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WÜRZBURG: Wenn die Therapie an der Sprache scheitert

WÜRZBURG

Wenn die Therapie an der Sprache scheitert

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    Der Würzburger Therapeut Dominique Schmitt
    Der Würzburger Therapeut Dominique Schmitt Foto: Foto: Pat Christ

    Der Fluchtweg gestaltete sich für die Jugendliche aus Afrika zum Horrortrip. Mehrfach bangte sie um ihr Leben. Zum Beispiel auf der Überfahrt im überfüllten Boot. Sie erfuhr Gewalt und wurde einmal sogar vergewaltigt. Das alles führte dazu, dass sie nun in einer tiefen seelischen Krise steckt. Der Würzburger Psychologe Dominique Schmitt versucht, der jungen Frau zu helfen. Doch er stößt an seine Grenzen: „Ohne Dolmetscher ist eine Therapie einfach unmöglich.“

    Schon vier Mal war die junge Afrikanerin bei Schmitt. „Für diese Sitzungen wurde ein Dolmetscher vom Jugendamt finanziert, da die Afrikanerin noch minderjährig war“, erläutert der Therapeut, der sich in einer Sozialpsychiatrischen Gemeinschaftspraxis in Würzburg für Flüchtlinge engagiert. Vor kurzem feierte die junge Frau ihren 18. Geburtstag. Das hatte für ihre Therapie Konsequenzen: Das Jugendamt zahlt seitdem nicht mehr. Aber auch sonst will derzeit niemand die Kosten für einen Sprachmittler übernehmen.

    Das Problem treibt Ärzte und Therapeuten deutschlandweit um: Flüchtlinge, die ein Versichertenkärtchen haben, dürfen zwar zum Arzt oder Psychologen gehen. Einen Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten haben sie jedoch nicht. Das war schon immer so. Doch angesichts der Menge an Flüchtlingen, die dringend Hilfe brauchen, ist die Weigerung, Übersetzer zu finanzieren, nach Ansicht von Heilberuflern aus humanen Gründen nicht länger hinnehmbar. „Die Patienten sind teilweise lebensbedrohlich erkrankt“, so der Neurologe Klaus Oehler, einer von drei Inhabern der Sozialpsychiatrischen Gemeinschaftspraxis. Es drohen körperliche Leiden aufgrund seelischer Störungen, auch könne es zu Suiziden kommen.

    Eine Ambulanz für Flüchtlinge

    Die Gemeinschaftspraxis, der Oehler angehört, ist unterfrankenweit etwas Besonderes. Ein 70-köpfiges Team kümmert sich an zwei Standorten vor allem um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit seelischen Problemen. Seit drei Jahren kommen immer mehr Flüchtlinge zur Behandlung. Das Team beschloss daher, einige Therapeuten speziell zu schulen und eine „Flüchtlingsambulanz“ innerhalb der Praxis zu etablieren. Neben Dominique Schmitt gehören die Ärztinnen Ulrike Bücherl und Katharina Gadeholt der Ambulanz an. Rund 150 Flüchtlinge im Jahr nehmen das Angebot derzeit wahr.

    „Wir engagieren uns hier, obwohl es finanziell schwierig ist“, erläutert Oehler. Für die Behandlung eines Flüchtlings müsse aufgrund von sprachlichen und kulturellen Unterschieden meist die doppelte Zeit veranschlagt werden. „Das beginnt damit, dass wir unsere Rolle als Therapeut erst einmal erklären müssen“, sagt Dominique Schmitt. Nie wird er seinen ersten Flüchtling, einen jungen Afghanen, vergessen: „Der fühlte sich schlecht behandelt, weil ich mir seine Zähne nicht angeschaut hatte.“ Schmitt fand heraus, dass es dort, wo der Afghane lebte, einen einzigen Arzt für alles gibt: „Er hört zu, amputiert Gliedmaßen und schaut sich bei jedem Besuch die Zähne an.“

    Für das Team der Flüchtlingsambulanz ist die aktuelle Situation frustrierend. Sie sehen Dutzende Menschen, die in seelischem Leid gefangen sind – und können nicht helfen. Im Missionsärztlichen Institut (MI) fand das Team Mitstreiter für seine Forderung, dass Dolmetscherkosten finanziert werden müssen, um das Menschenrecht auf medizinische Versorgung zu erfüllen. Gemeinsam wollte man unlängst einen Runden Tisch mit den fünf großen örtlichen Krankenkassen organisieren.

    Doch der Plan scheiterte, erklärt André Spiegel, Koordinator des Arbeitsfelds „Migrantenmedizin“ im MI. „Zwei Kassen sagten uns ab, zwei reagierten gar nicht.“

    Kassen wollen nicht zahlen

    Einzig die AOK möchte ein Gespräch führen. „Die Problematik sehen wir ähnlich“, sagt Würzburgs AOK-Pressesprecher Hans-Joachim Scheller. Die Kasse sei deshalb gerne bereit, sich über das Thema auszutauschen.

    Bei dem Runden Tisch wollte man den Kassen vorschlagen, freiwillig den Aufbau eines Pools an Fremdsprachendolmetschern zu unterstützen. Dieser Pool entsteht gerade in Kooperation von Rotem Kreuz und Paritätischem Wohlfahrtsverband. Hier werden Menschen für Übersetzungsarbeiten speziell im medizinischen und psychosozialen Sektor geschult.

    Die Übersetzer könnten in Kürze in der gesamten Region eingesetzt werden. „Aber natürlich müssen sie entlohnt werden, schließlich ist die Arbeit sehr anstrengend“, so Spiegel. Genau dieses Geld haben die Einrichtungen und Praxen nicht.

    Nicht nur in Unterfranken werden Kassen mit dem Wunsch konfrontiert, Flüchtlingen über Dolmetschern den Zugang zur medizinischen und therapeutischen Versorgung zu ermöglichen. An vielen Orten der Republik flammte das Thema in letzter Zeit auf. Die Kassen verweisen auf das Sozialgesetzbuch. Dort steht, dass sie lediglich für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen Dolmetscher finanzieren müssen. Die Kostenübernahme von Fremdsprachendolmetschern ist nicht vorgesehen.

    „Stimmt, doch was hält die Kassen von einem freiwilligen Engagement ab“, fragt André Spiegel. Schließlich würde von den Krankenversicherungen auch vieles finanziert, was nicht gesetzlich vorgeschrieben sei.

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