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Würzburg: Warum das weiße Christuskind nichts mit Rassismus zu tun hat

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Warum das weiße Christuskind nichts mit Rassismus zu tun hat

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    Als hätte die Geburt Christi in den Niederlanden stattgefunden: eine "Anbetung der Hirten" von Gillis Mostaert aus dem 16. Jahrhundert. Zu sehen im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg
    Als hätte die Geburt Christi in den Niederlanden stattgefunden: eine "Anbetung der Hirten" von Gillis Mostaert aus dem 16. Jahrhundert. Zu sehen im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg Foto: Martin von Wagner Museum/Birgit Wörz

    Als Max Liebermann im Jahr 1879 sein Gemälde "Der zwölfjährige Jesus im Tempel" präsentierte, löste er einen Skandal aus. Liebermann, selbst Jude, hatte Jesus barfuß, in schäbigem Kittel dargestellt. Und, aus christlicher Sicht schlimmer noch, mit markanter Nase und dunkler Schläfenlocke. Das Bild war Auslöser übelster antisemitischer Hetze gegen den Maler. Ein Kritiker schrieb: "So gibt uns Liebermann in Christus den hässlichsten, naseweisen Judenjungen, den man sich denken kann." Die Kritik traf Liebermann so sehr, dass er das Bild später überarbeitete: Jesus bekam Sandalen und blondes Haar, die Schläfenlocke verschwand.

    Der Liebermann'sche Jesus-Skandal hatte viel mit der autoritären und antisemitischen Grundstimmung der Zeit zu tun. Der Berliner Künstler, später einer der führenden deutschen Impressionisten, hatte ein realistisches Bild gemalt, und der Realismus, von Gustave Courbet im 19. Jahrhundert als  „demokratische Kunst“ ausgerufen, galt der konservativen Kritik im Kaiserreich, in dem Genre- und Historienmalerei angesagt waren, als umstürzlerisch und fantasielos.

    "Die Menschen früherer Jahrhunderte haben sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass das Kind anders aussehen könnte als sie selbst."

    Damian Dombrowski, Kunsthistoriker

    Liebermann hatte aber auch – für jedermann sofort erkennbar – mit einer über die Jahrhunderte eingeübten Darstellungstradition gebrochen: Das Jesuskind war in der deutschen und niederländischen Kunst bis dato immer als Kind mit vertrauter, heimischer Physiognomie dargestellt worden. Also hellhäutig, oft blondlockig, gerne auch blauäugig.

    Diese Tradition wiederum ruft heute immer wieder Kritik hervor. "Wie kann es sein, dass ein nahöstlicher Heilsbringer ausgerechnet weiß ist?", fragte etwa der Reporter Mohamed Amjahid 2017 in der "Zeit". Amjahid behandelt das Thema differenziert und ohne Schaum vor dem Mund, selbst in den Passagen, in denen er beschreibt, dass etwa die Mormonen in Nordamerika glauben, dass Gott die bösen Menschen auf der Welt kennzeichnete, indem er ihnen eine dunkle Hautfarbe gab. Dass also, so der Umkehrschluss, die weißen Menschen die guten sind.

    Damian Dombrowski, Leiter der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg. 
    Damian Dombrowski, Leiter der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg.  Foto: Patty Varasano

    Das Mormonen-Beispiel hat indes wenig zu tun mit den Memes, die derzeit wieder gehäuft in den sozialen Netzwerken auftauchen und den Schöpfern von Jesuskindern mit weißer Hautfarbe pauschal eine kolonialistische oder rassistische Weltsicht unterstellen. Oder die "Cultural Appropriation" anprangern. Kulturelle Aneignung also, ein Begriff, der vor allem in den USA kursiert. Gemeint ist die Praxis, Elemente fremder Kulturen in die eigene zu integrieren, ohne deren ursprüngliche Bedeutung zu respektieren oder gar zu verstehen.

    Im Falle des weißen Jesuskindes wäre die Aneignung sozusagen ein Diebstahl: Die Figur des Heilands wird ihrem ursprünglichen, nahöstlich jüdischen Umfeld (wie auch immer dieses ausgesehen haben mag) entnommen und im eigenen, mitteleuropäisch christlichen angesiedelt.

    Ein Detail der "Anbetung der Könige" eines mainfränkischen Meisters, um 1510, zu sehen im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg.
    Ein Detail der "Anbetung der Könige" eines mainfränkischen Meisters, um 1510, zu sehen im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Foto: Martin von Wagner Museum/Birgit Wörz

    Für Damian Dombrowski, Leiter der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg, gehen derlei Schlagworte komplett am Thema vorbei. "Wie erkennen Sie denn ein jüdisches Kind?", fragt er. "Ich war gerade in Israel, da gibt es viele blonde Menschen." Von Aneignung könne keine Rede sein, wohl aber von Inkulturation. Also von der Übertragung gewisser Merkmale und Eigenschaften von einer Kultur in die andere.

    Beispiele dafür gibt es in der abendländischen Kunst zuhauf. Meist übertragen die Künstler dabei Geschehnisse aus der Mythologie oder aus der Bibel in ein für den Betrachter vertrautes Umfeld. Lucas Cranach etwa kleidet 1528 Lots Töchter in zeitgenössische Gewänder, "um der moralisierenden Wirkung eine stärkere Wirkung zu verleihen", wie es im Begleittext zu dem Bild im Kunsthistorischen Museum in Wien heißt. Pieter Bruegel verlegt den Kindermord von Bethlehem gleich ganz in ein verschneites flämisches Dorf. Und die Kleopatra, die sich auf Guido Cagnaccis Gemälde um 1659 von der Schlange totbeißen lässt, ist wie ihr ganzes Umfeld hellhäutig und blond.

    "Eine Forscherin hat nachgewiesen, dass etwa im 15. Jahrhundert in den Niederlanden praktisch alle Kinder rachitisch waren."

    Damian Dombrowsi, Kunsthistoriker

    Nun war Kleopatra bekanntermaßen keine Ägypterin, sondern Griechin, doch das Problem ist ohnehin kein ethnografisches. Die heutigen Kritiker verwechselten schlicht Wiedergabe der Welt und Wiedergabe der Botschaft, sagt Dombrowski. Für die Darstellungen von Christi Geburt bedeutet das: Es ging darum, den Moment zu zeigen, in dem sich göttliches und weltliches Geschehen berühren. "Die Menschen früherer Jahrhunderte haben sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass das Kind anders aussehen könnte als sie selbst." Es ging bei der Darstellung von Jesus oder Maria eben nicht darum, Realität abzubilden, sondern ideale Menschen. Und zwar so, dass Abgebildete und Geschehen für den Betrachter zugänglich blieben. Dass Identifikation möglich wurde.

    Das erklärt, warum so viele Darstellungen von Christi Geburt in erkennbar europäischem Umfeld stattfinden: Man sieht gotisches Maßwerk, heimische Pflanzen, vertraute Physiognomien und Kleidung. Es  wurden aber durchaus nicht alle Personen automatisch europäisiert, sagt Dombrowski. Der heilige Mauritius etwa werde ganz selbstverständlich als Afrikaner gezeigt.

    Dass die meisten Christuskinder auf den Bildern ziemlich drall und propper daherkommen, hat übrigens ebenfalls mit Idealisierung zu tun. Über viele Jahrhunderte lebte die große Mehrheit der Menschen in sehr ärmlichen Verhältnissen. "Eine Forscherin hat nachgewiesen, dass etwa im 15. Jahrhundert in den Niederlanden praktisch alle Kinder rachitisch waren", berichtet Dombrowsi. Es wäre also eher traurig gewesen, hätten die Maler das Christuskind so grau, kränklich und unterernährt gezeigt, wie die Gläubigen es aus ihrem Alltag kannten.

    "Es passiert in letzter Zeit häufig, dass moralische Urteile des Jetzt auf historische Ereignisse übertragen werden."

    Damian Dombrowsi, Kunsthistoriker

    "Es passiert in letzter Zeit häufig, dass moralische Urteile des Jetzt auf historische Ereignisse übertragen werden", sagt Dombrowski. "Das ist eine Bedrohung für die Geschichtswissenschaft und für das Geschichtsbewusstein." Besonders aus Amerika kommend, schleiche sich diese Tendenz auch in Europa ein, und das nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern sogar in der Physik. "Das ist verheerend. Wissenschaft betreiben, heißt, eine Objektivierungsleistung zu erbringen. Und Moral ist keine wissenschaftliche oder künstlerische Kategorie."

    Die frühesten Darstellungen von Christi Geburt stammen aus dem 4. Jahrhundert, also aus der Spätantike, als das Christentum römische Staatsreligion wurde. Dann gibt es eine Lücke, bis in der karolingischen Zeit, also ab dem 8. Jahrhundert, wieder Bildzeugnisse entstanden.

    Von Anfang an war aber das Motiv der Anbetung der Könige übrigens das häufigere. Die Bildbotschaft hier: Es ist etwas geschehen, was für die ganze Welt relevant ist. Die drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Christuskind huldigen, repräsentieren die gesamte Menschheit. Anfangs wurden auch sie alle drei hellhäutig dargestellt. Erst etwa ab der Gotik bekam einer von ihnen dunkle Haut – ein frühes Beispiel für globales Bewusstsein, wenn man so will.

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