So stand es 1965 in der Main-Post: „Eine Attraktion besonderer Art ist die neu eröffnete Tanzbar ,Alter Keller' in Randersacker ... täglich von 20 bis 2 Uhr haben die Gäste Gelegenheit, nach Evergreens, modernen Schlagern und Hits zu tanzen...“. Und daran hat sich 50 Jahre später im Grunde nichts geändert. Zwar ist der „Alte Keller“ die halbe Woche über geschlossen – montags, dienstags und mittwochs. Für Donnerstag, Freitag und Samstag aber gelten immer noch die alten Öffnungszeiten von 20 bis 2 Uhr in der Früh. Und Schlager, Oldies und Hits der aktuellen Charts sind nach wie vor angesagt.
„Es gibt Lieder aus den 60er oder sogar aus den 50er Jahren, die haben auch heute an Beliebtheit nichts verloren – gerade die Jugend hört sie gern,“ sagt DJ-Legende Hans Kollenbrath, der vor 32 Jahren das Tanzlokal übernommen hat. „Spiele ich von Percy Sledge ,When a man loves a woman', von Udo Jürgens ,Merci'“ oder ,Que sera' von Doris Day, dann ist die Tanzfläche voll.“
Sein Vorgänger, Hans-Ullrich Henkel, der spätere Betreiber des Grafeneckart-Kellers in Würzburg, war es, der Mitte der 60er Jahre in Randersacker aus einem ehemaligen Rübenkeller eine gemütliche Tanz-Bar machte. Und das mit viel Eigenleistung und mit Unterstützung der Hauseigentümer. Die Idee dazu kam ihm, als er miterlebte, wie sich junge Leute vermehrt nach Tanzgelegenheiten sehnten. Sie pilgerten unter anderem nach Sommerhausen in den „Anker“, weil dort die entsprechende Musik geboten wurde – als Soundmaschine diente ein einfacher zehnfach-Schallplattenwechsler.
Das Meiste des Randersackerer Ur-„Keller“s hat all die Jahre überdauert: Da ist das rustikale Gewölbe aus Bruchstein, auf die Disco-Spotlights farbenfrohe Effekte zeichnen, der Tresen mit den Barhockern, die bequemen Sitzgruppen, die abgeteilten Nischen, der Vorhang vor der Treppe, die hinauf zum Eingang führt etc. In den Anfangsjahren bestand für die Männer noch Krawattenpflicht – das aber ist längst passé.
Viele Menschen sind sich im „Keller“ zum ersten Mal begegnet, so manch eine dauerhafte Beziehung hat hier ihren Anfang genommen. Davor war auch der Chef Hans Kollenbrath nicht gefeit: Er lernte hier vor 30 Jahren beim Tanzen seine Frau Renate kennen, die ihn nun als gute Seele des Hauses tatkräftig unterstützt und vieles im Lokal managt. „Ohne sie könnte ich das alles hier nicht stemmen!“
Kürzlich war ein Ehepaar aus München da – die beiden trafen sich im „Keller“ zum ersten Mal. Das war vor 43 Jahren. Zu ihrem 40. Hochzeitstag kamen die beiden wieder, schwelgten in alten Erinnerungen und wünschten sich unbedingt von Hans Kollenbrath den Disco-Song „Dancing Queen“ von ABBA. Das hat ihnen richtig gut getan. „So was gibt's in ganz München nicht mehr“, sagte der Ehemann voller Begeisterung. Das nimmt Hans Kollenbrath wohlwollend zur Kenntnis, der im österreichischen Kärnten geboren wurde und bereits in jungen Jahren als Discjockey arbeitete. In den Achtzigern kam er durch Vermittlung eines Bekannten nach Würzburg, wo er im „Monokel“ und dann im „Nr. 1“ in Marktheidenfeld „Schwung reinbrachte“.
Viele Tanzlokale sind von der Bildfläche verschwunden, den „Alten Keller“ in der Maingasse als Treffpunkt für die Generation 40+ gibt es immer noch. Willkommen sind natürlich auch jüngere Leute. Und die kommen gerne, wenn sie ihr in den Tanzkursen Erlerntes in die Praxis umsetzen – mit Disco-Fox, Walzer, Tango, Rumba, Cha Cha, Bachata usw. bis hin zum gemütlichen Schwofen.
Es ist Donnerstag Abend, 21 Uhr, gedämpftes Licht, der 68-jährige Gastgeber sitzt vor dem Dynacord-Mischpult und dem Technics-Schallplattenspieler – beide Geräte schon über 50 Jahre im Betrieb –, nimmt das Mikrofon in die Hand und wünscht den Anwesenden einen unterhaltsamen Abend. Im Nu füllt sich die Tanzfläche.
Mit dabei ist Wolfgang (67), der seit 35 Jahren regelmäßig – meist donnerstags – in den „Keller“ hinabsteigt. Er ist Disco-Fox-Liebhaber. „Ich habe hier meine Frau kennengelernt und bin 21 Jahre mit ihr verheiratet.“ Er schätzt die vertraut-heimelige Atmosphäre. „Man weiß viel von den Gästen – und wo bekommt man schon so was im Umkreis geboten.“
Michael (56) hält dem Lokal seit über 25 Jahren die Treue. Früher hat er durchgehend von Anfang an bis zur Sperrstunde getanzt. Vor etwa 15 Jahren bekam er Multiple Sklerose. Die Krankheit schritt voran. Vor drei Jahre konnte er sich noch langsam rhythmisch bewegen. Heute ist er auf Gehhilfen angewiesen, Tanzen geht nicht mehr. „Ich muss einfach raus aus den vier Wänden, und genieße die Musik und den Moment. Hier treffe ich nette Menschen, die ich kenne und gern habe.“
Conny bringt es auf etwa 15 Jahre Stammgastdasein. Sie hat im Alten Keller ihren Mann kennen gelernt und hier sogar ihre Hochzeit gefeiert. Vergleichbares weiß auch Susanne zu berichten. Die Würzburgerin, die früher gern ins „Odeon“ ging, traf hier gleich nach der Wende zum ersten Mal ihren Jörg aus Dresden. Das Paar kommt seitdem jede Woche. „Trotz der Disco-Musik ist es möglich, dass wir uns ungestört unterhalten können“, sagt sie.
Emanuele (64), Deutsch-Italiener, schwarzes, volles Haar, „Der sieht doch aus wie 50 oder wie früher Elvis Presley“, sagt sein Tresen-Nachbar. Emanuele, schon seit 37 Jahren Keller-Fan, schwärmt: „Das hier ist wie eine Familie, meine Familie.“
„Viele Besucher und Stammgäste, nehmen weite Wege in Kauf, bei uns ein paar nette Stunden zu erleben. So zum Beispiel aus Aschaffenburg, Bad Neustadt, Bad Kissingen, Lohr, Wertheim, Bad Mergentheim, sogar aus Nürnberg oder Fürth“, bemerkt Hans Kollenbrath und spielt auf vielfältigem Wunsch wie fast jeden Abend den Hit „Atemlos“ von Helene Fischer. Später sind es Songs von Shakira oder Meghan Trainor. Auch das kommt bei den tanzenden und nicht-tanzenden Gästen gut an. Die meisten werden sicher bald wiederkommen. „Keller“-Kind bleibt eben „Keller“-Kind.