Draußen essen? Womöglich Kuchen oder Marmelade? Fehlanzeige! In manchen Cafés und Biergärten in der Region geht zur Zeit gar nichts mehr, dort tummeln sich tagsüber mehr Wespen als Besucher. Dafür bekommt Professor Dr. Axel Trautmann vom Allergiezentrum der Hautklinik der Universität Würzburg zur Zeit viel Besuch. Von Patienten, die gestochen worden sind und mehr als eine Schwellung der Haut beklagen.
Es ist ein Sommer mit vielen Stichen. Ob es gar ein Wespenjahr ist, darüber sind sich die Experten noch nicht ganz einig. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sagt, er betreibe zwar kein Monitoring, habe aber deutschlandweit heuer eine sehr hohe Zahl an Beratungsanfragen registriert.
Professor Thomas Schmitt vom Lehrstuhl für Zoologie an der Uni Würzburg indes hält pauschale Feststellungen grundsätzlich für schwierig – auch und gerade, was mögliche Ursachen für ein vermeintliches Wespenjahr angeht wie etwa ein milder Winter. „Feststeht, die Jungköniginnen überleben den Winter und bilden einen neuen Staat. Wenn nun mehr Kolonien da sind, ist das ein Hinweis darauf, dass viele Königinnen überwintern konnten“, erklärt er auf Anfrage dieser Redaktion.
Unter den vielen Wespenarten seien es die sozialen Wespen, die nun wieder unterwegs seien und die Menschen teils zur Verzweiflung brächten. Dabei, so der Tierökologe, seien die doch in erster Linie nur auf der Suche nach Futter für ihre Larven und nicht per se aggressiv. Schmitt rät zu Gelassenheit, wenngleich er angesichts vieler Menschen mit allergischen Reaktionen auf Insektengift durchaus verstehen könne, dass nicht jeder ruhig bleiben könne. Tatsächlich ist die Zahl der geplagten Menschen, die mit einem Wespen- oder Bienenstich zum Arzt müssen, in den vergangenen Tagen sprunghaft angestiegen. Für die Patienten, die ins Allergiezentrum zu Professor Trautmann nach Würzburg kommen, ist ein Insektenstich viel mehr als ein schmerzhafter Pieks oder eine geschwollene Einstichstelle. Für sie kann ein Wespenstich lebensgefährlich werden.
Drei Millionen Deutsche reagieren allergisch auf das Gift von Wespen und Bienen. Jeden Sommer, so heißt es bei der Initiative Insektengiftallergie in Hamburg auf Anfrage, sterben 20 Menschen an einem sogenannten anaphylaktischen Schock, einer Überreaktion des Immunsystems auf das Allergen. Diese Reaktion kann zu akutem Kreislaufversagen bis hin zum Tod führen.
Axel Trautmann geht davon aus, dass es bei Todesfällen durch Insektengiftallergien eine hohe Dunkelziffer gibt. So könne man auch bei ungeklärten Verkehrsunfällen in Erwägung ziehen, dass bei einer plötzlichen Ohnmacht eine anaphylaktische Reaktion auf einen Insektenstich im Spiel war.
Wer nach einem Wespen- oder Bienenstich Symptome zeige, die über eine normale lokale Reaktion wie eine kurzzeitige Schwellung oder eine starke lokale Reaktion wie eine mehrtägige und noch zunehmende Schwellung hinausgehe, müsse dringend abklären lassen, ob er allergisch reagiert. Bei Symptomen wie Kribbeln im Körper, Übelkeit, Schweißausbrüchen, Tunnelblick, Atemnot oder Quaddeln am ganzen Körper müsse sofort der Notarzt verständigt werden. Dann spreche man von einer Allgemeinreaktion. Erst diese mache eine spezifische Immuntherapie notwendig.
Der Erfolg der Therapie liege bei fast 100 Prozent. „Das ist eine der wirksamsten Therapien, die wir in der gesamten Medizin zur Verfügung haben“, erklärt Trautmann. Die Hyposensibilisierung wird auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als einzig ursächliche Behandlungsmethode empfohlen. Bei entsprechender Diagnose übernehmen alle Krankenkassen die Kosten der Therapie.
Der Blut- und Hauttest sollte, so Trautmann, von einem erfahrenen Experten durchgeführt werden. Ein Bluttest alleine reiche nicht aus, der Test müsse immer im Kontext zu den Symptomen interpretiert werden.
Bei der Therapie werden dem Patienten geringe Mengen Wespengift unter die Haut gespritzt und die Dosis langsam gesteigert. Bei einem stationären Aufenthalt ist der wirksame Schutz nach drei Tagen erreicht. Wer sich für eine ambulante Therapie entscheidet, muss drei Monate einkalkulieren, bis der volle Schutz erreicht ist. Wie schwer eine allergische Reaktion nach einem Insektenstich ausfällt, hängt laut Trautmann auch immer vom Alter der Wespe, vom betroffenen Körperteil des Patienten und der Art des Einstichs ab.
