Am Frankfurter Flughafen herrscht wie jeden Morgen emsige Betriebsamkeit. Urlauber, Geschäftsreisende und Weltenbummler wandern um 9 Uhr morgens durch lange Flure. Am Terminal 1 schieben sich Passagiere in den Bauch eines Airbus A 321. Das Ziel der Lufthansa-Maschine ist Athen. Im Eingangsbereich des gut zehn Jahre alten Fliegers grüßen Flugbegleiter in Uniform. Geradeaus geht's zu den Sitzen, rechts in die Toilette und links klebt auf der Plastik-Wand zur Flugzeug-Küche ein Schild aus Plexiglas. Darauf prangt das Würzburger Stadtwappen und der Satz „Dieses Flugzeug trägt den Namen der Stadt Würzburg“.
Bereits seit 40 Jahren fliegt eine Maschine der Lufthansa Reklame für die unterfränkische Stadt. Die aktuelle „Würzburg“ ist aber kein 40 Jahre alter Flieger. Hat die Lufthansa mal einen Städtenamen vergeben, bleibt er auch bei der deutschen Airline. Wird aber ein Flugzeug außer Dienst gestellt, geht der bewährte Städte-Name auf eine moderne Maschine über. Heute fliegt ein Airbus A 321 - 100 mit dem Namen Würzburg beinahe täglich durch Deutschland und Europa. Er ist das dritte Flugzeug der Lufthansa, das sich Würzburg nennt. Die Vorgänger des aktuellen Airbus waren zwei Maschinen der amerikanischen Flugzeugschmiede Boeing.
„Wenn ich die Würzburg fliege, muss ich an meine Bundeswehr-Zeit denken“
Martin Herbold Lufthansa-Kapitän
Insgesamt absolvierten alle drei „Würzburg“-Flieger knapp 120 000 Starts und Landungen, waren zwischen Helsinki und Tripolis, St. Petersburg und Lissabon etwa 90 000 Stunden in der Luft und trugen den Namen Würzburg, der unter der Typbezeichnung am Rumpf des Fliegers in blauen Buchstaben prangt, in die Welt. Davon träumen noch rund 160 andere Städte, die auf der Lufthansa-Warteliste stehen.
„Passagiere freuen sich über die Städtenamen der Flugzeuge“, sagt Flugbegleiterin Nina Gläser. „Wenn sie etwas mit einer Stadt verbinden oder dort gelebt haben, sprechen sie uns an und erzählen“, so die 26-Jährige. Aber nicht nur Fluggäste, auch Lufthansa-Kapitän Martin Herbold, 44, der die „Würzburg“ an diesem Vormittag nach Athen fliegt, achtet auf die Städtenamen. „In dieser Maschine muss ich an meine Zeit bei der Bundeswehr bei Tauberbischofsheim denken“, erzählt der Familienvater, der seit 17 Jahren für die Lufthansa am Steuer eines Fliegers arbeitet, und lacht. „Würzburg war damals die einzige Stadt, die Abwechslung bot.“
Inzwischen sitzen die Passagiere im Flugzeug. Die Stimmung im Cockpit wird angespannter. Das Zweierteam hat alle Sicherheitsvorkehrungen gecheckt, den Start geplant und die Flugroute in den Autopiloten eingegeben. Langsam rollt der Airbus los. Auf dem Frankfurter Flughafen herrscht „rechts vor links“, wie in Würzburger Wohngebieten. Die Startbahn ist frei wie der Residenzplatz am Heiligen Abend. Erst langsam, dann immer beständiger drehen die Triebwerke hoch. Im ganzen Flugzeug drückt es die Menschen in die Sitze – wie bei einer Achterbahnfahrt auf dem Kiliani-Volksfest. Dann hebt die „Würzburg“ weich in Richtung Himmel ab.
Der erste Offizier ist eine Frau
Tina Heins-Bundes steht Kapitän Herbold zur Seite. Sie ist die erste Offizierin. Eine Frau als Copilotin im Cockpit eines Flugzeugs hätte sich bei der Taufe der ersten „Würzburg“ im Jahr 1967 wohl niemand träumen lassen. Frauen hatten damals andere Jobs. Die Gattin des Würzburger Oberbürgermeisters Helmuth Zimmerer taufte am 30. März 1967 die Boeing 727 mit fränkischem Sekt auf den Namen der Domstadt. Weinkönigin Christa Sauer durfte mit Krönchen im Haar das Wappen und den Namen „Würzburg“ enthüllen.
