Im V-Mann-Prozess hat das Gericht ein Urteil gefällt. Zu zwei Jahren und drei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt das Gericht den früheren V-Mann des Landeskriminalamtes (LKA). Im konkreten Fall ging das Gericht davon aus, dass das LKA nicht von der Einfuhr der 10 Gramm Crystal Meth (Droge) zuvor wusste oder sie gar initiiert hatte. Der Angeklagte kündigte noch im Gerichtssaal an, nochmals in Revision zu gehen.
Zum Hintergrund: Exakt drei Jahre nach dem Urteil gegen den früheren V-Mann des Landeskriminalamtes (LKA) in erster Instanz wurde im zweiten Versuch der Wahrheitsfindung die Beweisaufnahme geschlossen. Seit Monaten wird verhandelt, mit immer neuen Überraschungen, die vor allem Verteidiger Alexander Schmidtgall auf den Tisch legte. Geduldig gab das Gericht um den Vorsitzenden Konrad Döpfner der Verteidigung viel Spielraum - schmetterte aber auch manche Beweisanträge ab, die ihm zu fern lagen.
Der Fall enthüllte zweifelhafte Praktiken des Landeskriminalamtes und massive Behinderungen des Gerichts. Im Lka wurden Daten nachträglich verändert und Vorgesetzte wohl nur so informiert, dass keine Aufregung entstehen sollte - was gründlich schief ging. Innen-Staatssekretär Gerhard Eck informierte auf der Basis zweifelhafter Informationen, die er vom LKA erhielt, den Landtag ungenügend. Das Gericht dachte darüber nach, Eck in den Zeugenstand zu laden. Auch von einem Untersuchungsausschuss war im Landtag zeitweise die Rede - viel Wirbel um einen kleinen Fall, in dem es nur noch um die Einfuhr von zehn Gramm Crystal geht.
Gericht bewertet Rolle des Spitzels
Aber es geht auch um einen schillernden Angeklagten, der sagt, er habe im V-Mann-Einsatz gegen Kriminelle Rocker für das LKA die Kohlen aus dem Feuer geholt. Dafür gebühre ihm keine Strafe.Ob Lka-Beamte sich gerade noch an Regeln hielten oder Grenzen überschritten, ist Gegenstand von separaten Ermittlungen gegen sechs Beamte.
Wie das Gericht die Rolle des Spitzels bewertet, entscheidet sich heute: Geriet der V-Mann mit der langen kriminellen Karriere dem Lka außer Kontrolle? Trug er auf beiden Schultern, kassierte also beim Lka und bei den Straftaten, die Teil seiner Rolle als V-Mann waren? Oder wurde er ausgenutzt und dann ausgemustert, als er aufgeflogen war und dem Lka nichts mehr nutzte?
Angeklagter steht im Scheinwerferlicht
Mario W. ist schwer einzuschätzen. Er genießt es, durch die Berichterstattung im Scheinwerferlicht zu stehen. Zu gerne hörte er in den vergangenen Wochen, er sei als V-Mann ungewöhnlich erfolgreich gewesen. Er ist aber auch einer, der im bürgerlichen Leben immer wieder scheiterte, ins Kriminelle Milieu abdriftete und von Straftaten lebte - ohne Rücksicht auf andere, wie er in abfälligem Ton über die ausspionierten kriminellen Rocker mit dem passenden Namen "bandidos" zugab.
Seiner arbeitslosen Tochter verhalf er zu Einkommen, indem er ihr Drogen aus Tschechien besorgte. Die verkaufte sie in der Kitzinger Rauschgiftszene weiter. Und das brach dem Spitzel schließlich das Genick: Würzburger Drogenfahnder ermittelten gegen die Tochter und ihren Lieferanten. Das LKA geriet in Verdacht, diesen Einsatz verraten zu haben, um seinen V-Mann zu schützen. Drogengeschäfte brachten Vater und Tochter dennoch in Haft, weil unterfränkische Fahnder den Fall - trotz Verrats an W.s Tochter - hartnäckig bis zum Schluss verfolgten.
Manche Erzählungen zu abenteuerlich
Im ersten Prozess 2013 klangen seine Erzählungen für Gericht und Journalisten noch sehr abenteuerlich. Und bis heute wirkt manches kaum glaublich. Aber der Prozess und interne Ermittlungen beim Lka brachten Belege dafür, dass manche Erzählungen nicht so abenteuerlich waren wie sie zunächst klangen. Ob sie in entscheidenden Details stimmen,muss das Gericht entscheiden.
W. war am 9. August 2013, vom Landgericht Würzburg zu über sieben Jahren Haft verurteilt worden. Der größte Teil der abgeurteilten Straftatenserie wurde rechtskräftig, bis auf eine: Ein Drogenschmuggel von 9,7 Gramm Crystal Meth über die Grenze bei Waldsassen am 23. November 2011.
