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WÜRZBURG: Verwalterin von Schicksalen

WÜRZBURG

Verwalterin von Schicksalen

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    Wann bekomme ich meinen Pass? Wohin werde ich gebracht? Und was passiert mit meiner Familie? Eva-Maria Schmitt im Gespräch mit Flüchtlingen am Heuchelhof.
    Wann bekomme ich meinen Pass? Wohin werde ich gebracht? Und was passiert mit meiner Familie? Eva-Maria Schmitt im Gespräch mit Flüchtlingen am Heuchelhof. Foto: Fotos: Thomas Obermeier

    Es regnet in Strömen. Seit Stunden prasselt das kalte Nass auf den Asphalt. Eva-Maria Schmitt blickt aus ihrem Bürofenster. Der Weg zu den Wohncontainern ist mit Pfützen übersät, die meisten Familien haben sich in ihre engen Zimmer zurückgezogen. Nur ab und an laufen einzelne Personen über das Gelände zum Gebäude 315. Klopfen dort an die Glasscheibe, die für viele in den vergangenen Monaten ein kleines Fenster zur Welt geworden ist.

    „Post?“ Hoffnungsvoll schaut der junge Mann auf dem Gehweg in die Augen der Hausverwalterin. „Ausweis“, fordert Eva-Maria Schmitt und nimmt das Papier durch die geöffnete Scheibe entgegen. Gewohnt geht die Würzburgerin den Stapel neuer Briefe durch, macht hier und da einen Haken auf ihrer Liste und übergibt dem lächelnden Mann ein gelbes Paket. „Der Kontakt zur Heimat ist für viele das Wichtigste“, sagt Schmitt und drückt den Fensterknauf wieder nach unten. Seit acht Monaten leitet die 57-Jährige die Außenposten der Schweinfurter Erstaufnahmeeinrichtung: die vier Notunterkünfte für Asylbewerber in Würzburg. Für sie ist dieser Beruf weit mehr als ein Verwaltungsposten.

    „Wenn ich nur das machen würde, was in meiner Stellenausschreibung steht, könnte ich pünktlich nach Hause.“ Es ist kurz vor zehn am Vormittag, die letzten drei Stunden sind wie im Flug vergangen. Erst beim Abholen von gespendeten Brötchen, dann beim Weiterleiten der aktuellen Flüchtlingszahlen, der Kontrolle des Transfers, beim Schreiben der Postlisten und Telefonieren. „Und das ist noch ein ruhiger Tag“, merkt Schmitt an. Sie wolle sich nicht in den Vordergrund drängen, aber zeigen, dass auch die Verwaltung alles versuche, um den Menschen zu helfen.

    „Mitarbeiterin der Hausverwaltung gesucht“ – als die Erzieherin und Wirtschaftsfachwirtin die Ausschreibung im Juni 2015 las, wusste sie nicht, was sie erwartet. „Ich wollte was mit Menschen machen, organisieren, auch mal improvisieren“, erzählt sie. Kurz darauf war die Mutter zweier erwachsener Kinder für anfangs rund 700 Flüchtlinge verantwortlich. Wie sie auf diesen Job vorbereitet wurde? „Es gab einen Computerkurs“, sagt Schmitt und lacht. Den Rest habe sie nach und nach erlernt. Und lerne es immer noch.

    Die umgebaute Turnhalle am Hubland, das Technikum am Heuchelhof, die Zimmer bei den Erlöserschwestern in der Innenstadt und die Wohnmodule in der Gemeinschaftsunterkunft in der Veitshöchheimer Straße – die vier Flüchtlingsunterkünfte sind so genannte Außenstellen der großen Erstaufnahmestelle in Schweinfurt. Als Mitte vergangenen Jahres immer mehr Menschen ankamen, hat die Regierung von Unterfranken in Würzburg diese Notunterkünfte eingerichtet. Insgesamt sechs Hausmeister und drei reaktivierte Pensionäre stehen Eva-Maria Schmitt in den vier Dependancen stundenweise zur Seite.

    „Ich bin nicht hart, aber ich laber nicht rum.“ Wieder hat es an der Fensterscheibe des Verwaltungsbüros geklopft, dieses Mal hofft ein Mann auf seine Papiere. Klar und deutlich erklärt ihm die Hausverwalterin, dass er dafür zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Schweinfurt müsse, sie alle Fälle sammeln und einen Bus organisieren werde. Jetzt sofort? Nein, sagt Schmitt, er müsse warten. Dann schließt sie das Fenster und widmet sich wieder ihren Ordnern. „Viele denken, ich kann alles.“ Einen Moment lang schweigt die resolute Frau, lässt den Blick schweifen. „Ich versuche es ja“, sagt sie dann, „aber auch mir sind die Hände gebunden.“

    Einer dieser Momente steht am nächsten Morgen an. Ein Transfer eines Mannes, der für die 57-Jährige und ihre Hausmeister in den Wohnmodulen ein wichtiger Ansprechpartner und Vermittler geworden ist. „Das tut weh“, sagt sie. Doch man dürfe es nicht zu nah an sich ranlassen, weitermachen, das große Ganze bedenken. „Ich sehe immer die Einzelschicksale, aber ich sehe auch die derzeit rund 16 000 Asylbewerber in Unterfranken.“ Für März und April rechnet Schmitt wieder mit mehr ankommenden Flüchtlingen.

