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WÜRZBURG: Wie Reinhold Messner überlebte

WÜRZBURG

Wie Reinhold Messner überlebte

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    Reinhold Messner im Würzburger Congress Centrum.
    Reinhold Messner im Würzburger Congress Centrum. Foto: Patty Varasano

    Es sei absurd, ans Ende der Welt zu gehen. Es sei völlig abstrus, sich der lebensfeindlichen Umgebung der höchsten Berggipfel auszusetzen, als Nichtschwimmer reißende Bäche zu durchqueren oder 92 Tage lang Eiswüsten zu durchwandern und dabei nur ein einziges Mal zu duschen. Das sind die Worte des Mannes, der all das Absurde getan hat. Reinhold Messner hat das „Nutzlose erobert“, während andere in ihrem Leben etwas Sinnvolles für die Gesellschaft geleistet haben. Und doch oder gerade deshalb zog der Berufsabenteurer am Freitagabend seine Zuhörer im Würzburger Congress Centrum in seinen Bann.  

    „ÜberLeben“ heißt die Multivisionsshow von Reinhold Messner. In Bildern, Worten und Musik blickte der charismatisch kantige Bergsteiger auf 70 Jahre seines Lebens zurück. Messner eröffnete einen, wie er sagt, „anderen Blick auf die Welt". Stellvertretend für alle, die seine Abenteuer nicht erlebt haben.

    Unaufgeregt berichtete der 72-Jährige von seinen extremen Expeditionen. Philosophische Lebensweisheiten mischen sich mit atemberaubenden Bildern, persönliche Anekdoten lebensgefährlicher Grenzerfahrungen mit einem historischen Exkurs über die Entwicklung des Alpinismus. Obwohl der routinierte Redner seit 20 Jahren durch Deutschland tourt, kam bei seinem intellektuellen Streifzug durch die großen Sinnfragen des Lebens keine Langeweile auf.

    Als Fünfjähriger auf einem Dreitausender

    Seine Kindheit begann in einem engen Tal in Südtirol, das im Winter drei Monate lang kein einziger Sonnenstrahl erreichte. Sie begann in einer moralisch beengten Welt, in der der Pfarrer und der Bürgermeister das Sagen hatten. Sein Vater nahm den damals fünfjährigen Buben das erste Mal auf einen Dreitausender mit. Dort oben begann Reinhold Messner die Freiheit zu atmen. In den Gipfeln konnte er der Enge entfliehen und sich frei entfalten.

    Er berichtete von mehr als 1000 schwierigen Klettertouren zwischen seinem fünften und 25. Lebensjahr gemeinsam mit seinen Brüdern. Zu verdanken habe er diese Erfahrungen seiner Mutter, die ihn trotz ihrer Ängste immer wieder ziehen ließ. In den Dolomiten lernte er das Felsklettern, zwischen zerklüfteten Bergen und zum Teil senkrecht aufragenden Felswänden von bis zu 1000 Metern Höhe – „schwieriger, als so mancher Achttausender“, erinnert sich der 72-Jährige.

    Massenaufstiege am Mount Everest

    Schwindelerregende Höhen, schroffe Felsformationen, stahlblauer Himmel: Wort- und bildgewaltig skizzierte Reinhold Messner die Geschichte des modernen Alpinismus, angefangen mit der Besteigung des Mont Blanc 1786. Zuerst sei es allein darum gegangen, „den Gipfel zu erobern“, später, den schwierigsten Weg dorthin zu klettern. Nach einer „heroischen Phase“ kam der „Verzichtsalpinismus“, eine Form des Kletterns, bei der Bergsteiger wie Reinhold Messner mit möglichst wenig Ausrüstung die Expedition wagten. Während sich damals Ängste, Zweifel und der Mut, in neue und unbekannte Dimensionen aufzusteigen, oft die Waage hielten, habe der Pistenalpinismus von heute kaum noch etwas mit dieser Form des Abenteuers zu tun.

    Messner erzählte, wie jedes Jahr Hundertschaften von Sherpas (Einheimische am Himalaya) den Mount Everest für Massenaufstiege präparieren, Sauerstoff-Depots und ärztliche Versorgungsstationen bis zur Spitze einrichten und den Gipfeltouristen „zur Krönung noch eine Wärmflasche in den Schlafsack schieben“.

    Die Rückkehr als Wiedergeburt

    Reinhold Messner favorisiert die ursprüngliche Form des Alpinismus. „Der Alpinist geht dorthin, wo niemand ist. Er geht dorthin, wo man sterben könnte, um nicht zu sterben.“ Auch wenn die Todesangst auf einem Achttausender ein selbstverständlicher Begleiter sei, widerspreche er allen, die ihn als todessehnsüchtig bezeichneten. Ziel eines jeden Alpinisten sei, sein Leben wieder zurückzuerobern, aus der unwirtlichen Gipfelwelt heil zurückzukehren. Dieser Moment sei der Höhepunkt einer jeden Expedition. „Eine Wiedergeburt“, so Messners Worte.

