"Kaum eine Stadt dieser Größe hat so viele Pendler, die mit dem Auto in die Stadt fahren", sagt Würzburgs Klimabürgermeister Martin Heilig (Bündnis 90/Grüne). Seit einem halben Jahr ist der 45-Jährige nun im Amt. Im Interview zieht er Bilanz und verrät, wie er die Pendlersituation in Würzburg verändern will.
Ein halbes Jahr Klimabürgermeister - was ist ihre Bilanz?
Martin Heilig: Ich bin sehr gut im Bürgermeisteramt angekommen und habe den Eindruck, dass ich wirklich Impulse setzen kann. Jemand, der wie ich politisch tickt, möchte auch gestalten und dafür ist das Amt prädestiniert.
Was konnten Sie in den vergangenen Monaten bereits verändern?
Heilig: Wir haben allein in diesem Jahr 15 000 Bäume gepflanzt. Wir konnten den Sommerferienfahrplan bei der Straßenbahn aussetzen, es gab also in dieser Zeit keine verlängerte Taktung. Wir konnten zudem zwei große Förderungen an Land ziehen. Zum einen werden wir für Würzburg ein Lastenrad-Mietsystem aufbauen, zum anderen haben wir vom Freistaat die Förderung eines Klimaschutzkonzepts erhalten, das derzeit in den Details geplant wird. Wichtig sind auch die internen Prozesse, die in den vergangenen Monaten angestoßen wurden. Künftig wird in meinem Bereich sowohl die leitende Verkehrsentwicklung als auch die ökologische Gewässerentwicklung angesiedelt sein.
Es gibt bereits einen Lastenrad-Verleih. Wie wichtig ist es, dass die Stadt eine Alternative bietet?
Heilig: Wir wollen das Lastenradsystem so ausbauen, dass man 24 Stunden am Tag Räder ausleihen kann - auch für kurze Zeit. Lastenräder sind für Würzburg ein ideales Verkehrsmittel, vor allem mit Blick auf den Klimaschutz.
Allerdings ist es an vielen Stellen nicht einfach, mit dem Lastenrad durch die Stadt zu fahren. Die Radwege in Würzburg werden häufig kritisiert, vor allem fehlt ein zusammenhängendes Netz.
Heilig: Wir Grünen als stärkste Fraktion legen im Stadtrat auch auf den Ausbau der Fahrradwege einen Fokus. Man darf aber nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren schon einiges passiert ist und an einigen zentralen Punkten Fortschritte gemacht wurden. Trotz Corona-Haushalten bleibt das Thema ein Schwerpunkt. Das Fahrradwegenetz ist allerdings in der Verwaltung nach wie vor im Baureferat angesiedelt, das unter anderem für die ausführende Verkehrsplanung verantwortlich ist.

Wie groß ist die Lücke, die Corona im Haushalt hinterlässt?
Heilig: Für dieses Jahr sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen. Die Gewerbesteuerausfälle wurden größtenteils durch Bund und Land ausgeglichen, aber die ganz großen Sprünge, die wir ohne die Pandemie gemacht hätten, können wir nicht machen. Der große Unterschied zu Zeiten ohne Klimabürgermeister ist: Man hätte in solchen Zeiten am Klimaschutz gespart. Das wird dieses Jahr nicht passieren, im Gegenteil.
Ihr Ziel war ein Gesamtkonzept für die städtische Verkehrspolitik, das unter anderem extra Busspuren, das Zwei-Euro-Ticket, das in Stadt und Landkreis gelten soll sowie erweiterte Fahrtzeiten von Bus und Bahn umfasst. Wie weit sind Sie damit?
Heilig: Natürlich am Anfang. Ja, ein Gesamtkonzept für den Verkehr wird kommen, allerdings nicht über Nacht. Erstmal wird es darum gehen, die Taktung von Bus und Bahn zu verbessern und zu erhöhen, auch Corona wirft uns da allerdings ein Stück zurück. Derzeit fehlen die finanziellen Mittel und wir hoffen auf mehr Unterstützung von der Landes- und Bundespolitik. Außerdem haben wir am Schlossberg eine Busspur eingerichtet, werden das in der Ludwigstraße tun und prüfen, an welchen Stellen weitere sinnvoll sind. Wir haben in Würzburg eine besondere Situation: Kaum eine Stadt dieser Größe hat so viele Pendler, die mit dem Auto in die Stadt fahren. Das wollen wir in Zusammenarbeit mit dem Landkreis ändern.
"Wir müssen an den Punkt kommen, dass Autofahren in die Stadt die Ausnahme ist."
Martin Heilig zur Pendlersituation in Würzburg
Wie wollen Sie die Autos aus Würzburg rauskriegen?
Heilig: Einerseits müssen wir uns über das Parken Gedanken machen. Wie günstig darf Parken in der Großstadt sein? Wie reduzieren wir den Parksuchverkehr? Gleichzeitig müssen wir die Nutzung des ÖPNV bequem und günstig machen. Derzeit sind wir mit umliegenden Gemeinden in Gesprächen, auch zum Thema Park & Ride. Der Fokus muss aus meiner Sicht allerdings nicht auf dem „Park“, sondern auf dem „Ride“ liegen. Wenn wir es etwa in den Kommunen in unter zehn Kilometer Entfernung von Würzburg massiv schaffen, viele Leute beim Pendeln davon zu überzeugen, jeden Morgen mit dem Bus oder dem Rad zu fahren, dann wäre viel erreicht. Bereits vor meiner Amtszeit wurde der Busplan plus beschlossen, der nach den Osterferien in Kraft tritt. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, das auszuweiten. Oftmals fehlt mir bei den Überlegungen zum Ausbau des ÖPNV die Perspektive der Nutzer. Die Frage muss sein: Wann ist es kritisch, wenn ich auf meine Straßenbahn warten muss? Wann führt es dazu, dass ich das Auto nehme?

