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Würzburg/Bad Kissingen: Was sich für Marion Küstenmacher am Christentum ändern muss

Würzburg/Bad Kissingen

Was sich für Marion Küstenmacher am Christentum ändern muss

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    Ausschnitt vom Titelbild zu Marion Küstenmachers Buch "Integrales Christentum". 
    Ausschnitt vom Titelbild zu Marion Küstenmachers Buch "Integrales Christentum".  Foto: Copyright Marion Küstenmacher/Gütersloher Verlagshaus/Random House

    Würzburg ist für Marion Küstenmachernicht irgendeine Stadt. Hier wurde sie 1956 geboren.  Und jedes Mal, wenn sie zu einem Vortrags- oder Seminartermin unterwegs ist und die Bahnfahrt über Würzburg führt, legt die evangelische Theologin, Autorin und Trainerin einen Zwischenstopp ein. So wie nächste Woche, wenn sich Marion Küstenmacher von ihrem Wohnort im Süden Bayerns auf den Weg nach Bad Kissingen zum Heiligenfeld-Kongress macht. Die Tagung ist dieses Jahr dem großen Thema "Achtsamkeit" gewidmet. Damit beschäftigt sich die Würzburgerin seit vielen Jahren. Ihr Fokus ist dabei auf das Christentum gerichtet. Ein Gespräch über mystische Erlebnisse in der Kindheit, integrale Achtsamkeit, die Würzburger Teestube, gemischte Konfessionen im Bett - und über "Gott 9.0".

    Die Theologin und Autorin Marion Küstenmacher spricht auf dem Heiligenfeld-Kongress in Bad Kissingen über "Integrale Achtsamkeit".
    Die Theologin und Autorin Marion Küstenmacher spricht auf dem Heiligenfeld-Kongress in Bad Kissingen über "Integrale Achtsamkeit". Foto: Marion Küstenmacher

    Frage: Sie sind evangelische Theologin und fühlen sich zur katholischen Mystik hingezogen. Wie passt das zusammen?

    Marion Küstenmacher: Ich komme aus einer gemischt-konfessionellen Familie, und das schon über Generationen hinweg. Mein Vater sagte immer: Bei uns zu Hause herrscht Religionsfrieden, da schlafen katholisch und evangelisch in einem Bett. Von daher sind mir konfessionelle Grenzziehungen fremd. Schon als Schülerin habe ich versucht, Gegensätzliches zusammenzubringen.

    In Würzburg?

    Küstenmacher: Aber ja. 1972 gehörte ich zu den Mitbegründerinnen der ökumenischen Teestubengemeinde am Friedrich-Ebert-Ring. Dort war alles bunt, nicht nur die Sonne an der Fassade. Dort trafen sich Freikirchler, Katholiken, Protestanten. Das war eine hoch kreative Basisgemeinde. Sie hatte damals schon ein völlig anderes Selbstverständnis davon, was Kirche sein kann. Daraus sind viele Pfarrer und Theologen hervorgegangen.

    Auch Sie wurden Theologin. Warum nicht Mystikerin?

    Küstenmacher: Bereits als Kind hatte ich naturmystische Erlebnisse. Das ist nicht ungewöhnlich. Wir wissen aus der Entwicklungspsychologie und aus den Neurowissenschaften, dass Kinder tagsüber in Bewusstseinszuständen verweilen, die wir aus der Traumphase kennen. Sie bewegen sich in einer erweiterten Realitätswahrnehmung, in der es leichter ist, Zusammenhänge zu erspüren. Viele wissen das aber nicht mehr, wenn sie erwachsen sind. Da ich bereits acht Jahre alt war, erinnere ich mich aber daran. In diesem Alter hat man genug Bewusstsein und einen Gedächtnisspeicher aufgebaut. Die inneren Bilder gaben mir eine Ahnung von dem, wovon die Mystiker reden. Das war prägend. Mit 15 bekam ich mein erstes Mystikerinnen-Buch geschenkt. Ich habe sehr früh diese Spur verfolgt.

