Heiligabend tun wieder viele das, was sie das restliche Jahr über selten bis nie tun: in eine Kirche gehen. Warum besuchen auch Menschen, die sich selbst nicht als gläubig bezeichnen sind Vespern und Metten? Freuen sich Pfarrer über den Ansturm oder ärgern sie sich über die, sie Weihnachtskirchgänger? Ein Theologieprofessor und zwei Seelsorger geben Antworten.
Sehnsucht nach dem Weihnachten der Kindheit
„Der Gottesdienst gibt dem Fest den besonderen Glanz“, erklärt der Würzburger Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs. Die meisten Menschen würden sich nach dem Weihnachten ihrer Kindheit sehen und deshalb das Fest möglichst so gestalten, wie es damals war.
Auslistung der Weihnachtsgottesdienste in Würzburg Stadt und Land
Fuchs: „Dazu gehören Lieder, Geruch und Geschmack dieses Abends genauso wie dessen Ablauf, in dem der Besuch des Gottesdienstes früher selbstverständlich war. Denn die Verkündung der christlichen Botschaft ist ja der Kern dieses Festes.“
Doch die religiöse Bedeutung von Weihnachten ist längst in den Hintergrund gerückt. Stattdessen steht das Zusammensein in der Familie, das Festessen und die Bescherung im Mittelpunkt.
Etwas Ruhe in hektischer Zeit
Allerdings ist genau diese zunehmende Säkularisierung von Weihnachten ein Grund, warum die Kirchen trotzdem voll sind. Für diese auf den ersten Blick widersprüchliche Logik nennt der Professor für katholische Theologie zwei einleuchtende Gründe.
„Wer sonst nicht in die Kirche geht, soll das heute nicht mit einem unguten Gefühl tun. Ich freue mich über jeden.“ Alfred Kraus, katholischer Pfarrer
Erstens: Der hohe Anspruch nach super Geschenken, tollem Essen und viel Harmonie macht Weihnachten für die Beteiligten stressig. „Die Vorweihnachtszeit und auch den Heiligenabend erleben viele Menschen als anstrengendste Zeit im Jahr“, weiß Fuchs. Der Gottesdienst am Heiligen Abend böte deshalb die Chance, „in dieser Hektik eine Stunde zur Ruhe zu kommen.“
Die Sehnsuch nach dem „Eigentlichen“
Zweitens: Das „entkernte“ Weihachtsfest hinterlässt ein spirituelles Vakuum. „Die Menschen leiden unter der weihnachtlichen Wucht und der Kommerzialisierung und suchen nach mehr, weil sie spüren, dass das ganze Drumherum nicht der 'eigentliche' Kern ist.“ Diese Sehnsucht nach dem „Eigentlichen“ öffnet sie wieder für Religion.
Es sind also viele Bedürfnisse, die ein Heiligabend-Gottesdienst erfüllen soll: ein Stück Geborgenheit, etwas Ruhe, ein bisschen Mystik und auch noch eine Prise Aktualität und Stoff zum Nachdenken.... Wie versuchen Pfarrer diesen Ansprüchen gerecht zu werden?
Pfarrer Alfred Kraus: „Wir feiern unseren Glauben“ „Ich sehe mich schon als Dienstleister“, sagt Pfarrer Alfred Kraus. „Das meine ich überhaupt nicht negativ.“ Der Pfarrer hält am Heiligen Abend abwechselnd Kinder- und Christmetten in St. Josef in Rottenbauer und St. Sebastian am Heuchelhof. Er freut sich darauf, den Besuchern Freude zu bereiten. Einen Gottesdienst „light“ für die seltenen Gäste gebe es Heiligabend aber nicht. „Wer feiern unseren Glauben.
“ Die musikalische Gestaltung der Gottesdienste sind mit Sorgfalt vorbereitet, ebenso Predigt und Liturgie. „Wenn ich spüre, dass sich Menschen in dieser besonderen Atmosphäre öffnen, dass der Funken überspringt, dann macht mich das glücklich.“
Aktuelle Nachrichten, Gespräche mit Gemeindemitgliedern aber auch Kabarettbeiträge bieten Niko Natschka Anregungen für seine Gottesdienste. Vergangenes Weihnachten ging es zum Beispiel um das Edeka-Weihnachtsvideo.
„Was ich dann daraus mache, fällt mir unter der Dusche oder am Schreibtisch ein, manchmal auch spontan,“ sagt der evangelische Pfarrer der Martin-Luther-Gemeinde im Frauenland. Statt einer längeren Predigt, verteilt er mehrere kürze Wortbeiträge im Gottesdienst. „Sonst schalten die Zuhörer automatisch ab.“ Allerdings ist das kein extra Heiligabend-Service, sondern der übliche Stil Natschkas.
Fünf Gotteseienste hinter einander
Auch bei ihm brummt heute der Laden. Damit seine kleine Kirche den Ansturm bewältigen kann, gibt es fünf Gottesdienste hinter einander. „Sonst müssten wir Platzkarten verteilen“, sagt der Pfarrer. Rund 1600 Menschen erwartet er und freut sich „über jeden einzelnen, der heute da ist.“
Auch über den, der sonst nicht da ist?
Natschka nickt. „Ich habe ein Konzept vom Leben, aber keine Wahrheit, die ich anderen überstülpe,“ sagt der Pfarrer. Manche Menschen, die nur heute kommen, würden nie mehr, andere irgendwann einmal wieder kommen – wenn sie ihn bräuchten.
Dass er an normalen Tagen deutlich weniger Menschen erreicht, empfindet Pfarrer Kraus manchmal „schon persönlich ein bisschen schmerzhaft.“ Doch der Seelsorger denkt positiv und freut sich über die Chance, jedem seiner vielen Gottesdienstbesuchern heute zeigen zu können: „Ich bin für dich da.“ Seine Botschaft an alle Weihnachtskirchgänger: „Wer sonst nicht in die Kirche geht, soll das heute nicht mit einem unguten Gefühl tun. Ich freue mich über jeden.“
Gottesdienstzeiten finden Sie in der Würzburger Ausgabe im Regelfall freitags in der Zeitung, so gestern auf Seite 36. Weihnachtsgottesdienste im Raum Würzburg finden Sie auch auf mainpost.de/wuerzburg Katholische und evangelische Kirchen informieren im Internet über • www.glauben.bistum-wuerzburg.de/gottesdienste/ • wuerzburg-evangelisch.mws3.de/gottesdienst • www.i-punkt-kirche-wuerzburg.de