Ihr Flug nach Athen, heute eine typische Strecke für die Maschine, führt sie an diesem Morgen nach einer Rechtskurve Richtung Süden. Die Mainschleife bei Miltenberg ist von oben zu sehen, Würzburg wird nicht überflogen. Kapitän Herbold verrät, warum er seinen Beruf besonders schätzt: „Egal, wie schlecht das Wetter ist – über den Wolken sehen wir Piloten immer die Sonne.“
Probleme einer Stadt vergessen
Ganz abseits von Reinhard-Mey-Romantik sind irdische Probleme hier oben sehr fern. Stadt und Alltag geraten in der „Würzburg“ völlig in Vergessenheit. Niemanden kümmert hier ein Hotelturm, Konversionsflächen oder Gebäude auf Marktplätzen. Und auch die Lufthansa schweigt über Weinberge, die Festung Marienberg oder die verlorene Wahl der Oberbürgermeisterin. Leider kommt der servierte Wein in der „Würzburg“ nicht aus Franken, sondern aus Kalifornien. Im Cockpit gibt's ohnehin keinen Alkohol. Dafür stilles Wasser oder Cola, Nüsse und lila Schokolade, in der Business-Class frischen Fisch, Pfannkuchen und Schoko-Törtchen. Der Verzicht auf blaue Zipfel fällt da leicht. Und was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Gemeckere gibt's in der Heimat schon genug.
Über München, Kärnten, Slowenien, Mazedonien und Albanien geht es nach Athen. Zeit für eine Würzburg-Wissens-Abfrage beim Kapitän. Bei der Bevölkerungszahl liegt Martin Herbold mit seiner Schätzung von 140 000 Einwohnern knapp daneben, korrekt wären 129 000. Aber der 44-Jährige weiß um die Zerstörung Würzburgs 1945 und kennt den Namen der Universität. Prüfung bestanden. Vielleicht hat die Presseabteilung der Lufthansa den Piloten einfach gut instruiert.
„Über den Wolken sehen wir Piloten immer die Sonne“
Martin Herbold Lufthansa-Kapitän
Nach zweieinhalb Stunden Flug landet die „Würzburg“ in Athen. Die See schimmert grünblau. Am Athener Flughafen fließen tonnenweise Kerosin und Sauerstoff in den Flieger. Gleichzeitig säubert ein griechisches Team flink das Flugzeug. Schon in 20 Minuten kommen neue Passagiere. Bei 36 Grad, Wind und viel Sonne startet die „Würzburg“ ihren Rückflug. Auf 10 000 Meter Höhe geht's bei 48 Grad unter null über die Ostküste Italiens wieder nach Frankfurt zurück. Nach München verspricht Kapitän Herbold einen Blick auf Würzburg. Marktbreit taucht auf, der Main, eine kurze Rechtsdrehung, und da ist sie: die Stadt Würzburg aus der Vogelperspektive, mit Bischofshut und Ringpark, so einig und einzigartig. Für sein spontanes Manöver abseits der Route wird der Pilot von der Flugsicherung ermahnt. Der Weg zwischen Erde und Himmel ist eben doch viel zu kurz, als dass nicht jemand stören würde. Doch allein für diesen Blick von oben auf Würzburg hat sich die Partnerschaft zwischen der Lufthansa und der Stadt schon gelohnt.
Gegen 16 Uhr setzt der Airbus A 321 zur Landung in Frankfurt an. Zurück am Boden, wartet auf alle die Realität in Form von Stau auf der A 3, Putztruppe und Flugplan, der die „Würzburg“ schon eine knappe Stunde später wieder nach Berlin und zurückschickt.
Daten & Fakten
Airbus A321-100 „Würzburg“ Seit 1997 fliegt der aktuelle Airbus mit dem Namen „Würzburg“ durch die Welt. Mit bis zu 182 Plätzen in Economy- und Business-Class kann das Flugzeug bei voller Beladung bis zu 4200 Kilometer weit fliegen. Die erste und zweite „Würzburg“ sind nicht mehr bei der Lufthansa im Dienst. Sie verkehren heute als Frachtflugzeuge in Südamerika.