Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: „Wir geben keinen auf“

WÜRZBURG

„Wir geben keinen auf“

    • |
    • |
    Im Undergroud: Elisa Newrzella erkundigt sich bei Lina Albrecht, wie sie mit ihrer kleinen Tochter Abigail klarkommt.
    Im Undergroud: Elisa Newrzella erkundigt sich bei Lina Albrecht, wie sie mit ihrer kleinen Tochter Abigail klarkommt. Foto: Foto: Jürgen Keller

    (mr) Der alte Fahrradkeller, in dem Bahnmitarbeiter lange ihre Drahtesel deponierten, war nicht wiederzuerkennen, als das „Underground“ vor zehn Jahren öffnete. Alles war frisch gestrichen und schön renoviert. Pünktlich zum fünften Geburtstag der Würzburger Streetworker gab es damit 2001 erstmals einen Ort, wo sich die Sozialarbeiter mit jungen Leuten treffen konnten. „Vorher wurden Gespräche nicht selten auf Parkbänken geführt“, erinnert sich Jürgen Keller, Leiter der Streetwork Würzburg.

    Dass die Anlaufstelle der Streetworker dort angesiedelt ist, wo täglich Dutzende Züge in alle Himmelsrichtungen abfahren, hat Symbolcharakter. Auch die Jugendlichen, um die sich die Streetworker Stefan Müller und Elisa Newrzella kümmern, haben ganz unterschiedliche Wege hinter sich. Für einige Monate oder Jahre ist der Bahnhof ihr Lebensmittelpunkt. Dann ziehen sie weiter. Verschlungen war bisher zum Beispiel der Lebensweg von Line Albrecht (Name geändert). Sechs Jahre lebte die heute 25-Jährige auf der Straße. Inzwischen hat sie eine 18 Monate alte Tochter und eine Wohnung: „Hätte es die Streetworker nicht gegeben, wäre ich völlig aufgeschmissen gewesen.“

    Das „Underground“ war eine wichtige Adresse für Line. „Hier erhielt ich immer Hilfe, wenn ich Briefe ans Gericht oder an ein Amt schreiben musste“, erzählt die junge Frau, die früher häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Dank der Streetworker fand Line eine Wohnung für sich und ihre Tochter, mit Hilfe der Ehrenamtlichen vom „Underground“ richtete sie ihr neues Zuhause nett ein: „Wir fuhren zusammen zu Baumärkten.“ Obwohl Line inzwischen nicht mehr auf der Straße lebt, kommt sie immer noch in die Anlaufstelle. Sie wird auch bei der Feier von „15 Jahre Streetwork und 10 Jahre Underground“ am 22. Juli mit von der Partie sein.

    Immer wieder in den vergangenen zehn Jahren rief die Diakonie zu Spenden für die ungewöhnliche Einrichtung am Würzburger Hauptbahnhof auf. „Aus öffentlichen Mitteln floss bisher kein Cent in unsere Anlaufstelle“, unterstreicht Jürgen Keller. Das „Underground“ zu etablieren, wurde 2001 durch eine 10.000 Euro-Spende des Lions Clubs Lohr-Marktheidenfeld möglich. Die Stiftung von Robert und Margret Krick unterstützt die Anlaufstelle seit ihrem Bestehen, außerdem spendet eine Würzburgerin seit 12 Jahren kontinuierlich 50 Euro im Monat für die Arbeit der Streetworker. „Auch Konfirmantengruppen aus der Region unterstützen uns häufig“, berichtet Stefan Müller.

    In den Gesprächen, die Müller und Newrzella mit ihren Klienten im „Underground“ führen, gehen die beiden auf die aktuelle Lebenssituation der Jugendlichen ein ohne, ihnen etwas aufzupfropfen. „Wir geben keinen auf“, betont Keller. Möchte der Jugendliche eine eigene „Bude“ haben? Oder ist er im Moment zufrieden damit, dass er bei Freunden unterkommt? Möchte er eine Ausbildung beginnen - oder zögert er noch? Was wäre dann eine gute Alternative?

    Streetwork ist Geduldsarbeit

    Wenn der Jugendliche zustimmt, nehmen die Streetworker Kontakt zu seinen Eltern auf. Aber auch dies geschieht nicht ohne den Willen des Klienten. Streetwork, so Müller, ist Geduldsarbeit. Es braucht Toleranz und Ausdauer, um Jugendliche ohne Besserwisserei zu begleiten: „Wir können sie nicht immer davor bewahren, negative Erfahrungen zu machen.“

    Das, was die Streetworker für richtig halten, lässt sich nicht immer mit dem Handeln der Jugendlichen in Deckung bringen: „Eben das ist für uns die große Herausforderung.“ Druck auszuüben, wäre jedoch genau das Falsche, denn das Vertrauen, das die Jugendlichen zu „ihren“ Streetworkern im Laufe der Jahre gefasst haben, ist deren größter Trumpf. Was Streetwork-Leiter Jürgen Keller so formuliert: „Die Jugendlichen wissen, dass das, was unsere Streetworker sagen, Hand und Fuß hat. Zum Beispiel, wenn sie jemandem zuraten, sich auf ein bestimmtes Projekt des Jobcenters einzulassen.“ Vielen Jugendlichen wurde in den vergangenen Jahren auf diese Weise eine Brücke in den Arbeitsmarkt gebaut.

    Wer mag, kann sich im „Underground“ auch ins Internet einklicken und selbst versuchen, einen Job zu finden. „Wobei nicht alle Klienten die Kompetenzen mitbringen, die für den ersten Arbeitsmarkt erforderlich sind“, gibt Müller zu bedenken. Viele seien psychisch angeschlagen oder körperlich krank. Suchtprobleme, wie Line Albrecht sie auch lange hatte, seien weit verbreitet. Der Erfolg der Streetwork-Arbeit wird, so Jürgen Keller, aber auch nicht daran fest gemacht, wie viele Jugendliche am Ende arbeiten gehen: „Wir sind weder Jobvermittler noch Wohnungsmakler.“ Hauptaufgabe ist und bleibe es, Jugendlichen zu helfen, die diese Hilfe hier und jetzt benötigen“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden