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WÜRZBURG: Wasser, Windeln und Wintermützen am Bahnsteig

WÜRZBURG

Wasser, Windeln und Wintermützen am Bahnsteig

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    Ingrid Schumacher und Yasmin Dillamar gehören zur Refugee Transit Gruppe. An den Gleisen des Würzburger Bahnhofs helfen sie Flüchtlingen beim Umsteigen.
    Ingrid Schumacher und Yasmin Dillamar gehören zur Refugee Transit Gruppe. An den Gleisen des Würzburger Bahnhofs helfen sie Flüchtlingen beim Umsteigen. Foto: Foto: Theresa Müller

    Sie gibt Flüchtlingen am Hauptbahnhof Getränke, Snacks oder Kleidung für die kalten Wintertage und hilft beim Umsteigen in einen anderen Zug – die Refugee Transit Gruppe.

    Ein paar kleine Flaschen Wasser, Windeln, Schals, Wintermützen, Wollhandschuhe und verschiedene Sorten von Keksen: die 34-jährige Yasmin Dillamar benötigt nur ein paar Griffe, und schon sind drei Taschen gefüllt. Sie trägt eine Brille, hat lange Dreadlocks und lebt seit ihrem vierten Lebensjahr in Deutschland. Die gelernte Hebamme ist die Tochter eines US-Amerikaners und einer Deutschen. Und sie ist eine von acht Frauen, die zur Refugee Transit Gruppe gehören.

    Seit Oktober besteht die Gruppe aus Freiwilligen, die wöchentlich an den Würzburger Hauptbahnhof fahren und Flüchtlinge, die in Würzburg umsteigen, mit diversen Spenden versorgen. „Ich habe durch meinen Job als Hebamme wohl ein Helfer-Syndrom“, sagt die 34-Jährige scherzhaft. Unterstützt werden die Frauen von vier geflüchteten Syrern. „Viele Flüchtlinge können kein Englisch, da ist es natürlich sehr hilfreich, wenn die Jungs dabei sind“, sagt Yasmin Dillamar. Die Gruppe ist über Facebook organisiert. Helfen kann jeder, der Zeit und Lust hat.

    Seit etwa drei Wochen hat die Gruppe nun einen Raum bei der Bahnhofsmission. Davor habe man all die Sachen in die eigenen Autos gepackt, sagt Yasmin Dillamar. Die Deutsche Bahn unterstützt das Vorhaben, denn zusammen mit der Bahnhofsmission hat sie dafür gesorgt, dass die Refugee Transit Gruppe einen Raum bekommt. Auch in anderen Städten habe man, so ähnlich wie in Würzburg, Aufenthalts- und Lagerräume für die Freiwilligen der Hilfsorganisationen bereitgestellt, sagt ein Bahnsprecher aus München.

    Mit ihren vollgestopften Taschen verlässt Yasmin Dillamar am Hinterausgang das Gebäude und erreicht durch das Treppenhaus den Hauptbahnhof. Es riecht nach frisch gebackenen Brötchen. Im Hauptbahnhof ist es ruhig. Yasmin Dillamar läuft zum achten Gleis und bleibt an den Stufen stehen. „Wir gehen immer erst zu den hinteren Gleisen, weil wir von dort aus den besten Überblick haben“, sagt sie. Denn mittlerweile wissen sie, von wo aus die Flüchtlinge umsteigen. Mit der Regionalbahn seien sie unterwegs, der ICE sei schließlich unbezahlbar, sagt Yasmin Dillamar.

    Oben angekommen stellt sie ihre Taschen auf die Bank und läuft suchend auf und ab. Es ist kein Mensch zu sehen. Der Bahnsteig ist wie leer gefegt, nur drei Tauben trippeln umher. „Es kann auch schon mal vorkommen, dass nach zwei Stunden kein einziger Flüchtling zu sehen ist“, sagt sie. Nach einer Weile läuft die 46-jährige Ingrid Schumacher die Treppen hinauf. Sie trägt ihre blonden Haare als Dutt und gehört ebenfalls zur Refugee Transit Gruppe. Sie entscheiden sich dafür, das Gleis zu wechseln.

    „Man erkennt die Flüchtlinge meistens daran, dass sie verzweifelt vor den Anzeigen stehen oder hilflos durch die Gegend schauen“, sagt Yasmin Dillamar und lacht dabei. Die beiden Frauen lachen an diesem Tag recht viel, obwohl sie direkt mit den einzelnen Schicksalen konfrontiert werden. Man spürt jedoch, dass sie mit viel Freude und Engagement dabei sind. Und so ist es auch am Gleis 5.

    Dort steht ein völlig verunsicherter Syrer. In der Hand hält er nichts anderes als eine kleine weiße Tüte. Yasmin Dillamar versucht ihm zu helfen, doch er versteht sie nicht. Englisch spricht er auch nicht. Doch trotz der verbalen Schwierigkeiten steigt er in den richtigen Zug.

    Wieder läuft Yasmin Dillamar die Treppen hinunter. Nun ist auch der Syrer Kaddour Alkassem zur Gruppe gestoßen. Der 28-Jährige lebt seit einem Jahr in Deutschland und hat bereits Asyl bekommen. Und um zu wissen, wie man in einer Situation ohne einen syrischen Dolmetscher zurecht kommen soll, erklärt er, was „nächster Zug“ auf Arabisch heißt. „Almahat Altalia“, sagt er.

    Wieder geht es hinauf, dieses Mal zu Gleis 10. „Um 14 Uhr kommt ein Zug nach Erfurt. Hier steigen erfahrungsgemäß viele Flüchtlinge ein“, sagt Yasmin Dillamar. Doch warum in einen Zug nach Erfurt? „Die meisten von ihnen wollen Richtung Hamburg, Berlin oder weiter nach Schweden“, sagt sie.

    Die beiden Frauen entdecken ein junges Pärchen mit einem kleinen Kind. Schwer bepackt warten sie auf den einfahrenden Zug. Yasmin Dillamar fragt die junge Frau, ob sie etwas benötigt. Sie nickt. Yasmin Dillamar gibt ihr Wasser und Kekse und zieht dem Kind eine blaue Wollmütze an. Die Frau strahlt und bedankt sich. Die drei sind Roma und stammen aus Serbien. Man sieht ihnen an, dass sie wenig haben. Anders als der junge Syrer, der ein paar Meter entfernt am Gleis steht. Kaddour Alkassem spricht ihn auf Arabisch an. Der junge Mann bedankt sich, doch er benötigt nichts.

    Die Bahn fährt davon und kurz danach hält ein langer Sattelzug mit Luxusautos auf dem gegenüberliegenden Gleis. Es passt zu der Situation: Audi, BMW, Mercedes-Benz – Symbole des deutschen Bürgertums. Und nur wenige Minuten vorher steigen Menschen in einen Zug, die vor einem Krieg geflüchtet sind oder in ihren Heimatländern verfolgt wurden, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, doch ohne zu wissen, wie ihre Zukunft aussehen wird – vielleicht in Hamburg, Berlin oder Schweden.

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