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Würzburg: Was eine Maske an der Marienkapelle zu bedeuten hat

Würzburg

Was eine Maske an der Marienkapelle zu bedeuten hat

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    Still und versteckt richtet das steinerne Gesicht von der Marienkapelle herab seinen Blick auf den Betrachter.
    Still und versteckt richtet das steinerne Gesicht von der Marienkapelle herab seinen Blick auf den Betrachter. Foto: Eva-Maria Bast

    Ganz aus dem Verborgenen heraus richtet er seinen Blick auf jene, die durch das Portal in die Marienkapelle gehen. Still mustert er die Menschen, die die originelle Verkündigungsszene am Tympanon betrachten und sich über das Jesuskind freuen, das auf einem langen Rohr ins Ohr der Maria rutscht. Kaum jemand hat ihn in seinem Versteck bisher entdeckt, selbst Dr. Stefan Bürger, Professor am Institut für Kunstgeschichte der Universität Würzburg mit den Forschungsschwerpunkten Kunst des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit sowie Mittelalterliche Bautechnik und Bauorganisation, sagt: „Ich habe ihn bisher auch übersehen.“ Doch genau dieses Übersehen, sagt der Kunsthistoriker, sei Teil des Spiels: „Häufig tauchen solche Formen erst auf, wenn ein Bauteil eingerüstet ist und intensiv untersucht wird.“

    An der Marienkapelle aber zeigt sich das Gesicht auch außerhalb einer Restaurierungsphase – die einzige Voraussetzung ist, genau hinzusehen. Das Gesicht, von dem man nur einen Teil sieht, weil es vom steinernen Blätterwerk verdeckt wird, sitzt ganz oben im Spitzbogen des Nordportals – über Gottvater und der Verkündigungsszene. Wen aber soll es darstellen? Den Heiligen Geist? Stefan Bürger vermutet, dass hier niemand Bestimmtes gemeint ist. Weil das Gesicht fast vom steinernen Blattwerk verdeckt ist, könnte es sich um eine Blattmaske handeln. Blattmasken sind Gesichter, die beispielsweise von akanthusartigen Blattformen so umgeben sind, dass die Blätter die Haare oder auch die Bärte bilden.

    Blattmasken sind seit dem 1. Jahrhundert vor Christus belegt

    Belegt sind sie seit dem 1. Jahrhundert vor Christus, besonders beliebt waren sie in der Gotik und sind bis in die Renaissance hinein zu finden. Im Manierismus und Barock bediente man sich dieser Kunstform aber nur noch selten. Am Bamberger Reiter ist eine solche Blattmaske, auch als Green Man bezeichnet, ebenfalls auszumachen – allerdings deutlich prominenter als an der Würzburger Marienkapelle: Sie sitzt dort am rechten unteren Konsolstein. In "Die Kunstdenkmäler von Oberfranken" ist dazu zu lesen: „Man hat die Maske als ein Element der Darstellung eines christlichen Heilsplans verstehen wollen, im weiten Rahmen der populären Vorstellung, nach der romanischer Baudekor den Kampf von Gut und Böse symbolisiere, als Verkörperung ,jener dunklen Welt des Unglaubens […], über welche die christlichen Heilsbringer hinwegschreiten‘, oder aber sie individuell psychologisierend interpretiert.“

    Prof. Dr. Stefan Bürger vor dem Nordwest-Portal der Marienkapelle.
    Prof. Dr. Stefan Bürger vor dem Nordwest-Portal der Marienkapelle. Foto: Eva-Maria Bast

    Auch Prof. Dr. Bürger stützt sich auf Erklärungsmuster wie die „antike Tradition“ und das Nachleben von „Naturgeistern“ in der mittelalterlichen Frömmigkeit und Kultur, aber auch ihre apotropäische, also abwehrende Wirkung: Nach dem Grundsatz „Gleiches mit Gleichem“ wurden finster dreinblickende Gesichter angebracht, bevorzugt in Richtung Norden und Westen, den Himmelsrichtungen des Dunklen und des Sonnenuntergangs. Sie hatten nach dem mittelalterlichen Verständnis die Aufgabe, Dämonen am Eindringen ins Haus zu hindern.

    Viele Masken wirken wie Dämonen

    Allerdings haben diese Masken, die heute noch oft an sakralen und profanen Gebäuden zu finden sind, nicht solch einen stillen, fast meditativen Gesichtsausdruck wie das Gesicht über dem Marienportal, sie wirken im Gegenteil folgerichtigerweise selbst wie Dämonen. Es finden sich darüber hinaus Erklärungen, die den Green Man dem Keltischen zuordnen: Im Rheinischen Landesmuseum Bonn steht eine keltische Stele, die „Pfalzfelder Säule“, in die ein von Mistelblättern umkränzter Kopf eingemeißelt ist. Der Kopf gilt als Träger der Kraft, die Mistel hat im keltischen Glauben eine große Heilwirkung und stärkt die Lebenskraft.

    "Sie zieht den Betrachtenden in ihren Bann und führt ihn weiter durch das Bild in tiefere Sphären."

    Kunsthistoriker Prof. Dr. Stefan Bürger über die Maske am Marienportal

    Doch zurück nach Würzburg. Dort, sagt der Professor für Kunstgeschichte, könne die Maske am Marienportal auf jeden Fall als Lesehinweis für räumliche Tiefe und damit auch als Anzeichen für geistige Tiefgründigkeit gedeutet werden. Der Künstler spielt dabei mit der Sichtbarkeit und dem Verbergen, also mit Sehen und Nichtsehen, Erkenntnis und Blindheit, und baut durch eine solche Maske eine besondere Spannung zum Betrachter auf: „Sie zieht den Betrachtenden in ihren Bann und führt ihn weiter durch das Bild in tiefere Sphären.“ Auch der Dichter Paul Celan ließ sich von einer Blattmaske faszinieren und schrieb in seinem Gedichtband „Atemwende: Halbzerfressener, maskengesichtiger Kragstein, / tief in der Augenschlitz Krypta: / Hinein, hinauf / ins Schädelinnre, / wo du den Himmel umbrichst, / wieder und wieder, in Furche und Windung / pflanzt er sein Bild, / das sich entwächst, entwächst.“

    Die Maske als Lösung einer Konfliktsituation

    Zusätzlich zu diesen tiefgründigen Bereichen gebe es noch einen pragmatischen und zugleich spielerischen Teil, bemerkt Bürger. „Wenn in der Kehle des Tympanons ein regelmäßiges Blattwerk ausgeführt wird, stellt der Scheitelpunkt, an dem zwei aufsteigende Ordnungen aufeinandertreffen, eine Konfliktsituation dar. Dort eine solche Maske hineinzusetzen, kann die Situation lösen.“ Bürger spricht aus Erfahrung: „Als ich noch Maler in der Denkmalpflege war, hatte ich dies oft als Problem: Man beginnt irgendwo ein regelmäßiges Ornament und irgendwann kommt man an die Ecke, wo kein regelmäßiger Rapport mehr hinpasst: Dort muss man entscheiden, was man mit diesem Raum tun kann.“ Das sei einerseits eine besondere Herausforderung, andererseits aber auch eine gute Gelegenheit für etwas Besonderes.

    Dem Bildhauer, der das Tympanon mit dem Gesicht einst schuf, ist das aufs Beste gelungen. Wenn man die Maske einmal entdeckt hat, kann man sich ihr nur schwer entziehen. Und dann schaut man und schaut und schaut – und wird tief in die Sphären des Portals hineingezogen.

    Text: Eva-Maria Bast

    Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand und soeben erschienen ist. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.

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