Der ehemalige Lehrer Karl Wittmann und seine Lebensgefährtin Therese Salzbrunn sind geschichtsinteressierte Menschen. Und sie besuchen oft den Kiliansdom. Bei diesen Aufenthalten im größten Gotteshaus der Diözese fiel ihnen etwas auf, was sie überhaupt nicht verstehen können: Es gibt zwei romanische Säulen – Jachin und Boas – die ein völliges Schattendasein führen im Dunkel vor der Taufkapelle rechts neben dem Haupteingang. Dabei sind sie mit das Wertvollste, was der Kiliansdom zu bieten hat, versichert Wittmann. Daher machte er sich auf zur Redaktion dieser Zeitung, um dort die Journalisten zu sensibilisieren. Und er schaffte das auch, denn seine Kritik besteht zu Recht.
Die Würzburgerin Therese Salzbrunn schildert ihre Erlebnisse mit den beiden uralten Säulen: „Wir nahmen an mehreren Domführungen teil, doch die Führer gingen stillschweigend an den Relikten längst vergangener Zeiten vorbei. Keine Erwähnung.“ Dann machten sich die beiden Kunstliebhaber auf die Quellensuche und fragten bei Würzburger Antiquariaten nach. „Welche Säulen sollen denn da im Dom stehen?“ lautete die Gegenfrage. Also Bekanntheitsgrad gleich Null. In einem 90 Jahre alten Freimaurer-Lexikon wurde Wittmann fündig. „Im Würzburger Dom stehen zwei eigenartige romanische Säulen, die als Nachbildungen der Säulen aus dem salomonischen Tempel bezeichnet und mit den Namen Jachin und Boas belegt werden“, ist dort zu lesen. Sie seien schon um 1230 bekannt, rühren aber vermutlich von einem früheren Dombau her, führt das Lexikon weiter aus. Dort werden die beiden Kleinode als Bündelsäulen mit Knoten bezeichnet, die als ein Symbol der Freimaurer-Bruderschaft gedeutet werden.
„Diese Kunstwerke gehören nicht in eine dunkle Ecke“, regt sich Wittmann auf. Und eines hat ihn schon ziemlich erbost: „Manchmal, wenn wir im Dom waren, hatten Handwerker dort sogar ihre Arbeitsgeräte abgelegt und angelehnt.“ Nach seiner Ansicht müssten die romanischen Kleinode wieder dorthin, wo sie einst waren: Rechts und links neben dem Haupteingang. Vielleicht, so seine Vermutung, stört der jüdische Hintergrund der Säulen ja das Weltbild der katholischen Kirche und sie seien deshalb im Dunkel verschwunden?
„Das sind die üblichen Verschwörungstheorien“, erwidert Domkapitular Jürgen Lenssen. Er ist als Bau- und Kunstreferent der Fachmann für den Dom, der gerade für die nächsten 16 Monate innen saniert und umgestaltet wird. Es stimme einfach nicht, dass der jüdische Hintergrund bei der Platzierung der Säulen eine Rolle spiele. Ganz im Gegenteil: Lenssen spricht von einer weltweit einzigartigen Situation in Würzburg: auf der einen Seite die beiden Würzburger Steinsäulen, die den Säulen aus Erz aus dem salomonischen Tempel nachempfunden wurden und auf der anderen Seite das Katholische Gotteshaus.
Er hatte Kopien einiger kurzer Veröffentlichungen herausgesucht, viel gibt es nicht zu den Kleinoden. Lenssen datiert ihre Entstehung ins Jahr 1230, nicht früher. Beschrieben werden sie in Veröffentlichungen der jüdischen Gemeinde in Berlin, in den Würzburger Inschriften und in einem Vorkriegsführer. Daraus lässt sich diese Geschichte zusammentragen: Der Nachbau der Knotensäulen geht tatsächlich auf den salomonischen Tempel zurück. Sie standen bis zum Jahr 1644 an der Westvorhalle des Domes, geschützt durch ein Dach. Diese Vorhalle wurde abgebrochen und die Säulen verschwanden unter Bischof Julius Echter im Inneren.
Bis 1967, so Lenssen, waren sie im linken Querhaus abgestellt. Dann standen sie im Dunkel vor der Taufkapelle. „Diese Säulen können nicht mehr vor den Eingang des Domes gestellt werden“, sagt er. „Sie würden schnell zerstört durch Umwelteinflüsse, denn sie sind aus Sandstein.“
Nun glaubt der Kunstreferent einen Platz gefunden zu haben, der dem Wert der Säulen entgegenkommt. Sie werden künftig die Eingangssituation des Domschatzes in der jetzigen Taufkapelle beherrschen. Lenssen will sie speziell beleuchten lassen, um sie richtig zur Geltung zu bringen. Allerdings müssen Kunstliebhaber wohl künftig für die Besichtigung zahlen, denn sie stehen auf dem Areal des Domschatzes. Wenn jemand unbedingt nur die Knotensäulen sehen will, lässt sich das auch ohne Eintritt lösen, baut der Domkapitular schon eine goldene Brücke.