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WÜRZBURG: Wo man ganz frei sein kann

WÜRZBURG

Wo man ganz frei sein kann

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    Catrin Reimer pinselt den neuen Schriftzug auf die Glasfront des „Freiraums“ in der Maiergasse.Foto: Pat Christ
    Catrin Reimer pinselt den neuen Schriftzug auf die Glasfront des „Freiraums“ in der Maiergasse.Foto: Pat Christ Foto: Pat Christ

    Ein paar Dinge hatten den Vermieter etwas gestört. Zum Beispiel die Verschenkkiste vor der Tür. Die sah nicht ganz so ordentlich aus. Darum wurde dem Verein „Freiraum“ Ende März das Domizil im Inneren Graben gekündigt. Doch lange war die 15-köpfige, alternative Gruppierung nicht obdachlos. Bereits im April konnte der „Freiraum“ seine Zelte in der Maiergasse 2 nahe der Volkshochschule aufschlagen. 120 Quadratmeter freier Raum stehen nun allen Bürgern zur Verfügung.

    Der „Freiraum“ ist genau das, was der Name aussagt: Ein Raum, in dem man sich ohne jeden Zwang aufhalten kann. „Viele kommen hierher, um Musik zu machen“, sagt Vorstandsmitglied Dietmar Kaiser. Man kann sich eine Gitarre schnappen. Rechts hinten im Raum wartet ein Drumset darauf, dass jemand zum Schläger greift. Material zum Malen und Basteln gibt es ebenfalls en masse. Fast immer, wenn der „Freiraum“ geöffnet hat, was an drei Tagen in der Woche der Fall ist, kommt außerdem jemand vorbei, der Essen übrig hat, kochen und mit anderen schnabulieren möchte. „Kürzlich gab es zum Beispiel Pizza“, berichtet Saraina Weigand.

    Die 23-Jährige lebt erst seit wenigen Monaten in Würzburg. Nach Abschluss ihres Studiums der sozialen Arbeit zog sie von Erfurt in die Residenzstadt am Main. „Ich bin froh, dass ich hier gleich den ,Freiraum? entdeckt habe“, so das Vereinsmitglied. Saraina liebt es, sich kreativ auszuleben. Durch den Umzug werden die Karten des „Freiraums“ neu gemischt, es können neue Ideen gesponnen und realisiert werden.

    In einem kleinen Raum hinter dem riesigen Hauptraum soll nun zum Beispiel eine Bibliothek eingerichtet werden. Wer ungestört lesen mag, kann sich hierhin zurückziehen. Aber auch Literaturschaffende, die anderen gerne einmal vorlesen möchten, was in einsamen Stunden am Schreibtisch entstand, können diesen Raum nutzen. Außerdem überlegt das Team, ob man nicht in einer Ecke des großen Raumes ein dauerhaftes Repair-Café etablieren könnte.

    Catrin Reimer entdeckte den „Freiraum“ vor einem Jahr, als dort 6000 Päckchen veganer Schokolade umsonst auf Abnehmer warteten. Eine Firma musste die Süßigkeit aus dem Verkauf nehmen, obwohl sie einwandfrei war. Reimer nahm sich ein wenig Schokolade mit – und blieb im „Freiraum“ hängen. Der Laden kommt ihrer kreativen Ader entgegen: Die 39-Jährige ist diplomierte Gitarristin. Wobei sie den „Freiraum“ eher selten zum Spielen nutzt: „Nur, wenn ich Lust dazu habe.“ Im Moment tobt sie sich künstlerisch aus. Unter ihren geschickten Händen entsteht in Grün und Gelb der neue Schriftzug für den „Freiraum“.

    „Selbst ein 92 Jahre alter Mann kommt, weil er sehr neugierig ist, regelmäßig bei uns vorbei.“

    Dietmar Kaiser Vorstandsmitglied Freiraum e.V.

    Der „Freiraum“ ist ein Ort, wo man einfach hingehen kann, ohne etwas konsumieren zu müssen. Es wird kein Eintritt verlangt, gar nichts kostet etwas – also weder das Benutzen der vorhandenen Musikinstrumente, noch der Griff in das Schränkchen, wo sich immer irgendetwas zu essen befindet, das ein anderer nicht mehr braucht.

    Der „Freiraum“, erklärt Dietmar Kaiser, ist ein „Postwachstumsprojekt“. Die Gruppe will alternative Wege aufzeigen zu einem Wirtschaftssystem, das auf „immer mehr“ und „immer schneller“ getrimmt ist. Diese Idee findet viele Freunde: „Selbst ein 92 Jahre alter Mann kommt, weil er sehr neugierig ist, regelmäßig bei uns vorbei.“

    Sämtliche Einrichtungsgegenstände sind gebraucht, einige haben eine sichtlich lange, bewegte Geschichte hinter sich. Für keinen Sessel und für keinen Tisch wurde ein Cent ausgegeben. Die Miete allerdings für die neuen Räume muss Monat für Monat aufgebracht werden. Warm sind insgesamt um die 900 Euro zu stemmen. Das ist deutlich mehr als im Inneren Graben, so Kaiser: „Wobei wir jetzt auch die doppelte Fläche zur Verfügung haben.“ Über ein „Solifest“ Ende April kam so viel Geld herein, dass die Miete für Mai und Juni gesichert ist. „Wichtig wäre nun, dass wir regelmäßige Spender gewinnen“, so Saraina Weigand.

    Nach den Sommerferien ist eine zweite Soliparty geplant. Bis dahin soll der „Freiraum“ noch mehr Gesicht angenommen haben. Vielleicht ist dann ja auch schon der „Lernort“ an den Start gegangen. Denn auch diese neue Idee soll laut Kaiser in den neuen Räumen realisiert werden: „Wir möchten einen autodidaktischen Ort zum Lernen schaffen.“ Als Alternative zum herkömmlichen, großenteils auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ausgerichteten Bildungssystem.

    Der Freiraum ist mittwochs und samstags von 14 bis 22 Uhr und sonntags von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Weitere Informationen sowie die Spendenadresse finden sich im Internet unter freiraumwuerzburg.wordpress.com.

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