„Genau das hing auch bei uns im Klassenraum!“, entfuhr es der Seniorin aus dem Altenheim, als sie das Schulwandbild über die Entwicklung des Maikäfers sah. Mit einem Mal war die ganze Schulzeit präsent. Der Schulweg. Der Lehrer. Die hölzerne Schulbank. Der Ranzen, die Griffel und die Schiefertafel. Solche Erinnerungen einzufangen, daran arbeitet ein Forscherteam der Uni Würzburg im Projekt „Bayerisches Bilder-Gedächtnis online“.
Rund 20 000 Schulwandbilder beherbergt die Forschungsstelle Historische Bildmedien der Uni derzeit. „Wie viele es genau sind, wissen wir nicht, denn die Bilder werden noch inventarisiert“, sagt Leiterin Ina Uphoff. Wie wurden die Schulwandbilder genau eingesetzt? Wie nachhaltig wirkten sie? Diese Fragen standen am Beginn des Projekts „Bayerisches Bilder-Gedächtnis online“.
Ende 2013 gingen Mitarbeiter der Forschungsstelle erstmals in ein Würzburger Seniorenheim, um herauszufinden, inwieweit Schulwandbilder Erinnerungen an die Schulzeit wecken. Wie sich herausstellte, animieren diese Darstellungen in hohem Maße dazu, fast vergessene Erinnerungsbilder an die Jahrzehnte zurückliegende Schulzeit zu aktivieren.
74 Rentner interviewt
Vor einem Jahr begann das von der Sparkassenstiftung unterstützt Projektteam, Senioren zu interviewen. Die Mitarbeiter ließen sich Fotoalben und Erinnerungsstücke zeigen und führten 74 Interviews mit im Schnitt 81 Jahre alten Menschen durch. Nach der Auswertung wird das Team eine interaktive Online-Präsentation erstellen, die ab Herbst im Internet frei abrufbar sein soll.
Die Interviews zeigten laut Zimmer vor allem eines: Schule früher war mindestens so unterschiedlich wie es Schule heute ist. Es gab gute Lehrer und weniger gute. Drakonische Strafen, Wandertage mit Gewaltmärschen und wertvolle Tipps fürs Leben. Die einen mussten hart büffeln und stöhnten über das Auswendiglernen von Geschichtszahlen und langen Gedichten. Andere empfanden die Schule als belanglose Nebensache, die spielend zu bewältigen war. Zumindest in der Erinnerung.
An den Holzofen im Klassenzimmer einer Schule erinnert sich der 1948 geborene Manfred Müller noch gut. Um den Ofen zu schüren, waren Holzscheite nötig. Auf den scharfen Kanten dieser Scheite, berichtete er, mussten ungehorsame Schüler knien: „Fünf oder zehn Minuten lang.“ Das tat gescheit weh. Doch keiner kam auf die Idee, zu jammern: „Von den Eltern wurden die Strafen akzeptiert.“ Eine andere Seniorin erzählte, dass die Kinder früher gezwungen waren, während der Pause sittsam im Kreis zu gehen. Herumtoben war nicht.
Schulwandbilder im Einsatz
Schulwandbilder wurden fast nur aus dem Naturkundeunterricht erinnert, so Eva Zimmer: „Etwa Darstellungen über den Aufbau eines Ameisenhaufens.“ Das war für das Team der Bildforschungsstelle erstaunlich, denn tatsächlich sind auch aus anderen Fächern etliche Schulwandbilder überliefert.
Interessant im Vergleich zu heute sind die Erinnerungen an den einen einzigen, großen Klassenraum im Schulgebäude, in dem alle Kinder des Dorfs von der ersten bis zur sechsten Klasse unterrichtet wurden. „Schon damals wurde also eine hochkomplexe Binnendifferenzierung praktiziert“, so Uphoff. Nach Aussage einiger Senioren war dies gut. Spitzten doch die jüngeren Schüler, derweil sie über einer Stillarbeit saßen, die Ohren, was der Lehrer den älteren erzählte. Das lernten sie gleich mit.
Einige Lehrer bleiben unvergesslich, sagt Theresa Weinert, die im sechsten Semester Pädagogik studiert und im Projekt mitarbeitet: „Ein Senior erinnert sich an einen Lehrer, der gern Geschichten vorlas. Wenn es besonders spannend wurde, brach er ab.“ Das reizte ungemein, daheim weiterzulesen. Heute pflegt der Senior seinen Enkelkindern gegenüber diese äußerst erfolgreiche Methode der Leseanimierung.