Wie geht die Stadt mit Straßennamen um, die Personen von heute zweifelhaftem Ruf ehren? Eine Fachkommission soll bei der Neubewertung helfen. Sie wurde eingesetzt im Kontext der Umbenennung der Helmuth-Zimmerer-Straße wegen dessen rassistischer Doktorarbeit und NS-Verstrickung. Jetzt ging die Kommission zum ersten Mal an die Öffentlichkeit – ohne bereits einzelne Straßennamen zur Diskussion zu stellen.
Vor 40 Zuhörern einer Podiumsdiskussion in den Barockhäusern suchte man vor allem den richtigen Weg bei der Überprüfung von Straßennamen: Soll sie öffentlich erfolgen oder hinter verschlossenen Türen? Soll sie nur auf die Zeit des Nationalsozialismus schauen oder weiter zurück? Zweimal hat die Kommission bis dato geheim getagt. Man wolle aber den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen, schickte Kulturreferent Muchtar Al Ghusain voraus. Dies sei auch ein Anliegen der städtischen Erinnerungskultur.
90 Straßen zur Prüfung
120 Straßen sind in Würzburg nach Personen benannt, deren aktive Lebensphase in die NS-Zeit fällt und die deshalb begutachtet werden. 30 davon sind laut Dr. Axel Metz, Leiter des Stadtarchivs, absolut unverfänglich. Zu den anderen sollen zunächst knappe Biografien erstellt werden. Klargestellt wurde an dem Abend: Die Entscheidung über eine Namensänderung oder -beibehaltung fällt niemals in der Kommission, sondern im Stadtrat oder per Bürgerentscheid. Und Fälle aus anderen Städten zeigen: Nicht immer folgt die Entscheidung der Empfehlung der Kommission.
In Freiburg ist der Frust beim Vorsitzenden der dort eingesetzten Namenskommission groß. Der Historiker Prof. Dr. Bernd Martin machte daraus vor der Würzburger Zuhörerschaft keinen Hehl: „Ich würde mich für einen solchen Vorsitz nicht mehr zur Verfügung stellen.“ Im Verlauf des Gesprächs wurden die Gründe für seine Enttäuschung deutlich: 18 Sitzungen in vier Jahren hat die Freiburger Historikerkommission hinter sich – unter absoluter Geheimhaltung. „Sonst wären bei jedem Namen sofort öffentliche Diskussionen entbrannt“, erklärte Martin.
Freiburg tut sich schwer
Stattdessen kommt der Protest nun geballt. Seit Bekanntgabe der Kommissionsergebnisse werde er als Vorsitzender in Leserbriefen beschimpft. Laut einer Umfrage lehnt die Mehrheit der Freiburger jede Umbenennung ab, knapp 30 Prozent seien dafür, 15 Prozent sei es egal. Der Gemeinderat der Stadt Freiburg entscheidet nun, ob die Umbenennungen vollzogen oder vertagt werden – oder es gibt einen Kompromiss: Die problematischen Straßennamen werden mit Tafeln kritisch erklärt.
In Freiburg wurden die Namen nicht alphabetisch, sondern nach Berufsgruppen geprüft. Dieses Verfahren hat sich laut Martin bewährt. Grundsätzlich sei niemals nur nach Zugehörigkeit zur Partei oder nach bestimmten Mitgliedschaften zu entscheiden, sondern jeder Einzelfall zu prüfen – eine Einschätzung, die an dem Abend auf breite Zustimmung stieß. Der Freiburger Experte zeigte sich allerdings verwundert, dass man sich in Würzburg auf die NS-Zeit beschränke. „Wir haben auch extreme Rassisten oder Frauenfeinde aus anderen Epochen geprüft.“
Für Stadtheimatpfleger Hans Steidle, der sich in die Diskussion einschaltete, ist die Beschränkung auf die Phase des Nationalsozialismus plausibel: „Das ist ein guter erster Schritt.“ Später könne man den Zeitraum ausdehnen, zum Beispiel auf den Imperialismus und Militarismus des 19. Jahrhunderts, der sich besonders in Straßennamen in der Zellerau niedergeschlagen hat.
