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RIMPAR: Weltreise: Vom Main aus einmal um die ganze Welt

RIMPAR

Weltreise: Vom Main aus einmal um die ganze Welt

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    Sieben Jahre lang bauen Jutta und Albert Stöcker einen Katamaran. Als sie in Würzburg losschippern, ahnen sie noch nicht, dass sie zehn Jahre um den Globus segeln werden.
    Sieben Jahre lang bauen Jutta und Albert Stöcker einen Katamaran. Als sie in Würzburg losschippern, ahnen sie noch nicht, dass sie zehn Jahre um den Globus segeln werden. Foto: Albert Stöcker

    An diesem Wintertag ist es trist und grau in Rimpar (Lkr. Würzburg). Während der Regen von draußen an die Scheiben trommelt, schwärmen Jutta und Albert Stöcker in ihrer Wohnung von azurblauem Wasser und Sonnenuntergängen in der Südsee. Der Würzburger und die gebürtige Schweinfurterin müssen sich erst noch an das Wetter vor ihren Fenstern gewöhnen. Die vergangenen zehn Jahre sind sie von Traumstrand zu Traumstrand um die Welt gesegelt.

    Erinnerungen an ihren Lebenstraum

    Überall in ihrer Wohnung erinnern Stücke an ihren „Lebenstraum“, wie das Ehepaar seine Weltreise nennt. Ein Aztekenkalender aus Mexiko hängt zwischen den Fenstern, eine Marionette aus Bali steht neben dem Sofa und ein Paddel der Warao-Indianer aus dem Orinoco-Delta in Venezuela lehnt an der Wand. Sie haben sich die Welt mit nach Rimpar geholt.

    „Den Plan zur Weltreise hatte ich schon mit 20, aber ich habe jung geheiratet“, erzählt Albert Stöcker. „Ich wurde also Dauergast in der Würzburger Stadtbücherei, um über Reisen zu lesen.“ Durch Zufall kam er dort zwischen den Büchern zum Segeln: „Unter dem Regal mit den Landreisen standen die Bücher über Seereisen.“

    Mit Mitte 50 rückt der Traum in greifbare Nähe

    Albert Stöcker war Volksschullehrer im Landkreis Würzburg. Doch er ist umtriebig. „Ich hatte eine Weile einen Surfshop in Würzburg. Ich wollte Hobby und Beruf verbinden“, sagt er. Schließlich landet er in der Pharmaindustrie und arbeitet dort als Referent. Mit Mitte 50 sieht er die Chance gekommen seinen Traum zu verwirklichen. „Ich bin in Altersteilzeit gegangen und habe mich konkret mit der Weltumsegelung beschäftigt“, erzählt der 70-Jährige. Seine zweite Frau Jutta Stöcker kündigt ihre Stelle.

    Für sie war das Transportmittel Nebensache. „Ich wollte einfach nur die Welt sehen“, so die 59-Jährige. Ein gebrauchtes Schiff ist zu teuer. Albert Stöcker kauft einen Bauplan, sie legen selbst Hand an – und brauchen sieben Jahre bis ihr 14 Meter langer Katamaran fertig ist. Am Anfang werkeln sie in einer Scheune in Bibergau. „Dort hat aber nur ein Rumpf hineingepasst“, sagt Albert Stöcker. In Schweinfurt können sie bei der Firma Schenker einen Teil des Geländes am Main mieten und sind fast rund um die Uhr dort.

    Ein paar Kisten Bücher sind alles was vom Leben übrig ist

    Bevor sie lossegeln, verkaufen sie Haus, Möbel und Motorrad. Jutta Stöcker stellt vier Kisten und eine alte Uhr bei Freunden ab, Albert Stöcker behält ein paar Kartons Bücher. „Das ist alles was übrig ist vom Leben“, sagt Jutta Stöcker. Am 1. August 2007 ist es soweit: Sie lassen das Schiff auf dem Main zu Wasser. „Auf der Autobahnbrücke standen Spaziergänger und haben geklatscht. Ich habe Rotz und Wasser geheult, das war so emotional“, berichtet die 59-Jährige.

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    In Würzburg machen sie ihren ersten Halt. Mit der Festung im Rücken nehmen sie Abschied von Freunden und Familie. Dann sticht die „Imagine“ in See. Ihr Heimathafen? Natürlich Würzburg. „Darauf wurden wir auf der ganzen Welt angesprochen“, erzählen sie. Wie lange sie fort sein würden – darauf haben die beiden damals keine Antwort. „Ich habe immer gesagt vielleicht fünf oder zehn Jahre, wer weiß“, so Albert Stöcker.

