen ein bisschen was vermitteln, damit die mit Stift oder Pinsel während der oft langen und langweiligen Untersuchungshaft ein wenig kreativ sind, abgelenkt werden und auch mal kleine Erfolgserlebnisse haben. Er nennt als Beispiele selbst gefertigte Weihnachts- oder Glückwunschkarten der Inhaftierten für die Mutter draußen, die Ehefrau oder die Kinder, Immer wieder entdecke da einer ein bis dahin verborgenes Talent.

    Was springt beim Malkurs raus für Rentner Müller? 20 Cent pro Kilometer für die Fahrt zur Justizvollzugsanstalt (JVA) am Friedrich-Bergius-Ring. Mit Taschengeld aufbessern sei bei dem Job nichts drin, darum geht?s ihm auch gar nicht.

    Über das „warum?“ redet Müller nicht gern und schon gar nicht viel. Er lässt sich kein Etikett als „guter Mensch“ an die Brust heften. Er wollte einfach einen Teil seiner Freizeit, obwohl durch einige Stammtische und immer wieder auch durch Aufträge als Künstler fast „ausgebucht“, für etwas Ehrenamtlich-Sinnvolles nutzen, ohne organisatorischen Hintergrund und Vorgaben.

    Dass Gefangene immer wieder mal am Ende der Malstunde fragen, ob er am nächsten Dienstag auch ganz sicher wiederkommt, ist für ihn ein Hinweis, dass man das Angebot nicht als selbstverständlich hinnimmt.

    Müller wäre als Jugendlicher gern in einen künstlerischen Beruf gegangen, Grafiker zum Beispiel, aber der Vater meinte damals, er solle „was Ordentliches“ lernen, wo man auch was verdient. Bei der Flurbereinigung, als Verwaltungsangestellter im mittleren Dienst, waren Müllers künstlerische Fähigkeiten dann nicht besonders gefragt. Er, der gern mit dem Pinsel ausholt, mit den Farben spielt, zwischen dicken und dünnen Strichen abwechselt, musste viele Jahre lang überwiegend exakte Striche zeichnen, in Schwarzweiß, auf den Millimeter genau, in der Bauabteilung am Computer, Baupläne für Straßenbau, Feldwege und Dorferneuerung.

    Aber das Malen nebenbei hat ihn nicht losgelassen, er hat sich bei renommierten Künstlern der Region in Kursen weiter entwickelt und ist vielseitig geworden – bis hin zu zu Bühnenbildern für Theater-Vorstellungen der Veitshöchheimer Kammeroper und Prunksitzungen in der Zellerau. Großformatige Wandbilder schmücken Würzburger Weinstuben, dazwischen hat Müller auch mal für einen Anhänger des FC Bayern München dessen Garagentor entsprechend gestaltet, er hat für Beerdigungsinstitute Urnen bemalt und eine Aussegnungshalle, dazu Eingangshallen von Schulen und Kindergärten.

    Viel fragen müsse er da bei seinen Malstunden in der JVA nicgh, wer was für ein Ding gedreht hat, so Müller, das erzählen die meisten ungefragt. Immer häufiger sitzen Ausländer in der Runde, die kaum ein Wort Deutsch sprechen und mit Stift oder Pinsel ein bisschen von dem rüberbringen wollen, wie sie sich fühlen.

    Müller lehnt das kumpelhafte „Du“ und „mitleidiges Getue“ ab, die meisten sagen „Sie“ zu ihm und wenn einer ihn gleich duzt, stört ihn das auch nicht. Nur wenn einer reinkommt in den Gruppenraum, den Kasten mit den Wasserfarben unterm Arm und „ei Alter“ sagt, dann grantelt Müller unmissverständlich ein bisschen vor sich hin.

    Und die Motive? Alles mögliche. Venedig mit Canale Grande, Gondoliere und drohenden Gewitterwolken, die Alte Mainbrücke mit Festung Marienberg, Tiger im Dschungel kurz vor dem Sprung auf eine Gazelle – da hat Müller freie Hand.

    Ein Mann vom Balkan, achteinhalb Jahre für Drogengeschäfte, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, legt plötzlich den Pinsel zur Seite und versucht, zu erklären, was Müllers Dienstags-Kurse für ihn bedeuten. „Menschlichkeit lässt immer mehr nach“, sagt er, „in 20 Jahren musst du einem fünf Euro zahlen, damit er dir die Hand gibt. Herr Müller, Gott wird es ihnen lohnen, was sie hier tun“. Und ein Italiener, Schwerpunkt Betrug, legt nach: „Ihre Hände sind gesegnet, ich möchte sie küssen“. Das lehnt Rentner Müller ab. Aber es sind Erlebnisse, die ihn darin bestätigen, dass die Entscheidung, einmal in der Woche in den Knast zu gehen, richtig war.

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