Warum veröffentlichen wir Fotos des Angeklagten im sogenannten Erlabrunn-Prozess nicht ungepixelt, „wo ihn doch sowieso jeder kennt“? Diese Frage hat in den vergangenen Tagen etliche Leserinnen und Leser beschäftigt. Unsere Haltung dazu ist eindeutig: Im genannten Fall wiegt das Persönlichkeitsrecht des angeklagten ehemaligen Gemeindemitarbeiters schwerer als das Informationsinteresse der Allgemeinheit. Im Pressekodex heißt es dazu in Richtlinie 8.1 (Kriminalberichterstattung): „Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliegt.“ Oder wenn „eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist“.
Das heißt: Redaktionen müssen sich stets fragen, ob ein Mord, ein Raubüberfall, ein Missbrauch oder eine Vergewaltigung Aufsehen erregt hat. Und: Ist daraus ein Informationsinteresse abzuleiten – auch auf die Namen der Täter und deren Bild?
Das öffentliche Informationsinteresse setzt in der Regel also dann ein, wenn die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Beispielsweise durch die Art und Weise, wie sie verübt wurde. Oder wenn es sich um eine Katastrophe nationalen Ausmaßes handelt – wie beim Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche vor zwei Jahren. All diese Kriterien sind nach Ansicht der Redaktion beim Erlabrunner Angeklagten nicht gegeben. Auch das Argument, Günther K. kenne sowieso jeder, trifft nicht zu. Er mag in seiner Heimatgemeinde und den umliegenden Ortschaften einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, aber nicht darüber hinaus.
Anders ist die Situation beim sogenannten BVB-Attentäter: Wegen des Sprengstoffanschlags auf die Mannschaft von Borussia Dortmund hat das Dortmunder Landgericht den Angeklagten Sergej W. diese Woche zu 14 Jahren Haft verurteilt. Bei diesem Fall, der weltweit Aufsehen erregt hat, besteht unzweifelhaft ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs besagt: Wer den Rechtsfrieden bricht, muss das durch ihn selbst erregte öffentliche Interesse dulden. Besonders gelte das für Aufsehen erregende Verbrechen, da bei ihnen ein anzuerkennendes öffentliches Interesse an näherer Information über Tat und Täter bestehe.
Doch selbst wenn es rechtens ist, heißt das nicht, dass automatisch auch Namen und Bilder veröffentlicht werden. Die Haltung unserer Redaktion ist in dieser Frage klar: Wir stellen niemanden ohne triftige Gründe an den „Medienpranger“. Sergej W. haben wir gepixelt. Eine Entscheidung, über die man, im Gegensatz zum Fall Günther K., sicher trefflich streiten kann.
Solche Fälle wird es immer wieder geben. Denn ob das öffentliche Informationsinteresse tatsächlich gegenüber den Persönlichkeitsrechten eines Verurteilten überwiegt, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Die endgültige Beurteilung und Wertung kann im Zweifelsfall ohnehin immer nur ein Gericht im Nachhinein treffen.