Man muss schon wissen, wo sie hängt, um sie entdecken zu können: Sie hebt sich in der Rottendorfer Straße von der Umgebungsmauer am ehemaligen Biergarten "Zum Letzten Hieb", auf der sie angebracht ist, farblich nicht ab, die Inschrift ist bereits ziemlich verwittert und Fußgänger, die sie beim Schlendern entdecken könnten, gibt es entlang dieser vielbefahrenen Straße auch kaum. „Und deshalb“, sagt Historiker Andreas Kutschelis, „ist diese Gedenktafel mehr und mehr in Vergessenheit geraten.“ Mit viel Mühe kann man noch entziffern, was darauf geschrieben steht: "3. Sept 1796 – Hier am Galgenberg und in dem nordöstlich anschliessenden Raume Lengfeld Kürnach Euerfeld Rottendorf siegte der Bruder des deutschen Kaisers Erzherzog Karl als Führer der deutschen Armee über die französischen Revolutionstruppen unter General Jourdan". Dazu der kaiserliche Doppeladler.
„Es ist höchstwahrscheinlich eine Gedenktafel aus dem Jahr 1896, die am nicht mehr existierenden Schlacht-Denkmal auf dem ehemaligen Erzherzog-Karl-Platz angebracht war“, hat der Historiker recherchiert. Auf diesem Platz steht heute ein Pavillon, in dem früher amerikanische Autos an US-Soldaten und später Matratzen verkauft wurden. „Die Tafel wurde im Zuge der Enttrümmerung des beim Luftangriff vom 16. März 1945 zerstörten Areals sowie beim Abbruch des Denkmals sichergestellt, im Rathaus gelagert und dann Ende 1958 oder Anfang 1959 an ihrem heutigen Platz angebracht. Zuvor war die Schrift von einem Bildhauer namens Birk neu gefasst worden“, berichtet Kutschelis.
Erzherzog Karl war ein guter Militärstratege
Er fährt fort: „Der jüngere Bruder Franz II. war ein sehr guter Militärstratege, der in der Schlacht bei Würzburg, die Teil des Ersten Koalitionskriegs war und vom 1. bis 3. September 1796 dauerte, gewonnen hat. Er wurde daraufhin in der Stadt sehr verehrt und man hat sogar eine Klaviersonate für ihn komponiert.“ Die bedeutendste historische Marke des Erzherzogs Karl von Österreich-Teschen sei aber, dass er der Erste war, der Napoleon in einer offenen Feldschlacht, der Schlacht bei Aspern am 21./22. Mai 1809, besiegte und damit dem Mythos des unbesiegbaren Franzosenkaisers ein Ende setzte. „Karl hatte ein enormes strategisch-taktisches Geschick und war anderen Heerführern deutlich überlegen“, erzählt Andreas Kutschelis weiter. „Er hat für diese Zeit relativ schnell Truppen punktuell verteilt, wieder weggenommen, hingebracht, also schnell in Aktion und Reaktion agiert, was letztendlich auch seinen Sieg bewirkt hat.“

Der Text dieser Inschrift mit seinen geografischen Beschreibungen des nordöstlichen Raumes von Würzburg könne jedoch die Betrachtung auf ganz andere Aspekte dieses Ereignisses aus dem Jahr 1796 lenken, findet Kutschelis: „Am 2. und noch intensiver am 3. September wurden die Kämpfe auf einer Frontlänge von mehr als zwölf Kilometern vom Steinberg bis in den Raum Prosselsheim zwischen mehr als 30 000 Franzosen und etwa 45 000 Mann des österreichischen Heeres ausgefochten. Dabei dehnten sich die Truppenbewegungen bis in die Räume Rimpar-Maidbronn sowie Rottendorf aus, die ebenfalls eine Entfernung von etwa zwölf Kilometer aufweisen.“ Auf der Anhöhe zwischen Maidbronn und Estenfeld fiel letztendlich die Entscheidung.
75 000 Menschen mit 5000 Pferden bekämpften sich
„Diese beiden zwölf Kilometer-Achsen liegen im Entscheidungszentrum etwa im rechten Winkel zueinander. Damit ergibt sich eine ungefähre Fläche von 144 Quadratkilometern, auf der sich jetzt um die 75 000 Menschen mit bis zu 5000 Pferden massiv kämpfend bewegten“, verdeutlicht der Historiker die Dimension. Und er geht noch mehr ins Detail: „Es hielten sich im Schnitt 521 Soldaten auf 1000 Quadratmetern auf. Was für eine Dichte!“ Vor allem angesichts der Tatsache, dass Würzburg damals noch viel kleiner war als heute: Die Stadt hatte 1796 um die 20 000 Einwohner, im Jahr 2015 an die 125 000, also das Sechsfache.

„Man stelle sich einmal vor, dass sich heute im diesem Gebiet in Würzburgs unmittelbarer Nachbarschaft 450 000 Menschen mit all den Folgeerscheinungen befänden“, überlegt Andreas Kutschelis und meint: „Jetzt beginnt man zu ahnen, welche nicht politischen, sondern ökonomischen, sozialen, hygienischen, medizinischen, versorgungstechnischen, ja existenziellen Auswirkungen dieses Ereignis auf die Menschen in Stadt und Land damals hatte.“ Das traf auch für die unmittelbare Umgebung zu: Diverse Dörfer wie Unterpleichfeld, Burggrumbach, Mühlhausen und Lengfeld waren niedergebrannt, andere teilweise zerstört, eine Feldbewirtschaftung in diesem Gebiet war für Jahre unmöglich. Aufgrund der schlechten Ernährungslage lösten Krankheiten und Ungeziefer, die von den Soldatenmassen eingeschleppt wurden, Epidemien aus. Die Todesraten stiegen drastisch.
Der siegreiche Erzherzog wurde wie ein Held gefeiert
Quellen und Trinkwasser waren durch Kadaver und Leichen verunreinigt. Nahrungsmittel für Mensch und Nutzvieh wurden knapp. Wohnraum fehlte. Misshandlungen, Vergewaltigungen und Plünderungen hatten stattgefunden, wobei Einquartierungen, Verproviantierungen, Requirierungen und Douceurs (erzwungene Geschenke) höchst beliebt waren. Kein Wunder, dass der siegreiche Erzherzog in der Stadt wie ein Held gefeiert wurde!
„Karl zog nach der gewonnenen Schlacht den Rennweg entlang in die Stadt ein, an der Residenz vorbei und sprach vor dem Rathaus zu den Würzburgern. Die ganze Stadtbevölkerung hatte sich hier versammelt, um ihn zu sehen, es kam zu unaufhörlichem Jubelgeschrei und Vivat-Rufen“, berichtet Kutschelis. Neben einem Dankgottesdienst gab es auch noch eine eigene Tondichtung für den Siegreichen: Der Wiener Musiker Johann Baptist Wanhal (1739-1813) komponierte für Karl das Klavierstück "Die Schlacht bei Würzburg". Diese Musik ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten – ebenso wie die Gedenktafel, die an der vielbefahrenen Straße ihr Dasein fristet.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.