„Die Patienten werden bei uns geschult und mit einem Notfallset ausgestattet, das sie vor allem im Sommer immer bei sich tragen sollten“, erklärt der Experte. Geschult deshalb, weil unter den drei Medikamenten ein Injektor dabei ist. Neben einem Antihistaminikum und Kortison ist der Adrenalin-Injektor das wichtigste Medikament. „Den muss man wirklich immer dabei haben!“
Es dauere zehn bis 15 Minuten, bis nach einem Wespenstich eine allergische Reaktion eintrete. „In dieser Zeit kann man sich die Medikamente aus dem Notfallset bequem zurechtlegen“, sagt Axel Trautmann. Sofort nach dem Stich ist erst das Antihistaminikum, dann das Kortison einzunehmen. Das Adrenalin kommt erst zum Einsatz, wenn die Zunge anschwillt oder Atemnot und Kreislaufbeschwerden auftreten.
Auch die Obermeisterin der Bäcker-Innung Schweinfurt-Haßberge, Heike Drescher-Ursin, und eine ihrer Kolleginnen tragen ein solches Notfallset bei sich. Sie gehören zu den gefährdeten Allergikern. Kein leichter Stand, denn in den Bäckereien der Region herrscht zur Zeit der Wespen-Wahnsinn. Dass der aber heuer besonders schlimm sein soll, kann die Fachfrau nicht bestätigen.
„Es kommt auch darauf an, wo die Filiale ist. In der Innenstadt hier in Schweinfurt haben wir viel mehr mit Wespen zu tun. Ich vermute, das liegt an den Bäumen vor dem Laden oder besser gesagt an den Läusen auf den Blättern, die die Wespen anziehen“, meint Drescher-Ursin.
Trotz Allergie sei sie relativ entspannt. Dass sich noch keine Wespe in die Backstube verirrt hat, freut sie. „Erklären kann man das aber nicht, da gibt es ja auch süße Sachen.“ Als Abschreckung hätten sich in den Bäckerei-Filialen die Wespen-Lebendfallen mit UV-Licht bewährt. „Am liebsten sitzen die Wespen auf Zitronenkuchen.“ Den stellt sie zur Ablenkung in eine Ecke und wirft ihn am Abend dann weg.
Von solchen Tricks hält Biologe Alf Pille vom Landesbund für Vogelschutz allerdings wenig. „Fangfallen oder Ablenkfüttern haben sogar einen negativen Einfluss, da noch mehr Tiere angelockt werden“, so der Biologe. Auch der Trick mit den Kupfermünzen auf dem Tisch als Ablenkungsmanöver sei nutzlos.
„Wespen werden immer mit Beginn des Hochsommers aufdringlich. Bisher benötigten sie nur Eiweiß zur Aufzucht ihrer Larven. Jetzt erscheinen sie uns lästig, da sie nun gezielt nach Zucker suchen und Nahrungsmittel anfliegen“, sagt Pille. Bei dieser Nahrungssuche reagierten Wespen normalerweise nicht aggressiv. Hektische und panische Bewegungen solle man vermeiden. „Und auf keinen Fall die Wespe anpusten – das Kohlendioxid in der Atemluft ist ein Alarmsignal für die Tiere und versetzt sie in Angriffsstellung. Wespen haben es bei der Hitze zur Zeit ohnehin nicht leicht, sie stehen unter Stress, müssen Tag und Nacht Luft ins Nest fächeln, um die Brut zu kühlen. Ein Bienenexperte aus Baden-Württemberg hat gerade beobachtet, dass viele der Insekten vor Erschöpfung sterben. Bei mehr als 35 Grad wird es für Wespen kritisch. Gerade in den Nestern in Rollokästen oder an Hausdächern ist die Hitze in diesen Tagen extrem.
Wer glaubt, er könne die lästigen Wespen samt Nest einfach entsorgen, irrt. Ohne triftigen Grund dürfen Wespen wie alle wilden Tiere laut Paragraph 39, Absatz 14 des Bundesnaturschutzgesetztes nicht in ihrer Entwicklung gestört werden. Hornissen sind noch strenger geschützt. Die Zerstörung eines Nests kann bis zu 50 000 Euro Strafe kosten. Hornissenstiche sind übrigens nicht gefährlicher als Wespenstiche. „Das ist ein Irrglaube“, bestätigt Professor Axel Trautmann. Sie seien schmerzhafter, aber nicht giftiger. Der Spruch, dass drei Hornissenstiche einen Menschen töten und sieben Stiche ein Pferd, sind also ein Mythos.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) rät dazu, einen Experten einzuschalten, wenn ein Nest beseitigt werden soll. Ansprechpartner sind die Stadtverwaltung, die örtliche Feuerwehr oder Kammerjäger. Dabei muss mit Kosten zwischen 50 und 100 Euro gerechnet werden, je nach Größe und Lage des Nestes. In einigen Fällen, so die Naturschützer, müsse die Beseitigung vom Vermieter getragen werden oder es bestehe ein Recht auf Mietminderung, etwa im Falle einer gesundheitlichen Gefährdung.
Nicht-Allergiker können nach einem Stich übrigens gut auf Hausmittel wie Zitrone, Zwiebel, Speichel mit Zucker oder Essig zurückgreifen. Um das Gift der Wespe zu zerstören, braucht es eine Temperatur von über 38 Grad Celsius. Dazu eignen sich ein heißer Waschlappen oder ein Löffel, den man auf die Einstichstelle drückt.