Steidle plädierte dafür, die offensichtlich problematischen Namen als erstes zu klären und nicht unbedeutendenden und unbekannten Namensgebern hinterherzujagen. Steidle war es auch, der drei lokale Namen als kritische Beispiele ins Spiel brachte: den NS-nahen Heimatdichter Nikolaus Fey, Hermann Zilcher, Direktor des Musikkonservatoriums und Gründer des Mozartfestes, und Kardinal Michael von Faulhaber.
Aus den Reihen des Stadtrates nahmen Benita Stolz (Grüne), Willi Dürrnagel (CSU) und Heinrich Jüstel (SPD) an der Veranstaltung teil. Letzterer traf eine ganz persönliche Einschätzung, warum in Würzburg die Konzentration auf die NS-Zeit richtig ist: „Weil es kein vergleichbares, monströses Verbrechen in der Menschheitsgeschichte gab wie den Holocaust. Und weil in der Folge die Stadt Würzburg fast vollständig zerstört wurde.
Einige wichtigen Klärungen nahm Dr. Niels Weise vom Münchner Institut für Zeitgeschichte in seinem Impulsreferat vor. Weise hat in Würzburg studiert, promoviert und hier gelehrt – er ist Mitglied der Namenskommission. In ganz Deutschland, so sagte er, hätten in den letzten Jahren Debatten über Straßennamen eingesetzt – Würzburg sei hier eher spät dran. Wobei mit Blick auf die ehemalige Carl-Diem-Halle – umbenannt 2004 – und die Zimmerer-Straße diese Art der Auseinandersetzung nicht mehr fremd sei.
„Straßennamen stiften Identität, sie drücken das Selbstverständnis einer Stadt aus“, sagte Weise. Mit der Benennung nach einer Person werde die Lebensleistung eines Namensgebers gewürdigt. Wenn nachfolgende Generationen über mehr Wissen verfügen und damit Neubewertungen vornähmen, sieht Weise dies als Gewinn und nicht als Besserwisserei von Nachgeborenen. Straßennamen würden nicht für die Ewigkeit vergeben, sondern seien dann zu ändern, wenn Historiker zu neuen Erkenntnissen gelangen. Weise: „Straßennamen sind kein Denkmal.“
Problembewusstsein entsteht
Es gehe weder um Säuberungsprozesse, noch solle Geschichte neu geschrieben werden. Vielmehr seien Debatten mit einem offenen Ende zu führen. „Sie schaffen ein Problembewusstsein. Das ist ein Wert an sich.“ Was die NS-Belastung angeht, so hat sich Weise zufolge die Bewertung seit 1945 geändert. Die Grenzen zwischen Tätern und Mitläufern würden verschwimmen.
Die Gesprächsrunde wurde moderiert von Dr. Rotraud Ries, Leiterin des Johanna-Stahl-Zentrums in Würzburg, Auch sie hält die Umbenennung einer Straße für einen ganz normalen Vorgang. In einem demokratischen Prozess seien die Pro- und die Kontra-Argumente abzuwägen. So sei dies auch auf sehr intensive Weise im Falle Carl Diem geschehen, erinnerte Stadträtin Benita Stolz.
Rotraud Ries zeichnete die große Linie vor: „Die Stadt muss sich fragen lassen, mit welchen Namen im Stadtbild sie sich identifizieren will.“ Eine Auffassung, der sich Lukas Jansen als studentischer Vertreter dezidiert anschloss.
Gründe für öffentliche Debatte
Allerdings gibt es einige Straßennamen, die selbst die Kommission vor Recherchearbeit stellen, weil die Namensgeber kaum bekannt sind. Stadtarchivar Axel Metz hofft deshalb, auch Kenntnisse aus der Bevölkerung in die biografische Arbeit aufzunehmen – ein Grund mehr, die Diskussion über kritische Straßennamen öffentlich zu führen. „Vielleicht war die Intransparenz in Freiburg gerade das Problem“, mutmaßte Stadtheimatpfleger Steidle.
Kulturreferent Al Ghusain unterstützte den Ansatz, sich gezielt auch mit Künstlern und Kulturschaffenden der NS-Zeit zu beschäftigen – etwa mit Richard Strauss als damaliger Präsident der Reichsmusikkammer. Straßennamen seien eine Ehrbekundung, die sich immer aufs Neue bewähren müsse. Die Messlatte liege hoch. Al Ghusain: „Die Frage ist: Können wir die Namensgebung heute noch verantworten?“