    Auf nach Brasilien!

    Auf ihrer Weltreise haben sie ihren ersten Zwangsstopp in Köln. „Nach vier Tagen waren schon beide Getriebe kaputt“, sagt Albert Stöcker. „Aber die waren ja schon sieben Jahre alt.“ Für ihre Reise haben sie einen festen Plan. „Die normale Weltumseglungsroute geht von den Kanaren über die Karibik und den Panama Kanal in den Pazifik“, sagt Stöcker. Aber sie merken, dass Pläne ganz schnell umgeschmissen werden können. „Als wir auf den Kanaren waren, wollte Jutta plötzlich nach Brasilien, weil andere Segler so von dem Land schwärmten.“

    Mit Bus, Bahn und Flugzeug erkunden sie Land und Leute. Sie sind fasziniert. Aber sie lernen auch die Schattenseiten kennen. In Brasilien werden sie zum ersten Mal überfallen. Zwei Männer halten ihnen eine Pistole an die Brust. Sie kommen mit dem Schrecken davon. „Wir sind im Dunklen zum Supermarkt gelaufen und waren so unbedarft, dass wir alles dabei hatten.“

    Kokablätter gegen die Höhenkrankheit

    Sie zieht es weiter nach Argentinien und durchs Andenhochland in Bolivien: Lamaherden, heiße Quellen, Lehmhütten der Indios. Ihnen gefällt es vor allem dort, wo keine Touristen sind. Jutta Stöcker bekommt die Reise im Hochland nicht gut, sie leidet an der Höhenkrankheit, bis sie in La Paz Kokablätter für sich entdeckt: „Die kauen die Einheimischen ja nicht ohne Grund ständig.“ Im Bus geht es nach Peru. Sie sehen den Titicacasee und Machu Pichu, fahren Kanu auf dem Amazonas. Neben ihnen schwimmen Flussdelfine.

    Nach sechs Monaten Südamerika segeln sie weiter. Es geht in die Karibik: Grenada, Tobago, Saint Lucia, Antigua. „Es war schon toll, aber einmal reicht“, sagt Albert Stöcker. „Dort sind viele Touristenecken. Da kann ich mich auch in den Flieger setzen und muss kein eigenes Boot bauen“, erzählt Jutta Stöcker. Sie wollen weiter nach Venezuela.

    Plötzlich ohne Mast und Segel

    60 Kilometer sind sie draußen auf dem Meer als es einen Schlag macht. „Der gesamte Mast mit allen Segeln ist gebrochen und über Bord gegangen.“ Das Ehepaar kämpft, mit aller Kraft versuchen sie ihn wieder aus dem Meer zu ziehen – und scheitern. „Er war zu schwer, wir mussten alles abschneiden“, sagt Jutta Stöcker. Ohne Mast stehen sie 2009 kurz vor dem Ende ihres Traums. „Ein neuer Mast hätte 30000 Euro gekostet, aber wir haben von der Hand in den Mund gelebt.“ Eines haben sie auf ihren Reisen gelernt: Segler halten zusammen. In Trinidad verkauft ihnen ein Österreicher einen alten Mast mit Segeln für 1500 Dollar.

    Ihre Weltreise kann weitergehen. Von Kuba sind sie enttäuscht, in Mexiko erkunden sie alte Mayastädte, weiter geht es nach Belize und Guatemala. Sie reisen als Backpacker in Bus oder Eisenbahn. „Du siehst, wenn du mit den Einheimischen unterwegs bist mehr, als wenn du dich im Taxi fahren lässt“, sagt Jutta Stöcker. „Dafür ist es anstrengender. Erholungsreisen sind das keine.“

    Tragik in der Südsee

    2011 segeln sie durch den Panama-Kanal, immer Richtung Südsee. „Jetzt waren wir endlich da!“, schwärmt Stöcker noch sechs Jahre später von ihrer Ankunft auf den Galapagos-Inseln. Sie teilen sich die Strände mit Seelöwen, Pelikanen und Schildkröten. Die Marquesas, Bora Bora – die Beiden zieht es von Paradies zu Paradies. „So haben wir uns die Südsee vorgestellt“, erzählt Jutta Stöcker. „Wenn du auf dem Boot stehst, kannst du bis auf den Grund des Meeres schauen und die Fische beobachten.“

