Bunt war das Völkergemisch, das ab 1945 mit der amerikanischen Besatzungsmacht nach Unterfranken kam. So reisten an: der „Yankee“ von der Ostküste der USA, Mexikaner vom Rio Grande, Cowboys mit deutschen Wurzeln aus dem Mittleren Westen, Holzfäller aus Alaska mit russischen Namen, Navajo- Indianer aus ihrem Reservat, Japaner aus Kalifornien, Italiener aus New York, Schwarze von den Baumwollfeldern des Südens. Es kamen Latinos aus Puerto Rico, Ureinwohner von Hawaii. Sie kamen von den amerikanischen Samoa-Inseln. Oder sie waren auf den Philippinen geboren oder auf Jamaica. So fand sich ein Farmerjunge aus North Dakota im romantischen Würzburg wieder. Der schwarze Boy aus der brodelnden Bronx wurde in Wildflecken in der Rhön stationiert. Ein Kulturschock für viele.
In den Würzburger „Leighton Baracks“ oberhalb des Frauenlands hatte die 3. US Infanterie Division ihr Hauptquartier. Die Marneland-Soldaten waren auch in der Faulenbergkaserne (Instandsetzungs-Kompanie) an der Nürnberger Straße untergebracht und in den Emery Baracks in der Dürrbachau, heute Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Die ADA war dort stationiert, eine Luftabwehreinheit mit Raketen auf dem Schenkenturm. Schießübungen absolvierten die Soldaten im Mittelmeer vor Kreta. In der Zellerau war das 123rd Signal Bataillon untergebracht, die Nachrichteneinheit der Division. Im „River Building“ am Mainkai war neben dem Arbeitsamt die US-Militärpolizei. Im Frauenland gab es das US-Hospital. Vor dem Abriss war dort noch lange der Bunker des Würzburger NSDAP-Gauleiters Otto Hellmuth zu sehen gewesen. Die Telefonverbindungen zwischen den Kasernen war oft problematisch. Das Netz stammte noch aus dem Dritten Reich. „Hitlers revenge“ (Hitlers Rache), sagten die Amis damals dazu.
Auf einer Anhöhe bei Lengfeld gab es hinter Bäumen versteckt eine kleine Radarstation, ebenso auf dem Schwanberg bei Kitzingen. Auf dem Giebelstadter Flughafen landeten Armee-Hubschrauber. 15 000 US-Soldaten und mehr waren in den 70er Jahren in Unterfranken stationiert. Zu Manövern ging es mit Panzerzügen ab Kitzingen-Etwashausen nach Grafenwöhr auf den großen Truppenübungsplatz in Bayerischen Wald. Die unbeschwerten, grenzenlos selbstbewussten GIs tauchten besonders nach dem „Pay Day“, dem Soldauszahlungstag, in den Städten, zuweilen auch auf dem Land, auf. Der Dollar stand damals hoch im Wert und manch braves deutsches Mädchen verfiel dem Charme eines Yankees oder gut gebauten dunkelhäutigen Soldaten. Zurück blieben oft junge Mütter mit ihren unehelichen Kindern. „Mischlingskinder“ hatten es damals noch schwer. Von der heutiger Toleranz war man in den 70ern noch weit entfernt.
Die jungen amerikanischen Soldaten tummelten sich in ihren typischen Schwimmshorts den Freibädern, warfen sich ihre Footballs zu, trainierten Baseball und picknickten mit Grill am Mainufer oder am Badesee. Truthähne brutzelten am offenen Feuer; Cadillacs, Chevrolets oder andere Straßenkreuzer standen in der Nähe. Fasziniert von dem fremden Treiben daneben die deutschen „Kids“. In Kitzingen wurden schon mal Handgranaten aus einem Tretboot in den Main geworfen. Zurück blieben tote Fische. Dort ritt auch schon mal ein Soldat in Cowboy-Montur bei einer Gaststätte vor, band sein Pferd an einen Baum, trank einige Bier und verschwand wieder. Ein Texaner, der sich ein deutsches Pferd gemietet hatte.
Mit den Amis hatte man jedenfalls keine Langeweile. Gebrauchtwarenhändler, Kneipen, Restaurants und Wohnungsvermieter machten beste Geschäfte. Chinesische Schneider verkauften in und außerhalb der Kasernen ihre seidigen Bomberjacken. Beliebte Motive: die Deutschlandkarte und das Divisionsmaskottchen, der „Dog faced Soldier“. Und es gab die schwarzen „Dandys“. Piekfein gestylt mit Hut und Spazierstöcken, Krawatte und Lackschuhen, Zigarre rauchend wie ihr Vorbild Sammy Davis jr. Hatte man Glück, wurde man mal in den NCO-Club in eine Kaserne eingeladen. Da gab es Rock-Musik, Swing und Jazz.
