Horst Schmidtchen hat viel zu erzählen. Vom Zweiten Weltkrieg, als er als Soldat in Frankreich diente. Und von den Jahren lange nach dem Weltenbrand, als er als Mechaniker für Textilmaschinen 16 Länder der Welt bereiste. Die Zuhörer des 89-Jährigen könnten seine Enkel sein. Angehörige der U.S. Army, des früheren Gegners, stationiert in Vilseck/Oberpfalz. Frisch zurück aus Afghanistan besuchten sie das Seniorenzentrum Estenfeld, lauschten den Geschichten der dort lebenden Veteranen. Und würdigten sie auf ganz spezielle Weise.
Möglich gemacht hat das Treffen Cynthia Fekete. Die Mitarbeiterin des Seniorenzentrums pflegt persönliche Kontakte zu Captain Nicholas Nelson, Offizier der War Eagles, 1st Squadron, 2nd Cavalry Regiment, stationiert in Vilseck/Oberpfalz.
Eigentlich sollte es nur ein lockerer Nachmittag mit musikalischer Unterhaltung werden; heraus kam ein großer offizieller Besuch. Denn viele der jungen Soldaten wollten etwas über das Schicksal der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeneration erfahren.
Und so kann Horst Schmidtchen stolz mit Captain Nelson in die Kamera lächeln. Kaum zu glauben: Für ihn ist es die erste Begegnung mit Angehörigen des amerikanischen Militärs. Der gebürtige Chemnitzer hatte sich im Krieg für den Dienst als Kradfahrer gemeldet. Als solcher pendelte er zwischen Front und Hinterland, brachte Nachrichten von oder zu den Dienststellen.
Mehrfach wurde er beschossen und auch verletzt. Zum Glück niemals schwer. Wer ihn da ins Visier nahm, ob Briten, Franzosen oder Amerikaner: Schmidtchen weiß es nicht mehr, konnte es wohl auch nicht feststellen.
Später geriet er in das Einflussgebiet der Roten Armee. Erst wenige Jahre vor dem Mauerbau 1961 floh Schmidtchen in den Westen. Seine berufliche Reisekarriere begann. Doch so viele Länder er besuchte – in die USA schaffte er es nie.
Nun also das Treffen mit Captain Nelson und seinen Kameraden. Schmidtchen nutzt seine beruflich erworbenen Englisch-Kenntnisse. Von Chemnitz hatten die meisten seiner Zuhörer noch nie gehört.
Mit ausgefeilten Englisch-Kenntnissen glänzen kann Emil Förster – wie viele seiner Generation – an diesem Nachmittag nicht. Trotzdem zieht er die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich – mit seinem in der Nazizeit ausgestellten Wehrpass.
Dabei musste der Estenfelder nie in eine Schlacht ziehen. Kurz vor Ende des Krieges wollte der Gauleiter den damals 17-Jährigen noch in die SS pressen. Förster weigerte sich und lief davon. Ein hohes Risiko, aber für ihn ein Glücksfall. Die SS ließ ihn in Ruhe. Sein nur zwei Tage älterer Freund hingegen wurde in die Armee gesteckt. Er überlebte den Krieg zwar, musste aber ein halbes Jahr russische Kriegsgefangenschaft ertragen.
Und so kommt es, dass US-Soldat Alejandro Jara Försters alten Wehrpass begutachtet – und als Erinnerung mit dem Handy abfotografiert. Für ihn ist es die erste Begegnung mit einem deutschen Kriegsveteranen.
Bewohner des Seniorenzentrums Estenfeld ist Edwin Röser nicht. Der 89-Jährige hatte in der Zeitung von dem Treffen gelesen und wollte dabei sein. Schließlich verfügt der in Estenfeld Aufgewachsene über die meiste Kriegserfahrung mit Amerikanern. Als Angehöriger der 2. Panzerdivision unter Heinz Guderian erlebte er die am 6. Juni 1944 begonnene Invasion in der Normandie. Bei Caen wurde sein Panzer abgeschossen. Briten nahmen ihn gefangen. Sie steckten Röser in ein Verhörlager in Southampton, brachten ihn nach London und ins schottische Glasgow.
Dann verschiffte man ihn in die USA. Elf Tage dauerte die Passage, bis Röser die Freiheitsstatue erblickte. Zwei Jahre verbrachte er in einem Lager in Norfolk/Virginia. Eine Zeit, in der es ihm sehr gut ging. Die Versorgung mit Essen und Trinken klappte; man las täglich die "New York Times".
Als Röser am 19. Januar 1949 nach weiteren zwei Jahren Arbeit in einem französischen Kohlebergwerk nach Deutschland zurückkehrte, waren die Anfänge der Besatzung längst vorüber. Die ehemaligen amerikanischen Kriegsgegner stellten für ihn keine Fremden mehr dar.
Und bei dem Treffen in Estenfeld? „Ich denke mehr oder weniger an meine Zeit als Soldat zurück“, sagt Edwin Röser.
Die amerikanischen Soldaten geben sich als zuvorkommende Gäste. Bei einer feierlichen Zeremonie mit Organisatorin Fekete erklären sie das Seniorenzentrum zum „Ort der Ehre“. Einige Veteranen werden ausgezeichnet. Die Amerikaner grillen für die Bewohner. Ein Treffen, das beide Seiten nicht vergessen werden.