Vier Jahre lang war Generalmajor Bernd Schütt (57) Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim. Am Freitag übergab er das Kommando an Brigadegeneral Harald Gante. Zuvor war Schütt auf verschiedenen Kommandeursposten sowie im Nato-Hauptquartier in Brüssel und im Bundesverteidigungsministerium tätig gewesen. Künftig wird er Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz im Bundesverteidigungsministerium. Kurz vor seinem Abschied sprach diese Redaktion mit Bernd Schütt über Auslandseinsätze, die Wehrpflicht-Debatte und die Perspektiven für den Standort Veitshöchheim.
Frage: Sie haben rund vier Jahre eine Division geführt, die vor allem für Auslandseinsätze steht. Der Bundeswehr-Einsatz im Kosovo, an dem die 10. Panzerdivision beteiligt ist, läuft jetzt schon seit 1999. Ist es nicht langsam an der Zeit, die deutschen Soldaten aus dem Kosovo abzuziehen?
Bernd Schütt: Das zu entscheiden, obliegt nicht der Truppe, sondern wir folgen da dem Primat der Politik. Die sicherheitspolitische Bewertung der Nato ist, dass die Präsenz im Kosovo, wenn auch in reduzierter Form, weiterhin erforderlich ist. Wir erfüllen unseren Auftrag, der völkerrechtlich legitimiert und durch das Mandat des Deutschen Bundestages so vorgesehen ist.
Und wie ist Ihre persönliche Einschätzung der Lage? Sie kennen die Region ja auch aus eigenem Einsatz.
Schütt: Dass wir aus diesem katastrophalen Bürgerkrieg eine vergleichsweise friedliche Situation geschaffen haben, ist maßgeblich auch dem internationalen militärischen Engagement zu verdanken. Zwischenzeitlich hat die Bedeutung der militärischen Präsenz abgenommen. Wir stehen quasi in der ,dritten Reihe‘, um bei einer Eskalation der Lage eingreifen zu können. Wenn wir heute in die Region schauen, dann ist es trotz der positiven Entwicklung nicht so, dass der Konflikt in Gänze beigelegt wäre. Er schwelt unter der Decke weiter. Deshalb sollten wir sehr vorsichtig sein mit Maßnahmen, die auf eine sofortige Beendigung der Mission abzielen.
Etwa zeitgleich mit Ihrem Dienstantritt in Veitshöchheim 2014 ist in der Ukraine ein gefährlicher Konfliktherd entstanden, außerdem fühlen sich die baltischen Staaten und Polen von Russland bedroht. Seit 2016 ist die Nato in Polen und im Baltikum mit Truppen präsent, unter anderem mit Soldaten der 10. Panzerdivision. Wie ernst ist Ihrer Einschätzung nach die Lage?
Schütt: Der Hintergrund ist ja die Änderung der sicherheitspolitischen Großwetterlage. Mit der Präsenz der Nato-Truppen werden Vorkehrungen getroffen, um mögliche Übergriffe auf das Bündnisgebiet – vergleichbar dem Beispiel der Krim-Annexion – zu vermeiden. Der Nato geht es in erster Linie um ein sicherheitspolitisches Signal, das militärisch hinterlegt ist. Wir sind in Litauen mit einem multinationalen Gefechtsverband in Stärke von rund 1200 Mann vertreten, der in die litauische Verteidigungsplanung eingebunden wird. Zu unseren festen Partnern für den Gefechtsverband zählen die Niederländer und die Norweger. Dazu kommen im Wechsel auch Truppen anderer Bündnispartner. Das signalisiert: Die Nato fühlt sich gegenüber ihrem Bündnispartner verpflichtet und ist bereit, bei einem entsprechenden Angriff auf das Bündnisgebiet diesem auch militärisch zu begegnen.
Als Sie in den 80er Jahren Ihre militärische Laufbahn begannen, war der Ost-West-Konflikt wegen der beiderseitigen Raketenstationierungen auf einem Höhepunkt. Ist die Gefahrenlage mit heute vergleichbar?
Schütt: Das muss man in der Zeit betrachten. Damals standen sich zwei Militärbündnisse hoch gerüstet gegenüber. Heute ist die Gefahrenlage vielfältiger. Dass ein potenzieller militärischer Gegner direkt die Nato angreift mit dem Ziel, das Nato-Gebiet einzunehmen, ist nicht mehr das wahrscheinliche Szenario. Wahrscheinlicher ist heute, dass ein Gegner ein ,Window of opportunity‘ nutzt. Das heißt, dort, wo sich die Gelegenheit bietet, greift er zu und schafft Fakten. Im Baltikum blickt man da zum Beispiel mit Sorge auf die Oblast Kaliningrad, also die russische Enklave.