Dabei ist die Leidensfähigkeit bei vielen Autofahren enorm groß, wenn sie jeden Morgen im Stau stehen. Wie ungemütlich muss man es Autofahrern machen, damit sie auf den ÖPNV oder das Rad umsteigen?
Heilig: Busspuren, wie etwa am Schlossberg, laden ein, umzusteigen. Wenn der Autofahrer jeden Morgen im Stau steht, während der Bus auf der Spur nebenan freie Fahrt hat. Wenn die Menschen realisieren, dass sie länger schlafen können, wenn sie mit dem Bus fahren und dann auch noch auf der Fahrt die Zeitung lesen können, wenn wir ihnen zeigen, wie sie ein Ticket kaufen können und wo sie einsteigen müssen, wenn sie merken, dass es unkompliziert ist, haben wir viel gewonnen. Wir müssen an den Punkt kommen, dass Autofahren in die Stadt die Ausnahme ist, mit Bus, Bahn oder Rad zu fahren hingegen das Normale.
Dazu genügen eine verdichtete Taktung und Busspuren alleine nicht?
Heilig: Die Straßenbahn Richtung Norden und die Straßenbahn Richtung westlicher Landkreis sind sicherlich Themen, die wir dabei vorantreiben müssen. Einer meiner ersten Gänge im Amt führte zur Regierung von Unterfranken, weil dort das Planfeststellungsverfahren zur Linie 6 liegt. Es wurde angekündigt, dass es - wenn es Corona erlaubt - bis Ende des Jahres abgeschlossen ist. Ich bin dabei, die anschließenden Verfahren vorzubereiten, weil auch nach Abschluss der Planfeststellung noch nicht mit dem Bau begonnen werden kann. Für jemand, der nicht ursprünglich aus der Verwaltung kommt, ist es traurig zu sehen, wie lang solche Prozesse dauern, bis man endlich die Schaufel in die Hand nehmen kann.

Glauben Sie, Sie werden für die Linie 6 noch in der der aktuellen Legislaturperiode die Schaufel in die Hand nehmen?
Heilig: Die WSB gibt die Prognose ab, dass wir am Ende der Legislaturperiode, wenn alles gut läuft, mit dem Bau der Linie 6 beginnen können. Das sind noch fünfeinhalb Jahre. Ich habe noch nicht akzeptiert, dass es so lange dauern muss. Allerdings: Man muss schauen, was man wirklich vorantreiben kann und was man laufen lassen muss.
"Man muss schauen, was man wirklich vorantreiben kann und was man laufen lassen muss."
Martin Heilig zum Bau der Straßenbahnlinie 6
Was kann man vorantreiben?
Heilig: Straßenbahnen werden viel mehr angenommen als Busse, daher müssen wir mittelfristig auf den Straßenbahnausbau einen Fokus legen. Die Nord-Straßenbahn Richtung Versbach beispielsweise. Da habe ich die Potenzialanalyse bereits auf den Weg gebracht.
Und die Linie 7 nach Höchberg?
Heilig: Da können wir nur Signale geben, das Hauptsignal muss hierzu aus dem Landkreis kommen. Ich hatte allerdings hierzu schon gute Gespräche mit Bürgermeister Alexander Knahn, der sehr weitsichtig denkt und das Thema mit mir zusammen anpackt.
Wieso dauert es so lange, bis Themen wie die Radspur auf der Löwenbücke oder Linie 6 endlich umgesetzt werden?

Heilig: Ganz konkret bedeuten solche Vorhaben teilweise auch, dass wir darüber reden müssen, Fahrspuren für Autos wegzunehmen. Ganz abstrakt ist jeder für Klimaschutz und für die Verkehrswende. Wenn es aber konkret wird, gibt es auch andere Einstellungen, schwierige Mehrheitsverhältnisse und auch in der Bevölkerung teilweise Ängste und Befürchtungen. Ich stehe dafür, dass wir eine Verkehrswende umsetzen, bei der wir die Menschen mitnehmen. Das wird das ein oder andere Mal auch auf Kosten des Autos gehen, wir wollen schließlich, dass die Leute umsteigen. Die Mehrheit will die Verkehrswende.
Was möchten Sie am Ende Ihrer Amtszeit umgesetzt haben?
Heilig: Mit dem neuen Klimaschutzkonzept schauen wir genau, wo sich Klimagase reduzieren lassen. Zentrale Punkte sind etwa mehr Dächer mit Solaranlagen und das Aufforsten in der Stadt. Wir wollen beispielsweise bis 2030 eine klimaneutrale Stadtverwaltung mit unseren Töchtern, das ist eine Herkules-Aufgabe, die wir nur gemeinsam stemmen können. Da müssen wir am Ende der Legislaturperiode in allen Bereichen ein ganz erhebliches Stück weiter gekommen sein. Beim Thema Klimaneutralität geht es darum, jetzt große Schritte zu machen. Die wichtige Frage ist: Wann schaffen wir die nächsten 50 bis 70 Prozent der Klimagasreduktion zu erreichen? Die letzten zehn Prozent sind nicht so entscheidend.