Pizza beim Italiener und Reisgerichte vom Chinesen waren die Soldaten aus den USA gewohnt. Aber „German Beer“ und ein Schnitzel war für die US-Amerikaner, in deren Heimat Alkoholgenuss oft streng reglementiert ist, immer was Besonderes. Mancher Ami trank in Deutschland sein allererstes Bier. Auch auf dem Würzburger Kilianifest waren die Soldaten mit ihren Familien immer gerne.
Auf Kiliani hatte die US-Militärpolizei ihre Station direkt neben der damaligen Würzburger Stadtpolizei. Schlägereien zwischen den Soldaten aus Übersee wurden von raubeinigen MP-lern mit ihren langen Schlagstöcken schnell beendet. Schwarze und weiße US-Soldaten kamen sich Anfang der 70er Jahre noch oft in die Quere. Die Rassentrennung in den Streitkräften war erst 1948 aufgehoben worden. Besonders Südstaatler hatten noch viele rassistische Vorbehalte. In Kitzingen kam es noch zu blutigen Straßenschlachten zwischen Schwarzen und Weißen. Dort gab es zwei Lokale, die nur von Schwarzen frequentiert wurden. Ging ein weißer Ami rein, konnte es schon mal sein, dass er durchs Fenster wieder herausgeflogen kam. Undisziplinierte Soldaten wurden immer wieder nach Vietnam versetzt.
Die Rückkehrer zeigten sich unter Alkohol besonders aggressiv. Sie kamen verroht zurück. McDougle, ein pockennarbiger großer schwarzer Sergeant erzählte: „Ich habe jede Grausamkeit gesehen und erlebt. Mich erschreckt oder erschüttert nichts mehr!“ Ein anderer Vietnam-Veteran berichtete: „Ich war in einem US-Hubschrauber, wo befreundete südvietnamesische Soldaten, gefangene kommunistische Vietkong in den unter uns liegenden Urwald, in den grausamen Tod warfen!“ Traumatisiert, mit einer deutschen Frau verheiratet, gewalttätig geworden, landete er später in einem deutschen Gefängnis.
Das Soldatenleben in der zweiten Heimat Bayern war da besser – und barg andere Probleme. „Daheim“ in Kitzingen nahm ein schwarzer Brigade-General Anstoß an „Negerküssen“ und „Mohrenköpfen“, die in Konditoreien verkauft wurden. So stand es damals in der Presse. Elke Sommer, deutscher Filmstar in Hollywood, war das beliebteste Pin-up-Spindgirl der „Marneland-Soldaten“. Es gab Fotos mit Elke Sommer, die in den Kitzinger Harvey Barracks mit Soldaten auf einem Panzer sitzt.
In der Kitzinger US-Offizierssiedlung neben dem Flugplatz in Etwashausen gab es ein einziges deutsches Lokal: „Bambino“, das war auch der Spitzname des Wirts. Der „Türke“ Bambino war eigentlich Aserbaidschaner. Der Muslim hatte sich während des Zweiten Weltkrieges freiwillig zur deutschen Wehrmacht gemeldet. Neben der Eingangstür hing sein Soldatenfoto mit deutscher Uniform und dekoriert mit der höchsten Tapferkeitsauszeichnung. Er war wegen des Abschusses einer großer Zahl russischer Panzer mit dem Ritterkreuz dekoriert worden. Bei den Amis war er geachtet. Seine Kriegsgeschichten gefielen ihnen. Für sie war er ein Held.
In der Faulenbergkaserne. dem Standort der „Facilitiy Engineers“, residierte ein US-Oberst als höchster Chef für die Zivil-und Personalangelegenheiten der US Military Community Würzburg, ein feiner Mensch mit deutscher Frau. Tag und Nacht war an allen Gebäuden das elektrische Licht an. In der Faulenbergkaserne kam auch die amerikanische Kohle von der Ostküste an. Mit ihr beheizten die Amerikaner damals all ihre Kasernen.
Kitzingen war mit seinen unzähligen Bars in den 60er und 70er Jahren „Boom Town“ in Sachen Vergnügung, Unterhaltung, Musik, Sex für Deutsche, aber vor allem für die Amerikaner. Ami-Flair herrschte in der 18 000-Seelen-Stadt. Waren doch zeitweise über 8000 US-Soldaten hier stationiert. „Hill Billy“, „La Paloma“ und „Ebony Bar“ waren Kultstätten. „Ami-Liebchen“, „Negerhuren“ – heute politisch unkorrekte Bezeichnungen – erregten die Gemüter manch braver, konservativer Zeitgenossen.
Am deutschen Zoll ging manche Whiskeyflasche und manche Stange Marlboro-Zigaretten vorbei. In Kitzingen betrieb die Hubers Mathilde, eine Kriegerwitwe, damals die Gambrinus-Gaststätte gegenüber der katholischen Kirche. An der Wirtshauswand hing ein Flugzeugpropeller. Ihr Mann, ein Ritterkreuzträger, war Stukapilot auf dem nahen Flugplatz gewesen und im Zweiten Weltkrieg tödlich abgestürzt. Jetzt waren auf dem ehemaligen Fliegerhorst die Amerikaner – und der Feind von einst wurde zum gerngesehenen Gast.
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