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OCHSENFURT: „Was gibt es Schöneres, als zu spielen?“

OCHSENFURT

„Was gibt es Schöneres, als zu spielen?“

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    Ochsenfurt, Holzspielzeugmacher Kurt Lotzen lebt in seinen Werkstätten oberhalb Ochsenfurts im Wald. Er erfindet und baut seit über 30 Jahren Spielzeug aus Holz.
    Ochsenfurt, Holzspielzeugmacher Kurt Lotzen lebt in seinen Werkstätten oberhalb Ochsenfurts im Wald. Er erfindet und baut seit über 30 Jahren Spielzeug aus Holz. Foto: Thomas Obermeier

    Wie von Zauberhand öffnet sich die leicht beschlagene Glastüre. Wärme drängt aus der Werkstatt in die kalte Morgenluft. Drinnen bullert der Ofen, vor dem Fenster trocknen Nüsse auf breiten Blechen. Es riecht nach Holz. Staubfeine Späne bedecken Boden, Regale und Sägemaschinen, wirbeln beim Eintreten auf und kitzeln die Nase. Leise Musik bimmelt aus dem Radio. Kurt Lotzen lässt die dünne Schnur los, mit der sich die Türe von außen öffnen lässt. „Wie von Zauberhand“, lacht der 63-Jährige und ungezählte Falten kräuseln sich in seinem Gesicht.

    Kurt Lotzen ist Holzspielzeugmacher, seit mehr als 30 Jahren. Auf seinem Grundstück im Wald oberhalb von Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) lebt er ein bisschen wie Pippi Langstrumpf in Astrid-Lindgrens Kinderbuchklassiker. Sein Haus mit dem großen Kamin versteckt sich halb hinter einer riesigen Tanne. Tibetische Gebetsfahnen flattern quer über den Hof, unter dem Walnussbaum knarzt eine Schaukel. Statt Pferd oder Affe beäugen elf Katzen neugierig jeden Besucher. Mehrere Hütten gruppieren sich um den Platz, alle hat Lotzen selbst gebaut. Vor seiner Hauptwerkstatt lagern Bretter und Äste, von daumen- bis oberschenkeldick. Liebevoll streicht der Spielzeugmacher über die feine Maserung der Jahresringe. „Es kribbelt noch immer auf meiner Haut, wenn ich ein schönes Stück Holz habe.“

    Langsam pellt sich unter Lotzens Fingern der zierliche Schmetterling aus dem Holzklotz.

    Geboren in Würzburg, brach Lotzen die Schule zwei Wochen vor der Mittleren Reife ab. Er probierte sich in verschiedenen Handwerksberufen aus, als Landschaftsgärtner, Fensterbauer oder Schriftenmaler. „Dabei habe ich schnell gemerkt, dass es Holz ist“, sagt der 63-Jährige. Statt eine Ausbildung zu beginnen, zog es ihn fort: Erst nach England, in den 1970er Jahren dann wollte er mit Freunden nach Australien auswandern. Unterwegs, in Nepal, kam seine Tochter zur Welt. Lotzen kehrte mit seiner damaligen Partnerin zurück nach Deutschland. Und begann, Spielzeug zu bauen.

    Heute steht der 63-Jährige in blauer Arbeitshose und weinroter Strickjacke an der Bandsäge. Auf den Regalen um ihn herum stapeln sich unzählige Kartons mit Holzstücken, von der Decke hängen aufgerollte Sägeblätter und tanzende Mobiles. Lotzen schiebt einen Holzklotz mit aufgestempeltem Schmetterling vorsichtig in die kreischende Maschine. Feiner Staub setzt sich auf die derbe Männerhand. Langsam pellt sich die zierliche Falterform aus dem Holz, die Jahresringe zeichnen ein Muster auf die Flügel.

    Schmetterlinge sind Kurt Lotzens Spezialität. Insgesamt stellt er rund 140 Produkte her, von Krokodilen zum Nachziehen über Lesezeichen in Delfin-oder Notenschlüsselform bis zu Schaukelpferden. „Ich habe das große Glück, das zu machen, was ich als kleiner Junge machen wollte: Sachen zu bauen“, sagt der 63-Jährige. Das Handwerk hat er sich selbst beigebracht, sein Wissen über Holz und die Kontakte zu Fachhändlern auf Messen stetig ausgebaut. Heute bekommt er Äste und Bretter von einem Sägewerk in Münster, auf seinem Grundstück türmen sich Hölzer von Obstbäumen, Eschen, Eiben oder auch Seidenakazien.

    „Meine Sachen muss man anfassen dürfen.“

    All seine Waren verkauft der Holzspielzeugmacher auf Märkten; nicht auf Bestellung, nicht in Geschäften und keinesfalls im Internet. „Wenn ich etwas hasse, dann ist es Verpacken und Zeit vor dem Computer zu verbringen“, sagt Lotzen. Im Lager neben der Hauptwerkstatt warten deshalb fahrbare Regale mit Schubladen voller kleiner Holzartikel wie Geschicklichkeitsspielen, Kreisel, Kartenhaltern. Mit diesen Konstruktionen fährt Lotzen auf die Märkte, etwa zehn besucht er jedes Jahr, vom Wendland bis zum Würzburger Weihnachtsmarkt.

