Hinter der brutalen Gesichts-Verstümmelung eines zeitweise in Veitshöchheim versteckten 19-jährigen Flüchtlings steckt nach Überzeugung des Gerichts kein Kannibalismus. Die Vorsitzende des Hanauer Gerichts brachte in dem bundesweit beachteten Verfahren ein anderes Motiv ins Spiel: eine aus dem Ruder gelaufene Liebe zwischen zwei Männern.
Der Angeklagte soll das Opfer im vorigen Oktober in dessen Wohnung im hessischen Schlüchtern aufgesucht haben - angeblich, um Schulden von 50 Euro einzufordern. Dabei soll er seinem Freund mit zwei Messern gezielt in den Hals gestochen haben. Dann soll der Angeklagte ihm beide Ohrmuscheln abgebissen, mit einem Messer beide Augenlider abgeschnitten und mit einem Kugelschreiber in beide Augäpfel gestochen haben. Das nach der Attacke erblindete Opfer wurde in einer Blindeneinrichtung in Veitshöchheim untergebracht. Doch kurz vor dem Prozess in Hanau tauchte das Opfer unter.
"Ich werde dich fressen"
Nach Angaben seiner Nebenklage-Anwältin ist es zwar gelungen, telefonischem Kontakt zu dem in der Schweiz versteckten Flüchtling herzustellen. Doch er sei aus psychischen Gründen nicht gewillt, am Prozess teilzunehmen, sagte die Anwältin. Ein Polizist sagte als Zeuge über eine Vernehmung des Opfers aus: "Ich werde dich fressen," soll der Angreifer ihm bei der Attacke zugerufen haben.
Inzwischen gibt es massive Zweifel daran, ob Tatverdächtiger und Opfer so jung sind, wie Sie deutschen Behörden angegeben haben. Den Eindruck vermittelte im Zeugenstand ein anderer Flüchtling, der mit dem Angeklagten befreundet ist und wie der Geschädigte vor einigen Jahren als Flüchtlinge spontan den Zug von Mailand nach Frankfurt bestieg - wegen der besseren Chancen, sagt der Mann, der hier den Hauptschulabschluss gemacht hat und bei seiner Befragung ohne Dolmetscher auskommt. Um die Bleibeaussichten zu verbessern, habe man den Tipp befolgt, sich in Deutschland jünger auszugeben, so dass man unter den besonderen Schutzstatus als unbegleitete Minderjährige falle.
Schuldspruch kann gravierende Folgen haben
Der Zeuge gab zu, heute nicht 20 Jahre, sondern fast 24 Jahre alt zu sein, gleiches treffe auch für den Angeklagten zu. Das kann bei einem Schuldspruch gravierende Folgen haben Bisher wird vor dem Jugendschöffengericht verhandelt Bestätigt sich, dass der Beschuldigte zur Tatzeit nicht unter 21 Jahre alt war, gilt für ihn Erwachsenenstrafrecht. Danach müsse der vermeintlich 20-Jährige mit einer deutlich härteren Strafe bis hin zu Lebenslang rechnen. Denn ihm werden versuchter Mord sowie schwere und gefährliche Körperverletzung vorgehalten.
Der Zeuge sagt, Angeklagter wie Opfer hätten sich „extrem viele Horrorfilme“ angesehen, Alkohol getrunken und mal Marihuana geraucht.
„Für eine Drogengeschichte gibt es keine Anhaltspunkte“, betonte Richterin Wetzel. Und die Schulden von 50 Euro, wie es in der Anklageschrift steht, schließt sie ebenso als Motiv aus wie Kannibalismus. Nun muss sich der Angeklagte einem Altersbestimmungsgutachten unterziehen. Er beharrt darauf, gegenwärtig 20 Jahre alt zu sein. Der Prozess wird am 19. Juni fortgesetzt.