    Doch es gibt auch dunkle Wolken auf ihrer Reise. 2011 wollen sie sich mit Freunden in der Südsee treffen: Heike Dorsch und Stefan Ramin. Dazu kommt es nicht. „Wir bekamen eine Mail von Stefans Vater, dass er vermisst wird“, sagt Albert Stöcker. Später erfahren sie, dass Stefan von einem Einheimischen auf der Südsee-Insel Nuku Hiva ermordet wurde. „Es ist eine ganz schreckliche Sache“, sagt Jutta Stöcker. „Er war ein lebenslustiger Mensch, der zur falschen Zeit am falschen Ort war“, erinnert sich Albert Stöcker an seinen Freund.

    Knochenbrüche am Ende der Welt

    In zehn Jahren kann viel passieren. Auf der kleinen Insel Suwarrow, die zu den Cook-Inseln zählt, stolpert Jutta Stöcker über eine Wurzel und bricht sich ihr Bein. Das Ehepaar segelt nach Amerikanisch-Samoa, wo sie einen Gips bekommt und die Stöckers sechs Wochen bleiben. „Finger gebrochen, Zeh gebrochen, Dengue-Fieber – das geht alles ohne ärztliche Versorgung“, so Jutta Stöcker über die Krankheiten während ihrer Reisen.

    Neuseeland gefällt ihnen, sie bleiben ein halbes Jahr. „Ich habe immer ein Land gesucht, wo ich bleiben möchte“, sagt Jutta Stöcker. „Neuseeland wäre in Frage gekommen.“ Doch nach sechs Monaten müssen Ausländer wieder ausreisen. Sie segeln weiter zu den Fidschi-Inseln und nach Indonesien.

    Eine Waschmaschine an Bord

    In jedem neuen Land gehen sie in den einheimischen Supermarkt. Jutta Stöcker kocht täglich, Essen gehen leisten sie sich selten. „Am besten wird man Vegetarier“, erzählt sie. „Fleisch ist schwer zu bekommen oder es hängt übersät mit Mucken im Freien. Dann heißt es Augen zu und reinbeißen.

    “ An Bord haben sie ein kleines Gefrierfach. Wichtiger war Jutta Stöcker eine Waschmaschine. „Das war vor der Abfahrt meine Bedingung. Ich wollte mich nicht auf den Steg setzen und am Waschbrett waschen.“

    Auf Borneo sehen sie Orang-Utans, in Singapur erklimmen sie Wolkenkratzer. 2014 machen sie eine Rundreise durch Asien: Malaysia, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha. „Wir wollten nie hin, aber da wir schon in der Nähe waren, haben wir uns dann noch Indien und Nepal angesehen“, sagt Albert Stöcker. Ohne Führer und Träger gehen sie schließlich auf Wanderschaft um den Annapurna, den zehnthöchsten Berg der Welt. „Tagelang ging es nur Treppen hoch und dann wieder tagelang nur Treppen runter“, erzählen sie. „Als wir zu unserer Weltreise aufgebrochen sind, hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können, solche Reisen zu machen“, schwärmt der 70-Jährige.

    Segeln wird zur Nebensache

    „Je länger wir unterwegs waren, desto mehr wurde Segeln zur Nebensache, um zum nächsten Land, zum nächsten Kontinent zu kommen“, sagt Albert Stöcker. Dass das Ehepaar ganze Kontinente entdeckt, war ursprünglich nicht geplant. „Wieviel wir insgesamt gesegelt sind, wissen wir nicht. Ich sammle keine Rekorde“, sagt der 70-Jährige. Ganz frei sind die Stöckers in ihrer Reiseplanung jedoch nicht, die Wetterkarte ist ihr ständiger Begleiter. „An manchen Ecken hat man zu bestimmten Zeiten einfach nicht zu sein“, so Stöcker. „Je nach Ort gibt es unterschiedliche Orkanzeiten.“

    An Bord führt Albert Stöcker täglich das Logbuch. Aus welcher Richtung kommt der Wind, wie ist das Wetter, wo sind sie gerade? Daneben schreibt er Tagebuch. In Rimpar stapeln sich die in Leder gebundenen Bücher auf dem Tisch. Für jedes Jahr eines. Dort kann er immer wieder ihre Abenteuer nachlesen.