    Dort sucht er den direkten Kontakt zu den Kindern: „Ich bin Spielzeughersteller, meine Sachen muss man anfassen dürfen“, sagt der 63-Jährige. Kinder seien heute noch genauso begeistert von Holzspielzeug wie früher.

    Tatsächlich sind traditionelle Brettspiele, Plüschtiere und Holzwaren nach wie vor gefragt, bestätigt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie. Spurlos vorbeigegangen sei die Digitalisierung an der Spielzeugwelt allerdings nicht: Häufig werden klassische Spielzeuge mit technischen Extras aufgepeppt, immer früher „wandern Kinder zur Infotechnik ab“. Überraschend ist das nicht. Spielzeug spiegele immer auch gesellschaftliche Veränderungen, zeige letztlich das Große im Kleinen, sagt Brobeil.

    Bei Kurt Lotzen hingegen scheint die Zeit stehen geblieben. Der 63-Jährige beachtet keine Spielzeugtrends. Er richtet sich kaum nach der Nachfrage, sondern meist nach persönlichen Bedürfnissen. Für seine Kinder gab es erst Schaukelpferde, später Holzschwerter. Da ihn sein Rücken „öfter plagt“, liegt in der Ecke ein extralanger Schuhlöffel. „Damit werde ich niemals reich werden. Aber was gibt es Schöneres, als zu spielen?“, sagt Lotzen und schaltet die Schleifmaschine ein. Das Gerät beginnt zu klappern, ein weißer Schlauch ruckelt an der Seite auf und ab, Schmirgelpapier rast über eine kleine Walze. Die Erfindung eines Freundes, grinst der Ochsenfurter. Industrieelle Maschinen besitzt er kaum, dafür diverse selbst entworfene „Vorrichtungen“. Behutsam führt er einen der feinen Holzschmetterlinge an das raue Papier heran. Es zischt, Lotzen dreht den Falter in alle Richtungen. Er prüft mit dem Zeigefinger das Ergebnis und strahlt: „Wunderschön, oder?“

    Lotzens Lieblingsspielzeug ist das „Schwäbische Schnäpperle“.

    Diese Begeisterung für Kleinigkeiten hat Kurt Lotzen von seinen Großeltern. Oma und Opa brachten ihm bei, auch im Alltag nach schönen Sachen zu suchen und sie zu sehen, sagt der 63-Jährige. Bis heute hat er sich das erhalten. Im Innenhof wirft er einen Holzstab in die Luft, beobachtet gebannt wie sein Werk als kleiner Propeller zurück zum Boden trudelt. Sein Lieblingsspielzeug nennt er „Schwäbisches Schnäpperle“. Mit dem simpel wirkenden Holzstück lässt sich ein einfacher Zaubertrick vorführen. „Aber“, Lotzen legt den Finger auf die Lippen, „der darf nicht verraten werden.“ Da seine eigenen Kinder, neben der Tochter hat er noch einen Sohn, längst erwachsen sind, inspirierte ihn in diesem Jahr die Postkarte einer Bekannten zu einem neuen Produkt. Kistenweise stapeln sich nun geschwungene Kartenhalter in der Werkstatt, bereit für den Weihnachtsverkauf.

    Nun steht Lotzen zum 25. Mal auf dem Würzburger Weihnachtsmarkt. 30 Tage, meist zehn Stunden lang. Anstrengend. Aber das sei die Ernte, sagt der 63-Jährige. „Wenn Menschen kommen und sagen, ich erinnere mich, mein Schaukelpferd habe ich vor Jahrzehnten hier gekauft, das ist schön.“ Bis zehn Uhr abends werkelt er dafür meist in seiner Hütte. Rente bekommt Lotzen keine, wie lange er seine Marktbesuche noch schafft, weiß er nicht. Aber er habe sich vorsichtshalber einen Bauchladen gebaut, sagt Lotzen verschmitzt. Der ist nicht schwer und reicht immerhin für die kleinsten Waren, die Trickspielzeuge oder die Schmetterlinge.

    Mit einer dickborstigen Bürste streicht Lotzen den Schleifstaub von einem fertigen Falter. Das Holz ist ganz weich. Der Spielzeugmacher nickt, genau so soll es sein. Zwischen Spateln, Klebepistolen, Pinzetten und Zangen zieht er ein Stück Tuch hervor, zum Ölen. Dann legt er den Schmetterling vorsichtig auf die Werkbank. Lotzen streift sich die Hände an der Hose ab und tritt aus der Werkstatt. Die Glastür fällt hinter ihm ins Schloss, kühle Luft lässt den 63-Jährigen blinzeln.

    Bis zu den Feiertagen muss noch unzähliges Spielzeug geschafft werden. Nicht nur für die Kinder, sagt Lotzen. „Weihnachten ist schließlich dann, wenn auch die Erwachsenen spielen.“

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