    Kraft schöpfe sie aus den Momenten, wenn sie etwas bewegen, jemandem helfen kann. Wie jetzt, bei ihrem Besuch bei den Erlöserschwestern in der Innenstadt. Rund 100 Flüchtlinge hat sie hier im Mutterhaus unterbringen können – die meisten sind schutzbedürftig. „Einige sind schwer krank und brauchen Ruhe“, erklärt Schmitt, als sie durch den langen Flur zum Speisesaal läuft. Aber auch viele kleine Kinder und Schwangere wohnen in den Zimmern des Klosters.

    „In den nächsten zwei Wochen kommen hier vier Babys auf die Welt“, informiert die dortige Koordinatorin Lisa Kessler bei der Lagebesprechung im Speisesaal. Auch stehen wieder einige Umzüge und Familienzusammenführungen an. „Da bekomme ich immer Gänsehaut, wenn die Eltern ihr Kind nach Monaten wieder in den Arm nehmen können“, sagt Schmitt, lächelt und streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein solches Erlebnis motiviere sie. Es gibt aber auch andere Neuigkeiten: Ein kleines Mädchen, dessen Gesundheitszustand immer kritischer wird, ein syrischer Apotheker, der einfach keine Arbeit findet und fehlerhafte Pässe.

    „Ich kümmer mich drum“, verspricht die Hausverwalterin und notiert sich Punkt für Punkt in ihr schwarzes Notizbuch. Noch kurz spricht sie mit ein paar Bewohnern, fragt die Kinder auf Deutsch nach der Schule, unterhält sich mit den Eltern und den Schwestern über die Arbeit. Dann packt sie zusammen, setzt sich wieder ins Auto und fährt zur nächsten Station: das Technikum am Heuchelhof.

    Noch bevor Eva-Maria Schmitt das Wort „Post“ in der Aula der Notunterkunft aussprechen kann, ist sie umringt von Flüchtlingen. Sie alle wollen die 57-Jährige begrüßen, mit ihr sprechen, ihre aufgeräumten Zimmer zeigen. Die Erzieherin mit Montessori-Diplom lobt und fordert. „Not allowed“, sagt sie und deutet auf eine selbst kreierte Türkonstruktion aus Lattenrosten, die einige Syrer zur Abtrennung ihrer „Zimmer“ aufgebaut haben. „Das geht nicht wegen der Brandgefahr“, erklärt Schmitt, „aber ihr habt super geputzt.“ Die jungen Männer nicken und lächeln.

    „Ich bin streng, lach aber auch mit den Leuten.“ Die Hausverwalterin ruft die Sicherheitsleute und Hausmeister zusammen und nimmt auf einem Holzstuhl in der umfunktionierten Küche der Notunterkunft zum Mitarbeitergespräch Platz. Wieder notiert sie sich die Sorgen und Wünsche der anderen. Sagt, was möglich ist – und was nicht. „Passt auf, dass ihr nicht zu enge Beziehungen zu einzelnen Menschen hier aufbaut“, mahnt sie. Niemand dürfe bevorzugt werden, das führe zu Streit. Vor allem müsse man auf Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Nationalitäten achten.

    „Alle sollen gleich behandelt werden“, appelliert die Würzburgerin, bevor sie sich wieder verabschiedet, Hände schüttelt und zurück in die Dürrbachau fährt.

    Es ist dämmerig geworden, der Regen tröpfelt nur noch leicht. „Ich hätte nie gedacht, dass der Beruf so stressig wird“, gesteht Schmitt und lässt sich in ihren Bürostuhl sinken. Aufhören wollte sie nie. Man könne etwas bewegen, mitgestalten, anderen helfen. Das motiviert die jahrelange Vereinsübungsleiterin und Tafelmitarbeiterin Tag für Tag.

    Am Abend ist es ruhiger im Büro, nur ab und zu klingelt das schwarze Mobiltelefon, an die Scheibe klopft kaum einer mehr. Konzentriert blättert die 57-Jährige ihre akribisch geordneten Hefter durch, vergleicht Zahlen und Namen, druckt Liste für Liste, Entscheidung für Entscheidung aus. „Es sind so viele Einzelschicksale, da gleicht keines dem anderen“, sagt sie dann. Eine Routine gebe es nicht.

    Hätte die Würzburgerin einen Wunsch frei, dann wäre es dieser: „Ich brauche ganz, ganz viele Menschen, die freie Wohnungen haben.“ Einige Flüchtlinge, die bis zu sechs Monaten in einer Notunterkunft bleiben, hätten bereits ihre Anerkennung erhalten und dürften ausziehen. Doch kaum eine der Großfamilien finde eine Bleibe. „Ich hoffe auf Sozialbauten, in denen Flüchtlinge gemeinsam mit Deutschen wohnen können“, sagt Schmitt. Denn dann hätten diese Menschen, hätten ihre Schützlinge „endlich eine Möglichkeit zu leben.“

    Notunterkünfte in Würzburg

    Die Regierung von Unterfranken hat im Juli 2015 die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Schweinfurt eröffnet. Da die maximale Kapazität von rund 2000 Menschen dort nicht ausreichte, wurden in Würzburg vier Notunterkünfte errichtet. Die Bewohnerzahlen dort schwanken seither ständig.

    • Am Hubland wohnen derzeit 221 Flüchtlinge in einer umfunktionierten Turnhalle.

    • In der Gemeinschaftsunterkunft in der Dürrbachau leben momentan 122 Menschen in Wohnmodulen.

    • Im Technikum am Heuchelhof sind heute 83 Asylbewerber untergebracht.

    • Die Erlöserschwestern in der Innenstadt beherbergen aktuell 79 Flüchtlinge.

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