    Mit der Machete gegen Eindringlinge

    Viele Segler meiden die Seychellen aus Angst vor Piraten aus Somalia. Die Stöckers reisen 2015 trotzdem dorthin – und werden nachts an Bord überfallen. „Aber nicht von Piraten, sondern von zwei drogensüchtigen Jugendlichen“, erklärt Stöcker. Nach dem Überfall in Brasilien, hatten sie sich eines vorgenommen: so etwas soll ihnen nicht noch einmal passieren. Albert Stöcker feuert die Signalpistole ab und richtet sie auf die Eindringlinge.

    „Die waren voll auf Drogen, die hat das gar nicht beeindruckt“, erzählt der 70-Jährige. Aber er weiß sich zu helfen. Stöcker greift zu einem seiner vielen Souvenirs – einer Machete, mit der er schwingend auf sie zu rennt und brüllt „I will kill you!“ „Dann sind sie vor lauter Angst über Bord gesprungen“, sagt Albert Stöcker.

    Auf der Flucht im Rückwärtsgang

    Weiter geht es für sie nach Afrika. Nach einem Halt auf Madagaskar, segeln sie an der Küste Mosambiks vorbei und erkunden schließlich Südafrika. Neun Jahre sind die beiden schon um die Welt gereist, jetzt erlebt Jutta Stöcker zum ersten Mal Todesangst. Auf einer Safari kommt plötzlich ein Elefanten stampfend auf sie zu. Albert Stöcker legt geistesgegenwärtig den Rückwärtsgang ein und drückt aufs Gaspedal. „Das war es dann erst einmal mit Safaris“, so Jutta Stöcker.

    2016 geht es für sie schließlich zurück zu ihrer ersten Station: Brasilien. „Damit war unsere Weltumsegelung vorbei“, erzählen sie. Ein Jahr verbringen sie noch in der Karibik, um das Boot wieder flott zu machen, bevor sie es verkaufen. Am 10. Mai 2017 heißt es auf Antigua Leinen los. Ein Käufer in der Bretagne wartet auf sie.

    Wieder zuhause!
    Wieder zuhause! Foto: Thomas Obermeier

    Zurück in Unterfranken: „Ich fühle mich wie ein Fisch an Land“

    Segeln ist anstrengend. Alle vier Stunden wechselt sich das Ehepaar ab. Auch Nachts. „Wir hatten zwar Autopilot, aber wir mussten Ausschau halten nach anderen Schiffen“, erklärt der 70-Jährige. Auf der Rückfahrt über den Nordatlantik geht der Autopilot kaputt. „Wir mussten eine Woche von Hand steuern“, so Stöcker über die Strapazen ihrer letzten Fahrt. Und nicht genug, geraten sie mit ihrem Katamaran in einen Sturm. „Wenn die Wellen über das Boot schlagen, Wasser durch das Fenster kommt und man mitten auf dem Meer ist, hat man Todesangst“, so Jutta Stöcker – wäre dies die erste Fahrt auf ihrer Reise gewesen, hätte diese wohl nicht lange gedauert, gibt sie zu. Am 28. Juni kommt die „Imagine“ schließlich in Frankreich an.

    Im Alltag in Franken sind die Beiden noch nicht angekommen. „Ich wäre noch fünf Jahre weitergesegelt“, sagt Stöcker. Doch seine Frau sehnte sich nach einem Stück Normalität: „Nach zehn Jahren wollte ich mal wieder ins Bett gehen und durchschlafen. Ich habe das ganz normale deutsche Leben vermisst.“ Während sie sich nun einen Job suchen will, weiß Albert Stöcker noch nicht, wie er die Umstellung schaffen soll: „Ich fühle mich wie ein Fisch an Land.“

    Wenn er nicht mit seinem Fahrrad über die Felder Rimpars fährt, sitzt er am Schreibtisch und schwelgt in Erinnerungen: 20 000 Fotos hat er auf ihrer Weltreise gemacht, aus denen er nun einen Lichtbildvortrag machen will. Er sehnt jedoch schon den April herbei. Dann geht es für ihn wieder auf See. „Mein Seglerfreund hat mich eingeladen seine Jacht mit ihm von Gomera über Madeira, die Azoren, Irland und die Nordsee zur Ostsee zu überführen.“ Statt Mainufer also wieder Strandidylle.

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