    Drama am Nanga Parbat: Der Tod des Bruders

    Bitterer Ernst lag seiner Erzählung zugrunde, als er von der Expedition am Nanga Parbat im Jahr 1970 berichtete. Es war die Tour, in der sein Bruder nach 40 Tagen und Nächten von einer Lawine verschüttet wurde. Es war ein traumatisches Erlebnis, das er und seine Familie erst 35 Jahre später, als die sterblichen Überreste des Bruders gefunden wurden, wirklich verarbeiten konnte. Weil einfache Bergbauern ihm damals das Leben retteten, fühlte sich  Messner mit der Region verbunden. In abgelegenen Tälern und unzugänglichen Bergregionen des Himalaja, Karakorum, im Hindukush, in den Anden und im Kaukasus errichtete er mit Hilfe seiner Stiftung, der Messner Mountain Foundation, Schulen und Krankenstationen.

    Messners Fazit: Im Grunde nähmen die meisten Menschen die Berge nur in Postkartengröße wahr. Dabei gehe „ein Maß nehmen am Berg“ nur mit den eigenen Beinen. Dann erst merke man: „Wir sind ein Nichts, winzig klein im Vergleich zur Natur“. Mit Bildern aus schwindelerregenden Höhen, von klirrender Kälte und lebensbedrohlichen Abgründen berichtete der 72-Jährige von gewaltigen Naturschauspielen. Er sprach von den Bergen als den „Tanzplätzen der Götter“, wie sie von Bergvölkern bezeichnet werden, wenn Nebel, Schnee, Hagel, Blitz und Donner die Gipfel umspielen.

    Umweltschützer und Weinliebhaber

    Dabei brachte Messner seine Botschaften unter die Zuhörer: unter anderem die vom nachhaltigen Tourismus. Bergbauern, die die Hänge mit ihren Tieren beweiden und die Kulturlandschaft in den Alpen erhalten seien genauso wichtig wie eine intakte Naturlandschaft oben am Gipfel. Es bedürfe keiner Hütte und keiner Seilschaft auf jedem Hang. Das Publikum im Würzburger Congress Centrum quittierte die Aussagen mit spontanem Applaus. Messner, der als Selbstversorger mit eigener Landwirtschaft sogar einen steilen kleinen Weinhang bewirtschaftet, traf den Nerv der Franken. Er sagte, sein Hof gebe ihm mehr emotionalen Rückhalt als all seine Papiere auf der Bank.

    Das Himmelsbegräbnis: Messners letzte Reise

    Dann näherte sich der Abenteurer der letzten Phase seines Lebens: Es ging um das Altern und um den Tod. Detailreich schilderte er ein Himmelsbegräbnis hoch oben in den Bergen.  In vorgegebenen Ritualen werde der Leichnam eines Toten auf einem Steinaltar zerschnitten, seine Knochen zu Staub zertrümmert und das verbleibende Fleisch bis zum letzten Krümel von einem Rudel Geier gefressen. Nichts bleibe übrig, wenn sich die Tiere schließlich in alle Himmelsrichtungen erheben. Diese Art Begräbnis könne er sich für sich selbst vorstellen, sagte der 72-Jährige.

    Während einige seiner Zuhörer noch mit den unerbittlich drastischen Bildern in ihrer  Vorstellung kämpften, hatte er sie auf der philosophischen Ebene bereits wieder eingefangen. Das Scheitern gehöre zum Leben dazu. „Wer das Scheitern nicht begreift, wird das Bergsteigen nicht überleben“, sagte Messner. Er ist sich sicher, dass wir Menschen mit unseren Sinnen das Jenseitige nicht begreifen können. Dennoch trage der Mensch etwas Göttliches in sich, da er zu sinnstiftenden Taten in der Lage sei. „Glück passiert, wenn wir ganz bei der Sache sind und nicht danach fragen, ob wir gerade glücklich sind. Immer dann, wenn wir den ersten Schritt wagen, unsere Ideen und Visionen in die Tat umzusetzen.“ Erst im nach hinein würden wir die Momente des Glücks erfassen.

    Wellen goldbraunen Wüstesandes so weit das Auge reicht: Mit einem Bild der Wüste verabschiedete sich der vierfache Familienvater und selbst ernannte „Horizontsüchtige“ von seinen Zuhörern. Es ist ein Bild der Entschleunigung und der Unendlichkeit von Zeit und Raum. So eben, wie sich Reinhold Messner seine letzte und „vielleicht schönste“ Reise seines Lebens vorstellt.

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