Die Staatsanwaltschaft ging in Revision, weil damals ein Messer im Auto von Mario w. gefunden worden war. Dann entschied der Bundesgerichtshof auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin, dass die Drogeneinfuhr erneut geprüft werden müsse – darauf, ob Mario F. nicht eine viel härter zu bestrafende bewaffnete Einfuhr begangen habe.
Die V-Mann-Affäre kam dazwischen
Doch inzwischen begann die Nürnberger Kripo mit Ermittlungen gegen LKA-Beamte, die mit dem V-Mann-Einsatz befasst waren. Die Nürnberger Ermittler gruben Straftaten aus, die mehrere LKA-Beamte deswegen begangen haben könnten: Kenntnis oder Beteiligung an einem Baggerdiebstahl, Falschaussagen vor Gericht, Strafvereitelung im Amt, mögliche unzulässige Beeinflussung des ersten Würzburger Prozesses.
„Rehabilitierung ein Stück weit gelungen“
Jetzt sagt auch Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen: „Wenn es dem Angeklagten um Rehabilitierung ging sie ist ein Stück weit gelungen.“ Laut Raufeisen habe man aber im Prozess nicht nachweisen können, dass jemand im LKA von der Einfuhr der zehn Gramm für den Regensburger Rockerchef vorab gewusst hatte oder die Tat gar angewiesen hätte. Mario F. sei deshalb schuldig zu sprechen. Raufeisen beantragt zwei Jahre und neun Monate Haft.
Verteidiger Alexander Schmidtgall sagte, die Beweisaufnahme habe ein „System“ offengelegt, mit dem das Landeskriminalamt seinen „Top-V-Mann“ Mario bei den Regensburger „Bandidos“ eingeschleust und erfolgreich geführt habe: Sein Mandant habe im Auftrag des Amtes Straftaten begangen, um in die abgeschottete Bande hineinzukommen und um nicht aufzufliegen. Wurde Mario F. doch mal gefasst, sei er mit dubiosen Methoden herausgepaukt worden. Im Fall eines Baggerdiebstahls in Dänemark sei die zuständige Kripo in Amberg sogar zur Fälschung von Ermittlungsergebnissen gedrängt worden – sozusagen „zum Wohl eines übergeordneten staatlichen Interesses“.
Der Verteidiger gibt zu, dass es für den LKA-Auftrag, die 9,7 Gramm Crystal im November 2011 einzuschmuggeln, keinen letzten Beweis gebe, das LKA-System lasse aber keinen anderen Schluss zu.
Der erste Prozess war „entwürdigend“
Verteidiger Norman Jakob sagte, dass der erste Prozess kein fairer Prozess gewesen war. Die V-Mann-Akten waren gesperrt und das Erstgericht um den Vorsitzenden Volker Zimmermann sei deshalb „in entwürdigender Weise“ gegen die Wand gelaufen.
Hans Joachim Schrepfer sagte: „Im ersten Prozess schrieb der Prozessbeobachter des LKA, dass ich meinen Mandanten nicht ernst nehme. Ich gebe zu, dass ich meinem Mandanten damals Unrecht getan habe. Dafür entschuldige ich mich ausdrücklich.“ Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen hielt sich an den Kern der Anklage, die Einfuhr von zehn Gramm „Crystal“ aus Tschechien. Die sei bewiesen.
Dafür hält er zwei Jahre und neun Monate Haft für angemessen. Aber „ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass das Verfahren damit zu Ende ist“, formulierte Raufeisen im Plädoyer seine Erwartungen.
Verteidiger: "Mandant habe kein faires Verfahren gehabt"
Darauf lassen die Plädoyers der drei Verteidiger Norman Jacob, Hanjo Schrepfer und Alexander Schmidtgall schließen. Sie sind überzeugt, dass das Gericht bei der Wahrheitsfindung behindert wurde. Deshalb fordern die Verteidiger die Einstellung und Freilassung des Angeklagten nach fünfjähriger Haft.
Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Möglicherweise müssen sich die Gerichte nach der Würzburger Entscheidung noch damit befassen.
Zur Drogeneinfuhr rief Mario W. im „letzten Wort“ – das Angeklagten vor dem Urteil zusteht – zu einer realistischen Sicht seiner V-Mann-Tätigkeit auf: „Was glaubt Ihr, was man da bei den Rockern macht – Schach spielen?“ Mit der in zwei Prozessen erworbenen Redegewandtheit schloss er seine halbstündige Erklärung mit den Worten: „Ich möchte kein mildes Urteil, Herr Vorsitzender. Ich will, dass Sie Rechtsstaatlichkeit wieder herstellen – und mich rauslassen.“ Um 10 Uhr soll das Urteil fallen.