    Wohin führte Sie diese Spur?

    Küstenmacher: Durch diese Erlebnisse wusste ich: Die Wirklichkeit ist größer als das, was unser Alltags-Bewusstsein wahrnimmt. Das motiviert die spirituelle Suche. Irgendwann bin ich dann beim integralen Ansatz gelandet. Mein wichtigster Lehrer, der Franziskanerpater Richard Rohr, hat mal gesagt: Man fängt auf einer Seite an, entweder konservativ oder progressiv. Aber man muss die andere Seite auch integrieren. Deshalb habe ich trotz meiner bunt gemischten Teestuben-Zeit erst mal ganz klassisch evangelische Theologie studiert. Das schadet ja nicht.

    Wo ist dabei die Mystik geblieben?

    Küstenmacher: Die spielte im protestantischen Theologiestudium – so wie ich das in den 1970er Jahren erlebt habe – keine Rolle. Mystik war damals eher verdächtig. Sie wurde als Selbsterlösungsversuch abgewertet und in die katholische Ecke gestellt. Dabei ist Mystik konfessionsüberschreitend.

    Das Studium konnte wohl nicht alles austreiben, oder?

    Küstenmacher: Sicher nicht. Mystische Erfahrungen sind ein inneres Juwel. Sie gaben mir ein Grundwissen darüber, um was es eigentlich gehen müsste in der Religion oder Spiritualität. Denn davon sprechen letztlich die ganz tiefen Stellen in der Bibel. Und die Mystiker versuchen verbal anzudeuten, wie sie in ihrem Innersten Gott erfahren konnten.

    Wie kamen Sie als "ökumenische" Theologin zur integralen, also umfassenden Achtsamkeit? 

    Küstenmacher: Mystik ist Achtsamkeitstraining. Aber zur "Integralen Achtsamkeit" kam ich durch den US-amerikanischen Philosophen Ken Wilber. Das war 1997, in einer schwierigen Phase in meinem Leben. Sein Buch „Eros, Logos, Kosmos“ war damals gerade neu erschienen. Ich habe mich damit in eine innere Klausur begeben. Wilbers integrale Theorie war ein Geistesrahmen, der mich aus meiner Enge, in die ich gekrochen war, wieder herausgezogen hat, in eine große Weite hinein. Das war eine wunderbare Erfahrung.

    Das Vier-Quadranten-Modell von Philosoph Ken Wilber erläutert Marion Küstenmacher im Buch „Integrales Christentum“ so: „Die Quadranten umfassen sämtliche Bereiche unserer Wirklichkeitswahrnehmung und Erkenntnismöglichkeiten.“ Sie stünden in Wechselwirkung zueinander. Jedes Ereignis, jede Person, jedes Ding hätte eine Innen- wie auch eine Außenseite. Die Illustration von Werner Tiki Küstenmacher veranschaulicht die vier Perspektiven von „Ich-Es-Wir-Sie“ am Beispiel „Kranksein“. 
    Das Vier-Quadranten-Modell von Philosoph Ken Wilber erläutert Marion Küstenmacher im Buch „Integrales Christentum“ so: „Die Quadranten umfassen sämtliche Bereiche unserer Wirklichkeitswahrnehmung und Erkenntnismöglichkeiten.“ Sie stünden in Wechselwirkung zueinander. Jedes Ereignis, jede Person, jedes Ding hätte eine Innen- wie auch eine Außenseite. Die Illustration von Werner Tiki Küstenmacher veranschaulicht die vier Perspektiven von „Ich-Es-Wir-Sie“ am Beispiel „Kranksein“.  Foto: Illustration / Copyright Werner Tiki Küstenmacher

    Wie würden Sie Einsteigern "Integrale Achtsamkeit" erklären?