Hat die Präsenz der Nato-Truppen denn tatsächlich für Beruhigung in den baltischen Ländern gesorgt?
Schütt: Ich kann nur darüber sprechen, was ich in Litauen mehrfach selbst erlebt habe. Dort ist man heilfroh und begrüßt die Nato-Präsenz. Die Balten fordern jetzt die Bündnissolidarität der Nato ein, die sie selbst bei anderen Einsätzen – in Afghanistan oder im Kosovo – gezeigt haben.
Die Wehrpflicht ist in Deutschland seit 2011 faktisch abgeschafft. Lässt sich das Auslandsengagement der Bundeswehr auf mittlere Sicht hin mit einer reinen Freiwilligenarmee überhaupt bewältigen?
Schütt: Wir sind heute eine Armee im Einsatz, ganz gleich, ob es um Krisenmanagement geht oder um Landes- und Bündnisverteidigung. Das Kräftereservoir ist angespannt, aber die personelle Decke reicht noch aus, um die Auftragslage in der gegenwärtigen Situation zu bewältigen. Würden wir eine Wehrpflicht wieder einführen, hätte das schwerwiegende Konsequenzen für die Ausbildung und die Bindung von Truppenanteilen, die wir zwingend für den Einsatz brauchen. Das würde die Vorteile einer Wiedereinführung drastisch aufwiegen. Dazu kommt ja der politische Beschluss Anfang der 90er Jahre, dass wir Wehrpflichtige nicht in den Einsatz entsenden – höchstens auf freiwilliger Basis. Ich war früher immer ein großer Anhänger der Wehrpflicht, aber die Aufgaben haben sich ebenso geändert wie Technik und Bewaffnung. Wenn Sie heute einen Wehrpflichtigen auf dem Panzer Leopard 2 A7 oder dem Puma ausbilden wollten, brauchen Sie mit einer Verpflichtungszeit unter zwölf Monaten überhaupt nicht anzufangen. Wenn wir die Wehrpflicht wieder einführen wollten, ginge das aus meiner Sicht nur mit der Berechtigung, Wehrpflichtige mit in den Einsatz zu nehmen – und mit einer deutlich längeren Verpflichtungszeit. Bei der 10. Panzerdivision haben wir im Moment eine durchschnittliche Verpflichtungszeit von neuneinhalb Jahren. Die Mannschaften unserer Division des Jahres 2018 sind also überwiegend Profis.
Seit dem Ende der Wehrpflicht konkurrieren Sie bei der Nachwuchsgewinnung noch stärker mit der freien Wirtschaft – und das auf einem faktisch leergefegten Arbeitsmarkt. Hat die 10. Panzerdivision ein Nachwuchsproblem?
Schütt: Was die 10. Panzerdivision betrifft, so kann ich nicht klagen. Bei den Mannschaften sind wir bei 80 Prozent, wir haben auch Einheiten, die haben 100 Prozent des Personal-Solls. Vergleichbares gilt auch für die grundsätzliche Bewerbungslage bei den Offizieren. Da haben wir pro Stelle vier geeignete Bewerber. Dazu kommen noch die freiwillig Grundwehrdienstleistenden. Aus diesen gewinnen wir immer noch 30 Prozent, die anschließend bei uns bleiben.
Von 20 000 Divisionsangehörigen sind 1300 Frauen. Sind die Hürden für Frauen in der Truppe immer noch zu hoch?
Schütt: Nein. Die Frauen gehören zur Armee, inzwischen sind alle Laufbahnen geöffnet. Ich hatte die erste Kompaniechefin bei den Gebirgsjägern, die in ihrer anspruchsvollen Tätigkeit vorzügliche Arbeit geleistet hat. Ähnlich ist es in den Panzerkompanien, bei den Panzergrenadieren oder im Stab. Aber man muss auch bedenken: Die 10. Panzerdivision ist eine Einsatzdivision. Die hohen körperlichen Herausforderungen aber auch die häufigen Einsatzabwesenheiten führen nicht dazu, dass wir für jede Frau innerhalb der Bundeswehr der attraktivste Bereich sind.