    Küstenmacher: Ich würde ganz simpel sagen: Sie beruht auf einer integralen Landkarte. Weil sie einen möglichst umfassenden Ansatz bietet und eine Fülle von Werkzeugen zur Verfügung stellt, mit denen man seine eigene Entwicklung maximal gut anschauen kann. Die integrale Philosophie nutzt dazu verschiedene Erkenntniswege. Nichts wird ausgeschlossen, sonst ist es nicht integral. Bei Ken Wilber sind es auf der einen Seite die großen spirituellen Traditionen aus Ost und West. Besonders die kontemplativen Schulen. Dazu kommen auf der anderen Seite die großartigen Erkenntnisse der modernen Natur- und Geisteswissenschaften. Mit jedem Modul aus diesem Werkzeugkasten kann man anfangen, die Umwelt, die Tradition und gleichzeitig sich selbst kritisch anzuschauen: Wo stehe ich? Was macht das mit mir? Wie gestalten und deuten wir heute unseren Glauben und unsere Welt?

    Sie haben zwei Bücher dazu geschrieben.

    Küstenmacher: Im ersten Buch "Gott 9.0", das ich mit meinem Mann Tiki Küstenmacher und dem evangelischen Pfarrer Tilmann Haberer geschrieben habe, die ja auch Theologen sind, liegt der Schwerpunkt auf den sozialpsychologischen Entwicklungsstufen mit den neun assoziativen Farbcodes und den Bewusstseinszuständen - also auf dem, was die Mystiker versucht haben zu erforschen. Unsere Leser und Leserinnen wünschten sich dann ein Buch für die Praxis - mit Übungen.

    Gehen wir kurz auf die Holons ein, die Sie in Ihrem Buch erläutern.

    Küstenmacher: Die Grundidee des griechischen Begriffs Holon ist, dass alles ein Ganzes ist  - und zugleich ein Teil. Etwa ein Körper: Er ist ein Ganzes, besteht aber auch aus Teilen, aus Organen. Und diese wiederum aus Zellen und Molekülen. Und wenn man nach vorn sieht, kann man sagen: Ich bin Teil einer Familie, Teil der Unterfranken, der Deutschen, der Europäer. Wer das versteht, erkennt, dass Einsichten, Konzepte, Weltbilder, Glaubensvorstellungen ähnlich strukturiert sind. Je umfassender das Holon, desto umfassender wird meine Welt und mein Gottesbild. So kann man an Weite und Tiefe hinzu gewinnen, hin zu immer mehr Liebe und Mitgefühl.

    Russische Puppe: Diese Illustration aus dem Buch "Integrales Christentum" von Marion Küstenmacher veranschaulicht das Grundprinzip der Holons (aus dem Griechischen: "das Teil eines Ganzen Seienden"). Küstenmacher beschreibt es als ein kreatives Streben nach einem Umfassenden. 
    Russische Puppe: Diese Illustration aus dem Buch "Integrales Christentum" von Marion Küstenmacher veranschaulicht das Grundprinzip der Holons (aus dem Griechischen: "das Teil eines Ganzen Seienden"). Küstenmacher beschreibt es als ein kreatives Streben nach einem Umfassenden.  Foto: Illustration / Copyright Werner Tiki Küstenmacher

    Ohne Scheuklappen?

    Küstenmacher: Entwicklung funktioniert nur, wenn man bereit ist, Scheuklappen abzulegen und wieder lernt zu staunen. Staunen weitet das Bewusstsein. Das kann man üben. In meinen Kursen sage ich immer: Geht ins Internet und schaut euch Aufnahmen vom Mikrokosmos an, die hochauflösenden Bilder von Pflanzen, Kleinstlebewesen, Mikroorganismen. Und schaut euch Galaxien, Weltraumbilder an, damit ihr ein Gefühl kriegt für diesen Reichtum - im Allerkleinsten wie im Allergrößten.

    Wie ist die Resonanz auf Ihr aktuelles Buch?

    Küstenmacher: Es melden sich Pfarrer, Priester und Gemeindereferenten, die in ihren Gemeinden oder Freikirchen mit diesen Bausteinen arbeiten wollen. Vor allem sind viele froh, dass das Buch ihrer eigenen Entwicklung als moderne Christen und Christinnen einen passenden Horizont verleiht.

    Wird das die christliche Kirche verändern?

    Küstenmacher: Die frühen Christen haben das Christentum „Weg“ genannt. Das heißt: Spiritualität funktioniert nur als lebendiger Prozess der Gottessuche. Das sieht für moderne Menschen von heute anders aus als für Menschen im 3. oder 16. Jahrhundert. Die Kirchenleitungen behindern leider aus dogmatischen Gründen, dass heute weiter am „Weg“ gebaut wird, wie es die frühen Christen und die Generationen vor uns mutig vorgemacht haben. Deswegen leeren sich die Kirchen. Aber an vielen Stellen, auch in katholischen Bildungshäusern, ist man progressiv unterwegs. Sie leiden jedoch unter der Schwerfälligkeit und dem Druck der Amtskirche. In der evangelischen Kirche ist man demokratischer aufgestellt. Für Protestanten geht es aber darum, die Mystik mehr zu integrieren.

    Ist das integrale Christentum der Weg?

    Küstenmacher: Integrales Christentum heißt nicht, dass das, was gewachsen ist, gänzlich überholt ist. Paulus sagt: Prüfet alles und das Gute behaltet. Wir haben die Aufgabe, diese mystische Tiefe, die der Kosmos hat und in der sich das Ganze und das Göttliche zeigt, in den Vordergrund zu stellen - und unsere Erfahrungen damit in Worte zu fassen. Das muss sich im Christentum ändern. Ich glaube aber inzwischen: Von allen Weltreligionen ist das Christentum diejenige, die am meisten ihre Schatten aufarbeitet. Und das ist die beste Voraussetzung für Transformation. Aber entsprechend beutelt es uns gerade, weil es ein sehr anstrengender Wandlungsprozess ist.

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    Achtsamkeit auf dem Heiligenfeld Kongress Die Akademie Heiligenfeld  in Bad Kissingen veranstaltet jedes Jahr zu einem anderen Thema einen Kongress. Vom 16. bis 19. Mai dreht sich dieses Mal alles um "Achtsamkeit. Evolution - Bewusstsein - Menschsein". "Das Potenzial der Achtsamkeit besteht darin, dass wir uns selbst und unser Leben besser verstehen und steuern können: der Stress reduziert sich, unsere Gesundheit verbessert sich, Konzentration und Gedächtnis werden besser. Wir können uns von Problemen und Konflikten besser distanzieren und unsere Gefühle besser kontrollieren", sagt Joachim Galuska, Gründer und Vorsitzender der Geschäftsführung der Heiligenfeld Kliniken. Der Kongress ist ausgebucht. Infos: www.kongress-heiligenfeld.de Literaturtipp: Marion Küstenmacher war Mitbegründerin und viele Jahre gemeinsam mit ihrem Mann Werner Tiki Küstenmacher Chefredakteurin des monatlichen Newsletters "simplify your life". 2010 erhielt Marion Küstenmacher den Argula-von Grumbach-Preis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. In diesem Jahr hat sie zusammen mit ihrem Mann und dem Theologen Tilmann Haberer hat Küstenmacher das Buch "Gott 9.0 - Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird" veröffentlicht (24,99 Euro). Acht Jahre später folgte das Praxisbuch dazu: "Integrales Christentum. Einübung in eine neue spirituelle Intelligenz" (24 Euro). Beide Bücher sind im Gütersloher Verlagshaus erschienen und wurden von Werner Tiki Küstenmacher illustriert.  Marion Küstenmacher referiert auf dem Heiligenfeld Kongress am Freitag, 17. Mai, um 9 Uhr über: " Wacher Geist, wissendes Herz. Integrale Achtsamkeit und spirituelle Intelligenz". Ihr Workshop "Achtsamkeitsimpulse aus der Mystik" beginnt an diesem Kongress-Tag um 16 Uhr. 

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