Im Jahr 2017 ist die Bundeswehr stark negativ in die Schlagzeilen geraten. Es gab sexuelle Übergriffe und rechtsextreme Umtriebe. Wie sehr haben die Vorfälle die Truppe beeinflusst und was hat sich geändert?
Schütt: Diese Themen haben die Truppe massiv bewegt und uns intensiv beschäftigt. So haben wir uns auf Kommandeurtagungen, aber auch bei Weiterbildungen in der Truppe mit dem Thema ,Gutes Führen‘ intensiv auseinandergesetzt, Offiziere und Unteroffiziere auf Lehrgänge zum Zentrum Innere Führung entsandt und die Dienstaufsicht in diesem Bereich verstärkt. Eine weitere Konsequenz, die u.a. auch auf diese Vorfälle zurückgeht, ist, dass wir die Offizier- und mittelfristig auch die Unteroffizierausbildung umstellen. Die jeweiligen Anwärter sind dann während der Grundausbildung nicht mehr unter sich, sondern werden in gemischte Grundausbildungskompanien eingefügt, um dort frühzeitig eine Truppengattungsbindung zu entwickeln, zu lernen, was Verantwortung für andere zu übernehmen bedeutet und insgesamt die ,Bodenhaftung‘ zu vertiefen.
Am Standort Veitshöchheim wird kräftig gebaut: Es entstehen unter anderem 254 neue Einzelstuben, eine Turnhalle und weitere Gebäude. Wird die Bedeutung des Standorts Veitshöchheim noch zunehmen?
Schütt: Die Division wird auf absehbare Zeit hierbleiben, solange es die 10. Panzerdivision in der jetzigen Gestalt gibt. Der Standort ist einfach fantastisch, sowohl in Bezug auf die Lage im Raum und die Anbindung zur Truppe als in Bezug auf die örtliche Landschaft und die Menschen. Es bereitet Freude, hier zu dienen und zu leben. Umgebaut wird unter anderem, weil eine Einsatzdivision wie die unsere andere Bedürfnisse hat als die frühere 12. Panzerdivision in der Zeit des Kalten Krieges. Mit Blick auf künftige Aufgaben ist es gut, dass wir hier auch über eine infrastrukturelle Aufwuchsfähigkeit verfügen. Das heißt: Wir haben Platz! Aus meiner Sicht ist Veitshöchheim ein idealer Divisionsstandort und auch nicht gefährdet.
Als Berufssoldat sind Sie ja das Umziehen gewöhnt. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie das Frankenland?
Schütt. Die vier Jahre hier waren eine der schönsten Zeiten, die ich in meinen 38 Dienstjahren hatte: Ich hatte hier eine tolle Truppe. Meine Frau und ich nehmen außerdem mit: Wir haben hier in einer schönen Region gelebt, mit klasse Menschen, die der Bundeswehr offen gegenüberstehen, und mit kulinarischen Genüssen – vom ,Schäufele‘ bis hin zum Schoppen auf der Alten Mainbrücke in Würzburg. Den werden wir zum Abschluss noch mal genießen.
Bundeswehr in Veitshöchheim Die 10. Panzerdivision ist eine von drei Divisionen des Heeres der Bundeswehr und verfügt über rund 20 000 Soldatinnen und Soldaten. Diese verteilen sich auf vier Brigaden und die Divisionstruppen in fünf Bundesländern und zwei Staaten (Deutschland und Frankreich) an insgesamt 26 Standorten. Am Standort Veitshöchheim befinden sich rund 600 Divisionsangehörige, dazu kommen weitere Soldaten anderer Dienststellen. Die Gesamtstärke beträgt circa 700 Männer und Frauen, ergänzt um 400 Lehrgangsteilnehmer. Für Auslandseinsätze stellt die Division im Jahr 2018 insgesamt rund 3250 Soldatinnen und Soldaten. Dazu zählen der KFOR-Einsatz im Kosovo und ab Oktober 2018 die UN-Mission “MINUSMA“ (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission) in Mali sowie ebenfalls in Mali die EU-Ausbildungsmission für die malische Armee. Außerdem ist die 10. Panzerdivision die Leitdivision des Nato-Gefechtsverbandes enhanced Forward Presence („Verstärkte Vornepräsenz“) im litauischen Rukla. Des Weiteren beteiligt sich die 10. Panzerdivision an den Bereitschafts-Verpflichtungen der European Union Battlegroup, einer Formation der Krisenreaktionskräfte der EU, und an der Eingreiftruppe der Nato Response Force.