Im ICE erkennt man sie an der schwarzen Bahncard 100, im Stau an ihrem geduldigen Gesichtsausdruck und an der Bushaltestelle am ständigen Blick auf die Uhr ihres Smartphones: Berufspendler. Laut der repräsentativen Haushaltsbefragung Mikrozensus verlassen jeden Morgen 17 Millionen Menschen ihren Heimatort, um zur Arbeit anderswo zu gelangen. Viele von ihnen sind länger als eine Stunde unterwegs. Das macht täglich zwei Stunden im Auto, in der Bahn oder im Bus. Manche haben zwei Zuhause – eine Wohnung fürs Wochenende und ein Zimmer in Büronähe. Andere pendeln täglich.
Das Pendeln gehört auch für viele Mainfranken zum Alltag
Mobilität gehört für viele Berufstätige zum Alltag: Während im Jahr 1995 etwa 31 Prozent zur Arbeit über Kreisgrenzen pendelten, waren es 2005 schon 39 Prozent – bei steigender Tendenz, so das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Im Jahr 2013 arbeiteten zwei Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten außerhalb ihrer Heimatgemeinde.
Das entspricht einem Mobilitätsgrad von 64,5 Prozent, so der
des IAB.
Das tägliche oder wöchentliche Pendeln gehört auch für viele Mainfranken zum Alltag. „Nicht nur die Zahl der Pendler ist in den letzten Jahren gestiegen, sondern auch die Distanzen haben deutlich zugelegt“, sagt Sascha Genders, Bereichsleiter Standortpolitik, Existenzgründung und Unternehmensförderung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Würzburg. Zum zweiten Mal hat die IHK die Pendlerströme im „Pendleratlas Mainfranken“ untersucht. Grundlage sind die Daten der Bundesagentur für Arbeit, darin sind alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst.

„Ich habe mich bewusst für ein Leben auf dem Land entschieden.“
Mareen Capristo, Referentin für Kommunikation, pendelt seit drei Jahren täglich von Brünnau (Lkr. Kitzingen) nach Würzburg. Die einfache Fahrt mit dem Auto dauert etwa 40 Minuten. „Doch wenn alles dicht ist, brauche ich entsprechend länger“, erzählt die Pendlerin. Manchmal ist sie über eine Stunde für die etwa 45 Kilometer unterwegs. Ein Umzug kommt für sie dennoch nicht in Frage: „Ich habe mich bewusst für ein Leben auf dem Land entschieden“, sagt Capristo.
Die Städte Würzburg und Schweinfurt sind in Mainfranken die Anlaufstellen der meisten Berufspendler. Würzburg liegt mit 54 000 Einpendlern an der Spitze, gefolgt von Schweinfurt mit knapp 41 000 Einpendlern. Schweinfurt weise mit rund 76 Prozent die höchste Einpendlerquote in der Region auf, erläutert Genders. Würzburg komme bei der Auswertung der IHK auf eine Quote von 64 Prozent. Die wenigsten Einpendler hat in Unterfranken mit unter 25 Prozent der Landkreis Haßberge.
Täglich zur Arbeit nach Nürnberg, Frankfurt oder Bamberg
Die Zahl der Berufspendler legte laut dem Statistischen Bundesamt zwischen 2004 und 2012 um elf Prozent zu. Wirtschaftlich starke Regionen wie München, Stuttgart, Mannheim, Frankfurt am Main, Hamburg und das Ruhrgebiet ziehen die meisten Pendler an. Es seien vor allem Männer, Beschäftigte in Vollzeit und Hochqualifizierte, die lange Wege zur Arbeit auf sich nähmen.
Über 167 000 Menschen pendeln nach Mainfranken, knapp 175 000 leben zwar in der Region, arbeiten aber woanders. So pendeln laut IHK-Pendler-Atlas auch viele Menschen aus dem Landkreis Schweinfurter täglich in den Main-Tauber-Kreis. Da Würzburg zwischen den Metropolregionen liegt, fahren viele täglich zur Arbeit nach Frankfurt, Bamberg oder Nürnberg. „Mehr als 500 Mainfranken pendeln nach München“, weiß Genders. Sie verbringen dann bis zu vier Stunden pro Tag im Zug. Wo sparen Berufspendler diese Zeit ein? Sie schlafen kürzer, treiben seltener Sport und nehmen sich weniger Zeit zum Kochen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie von US-Wissenschaftlern.
Die Entfernungspauschale macht für viele Pendeln attraktiv
Wohnen auf dem Land und arbeiten in der Stadt lautet der Trend auch in Mittelzentren wie Karlstadt, Lohr, Mellrichstadt, Bad Kissingen, Werneck, Ochsenfurt, Kitzingen und Bad Neustadt. „Oft spielen Lebenshaltungskosten, der Schulort der Kinder, Wohneigentum oder die Betreuung von Angehörigen eine Rolle“, sagt Genders. Sowohl in Würzburg, als auch in Schweinfurt sei es nicht ganz einfach, Wohnraum in der Stadt zu finden. So werden preiswerte Wohngegenden bevorzugt, auch wenn diese nicht unbedingt in der Nähe von attraktiven Arbeitsplätzen liegen.
Noch dazu zahlt der Staat jährlich Milliarden, um das Pendeln für Normalverdiener überhaupt möglich zu machen. Mit 30 Cent je Kilometer wird die einfache Strecke zum Arbeitsplatz gefördert. Diese so genannte Entfernungspauschale mindert die zu versteuerten Einkünfte. Viele können es sich nur deshalb leisten, auf dem Land zu leben – und für den Job in die Stadt zu pendeln. Das Umweltbundesamt kritisiert, dass die Entfernungspauschale „das Wachstum des Verkehrsaufkommens sowie den Trend zu langen Arbeitswegen und zur Zersiedlung der Landschaft“ unterstütze.
Die Entfernungspauschale wirke dem Klimaschutz entgegen und trage zur Belastung mit Luftschadstoffen und Lärm bei.
„Was ich merke ist, dass einiges an Zeit, besser gesagt an Freizeit, auf der Strecke bleibt.“
Michael Zimmer, Berufspendler
Bis 7 Uhr ausschlafen, gemütlich mit der Familie frühstücken und mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, das können nur die wenigsten Deutschen. Michael Zimmer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken, pendelt seit sechs Jahren von seinem Wohnort in Aschaffenburg nach Würzburg. Mit dem ICE braucht er von Haustür zu Haustür etwa eine Stunde und 15 Minuten. Ein Umzug kommt für den Polizeibeamten nicht in Frage: „Mein komplettes familiäres und privates Umfeld ist in Aschaffenburg. Ich bin dort sehr stark auch durch ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Sportverein und anderen Organisationen verwurzelt. Es ist meine Heimat, die mir sehr wichtig ist.“
Die meisten Deutschen sind mit dem Auto unterwegs
Die Pendlerströme in Mainfranken sprechen für die Mobilität der Arbeitnehmer und für eine gute Infrastruktur, so interpretiert es Sascha Gender von der IHK. In ländlichen Regionen sind laut Statistischem Bundesamt 72 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf den eigenen Pkw angewiesen. In den Ballungsräumen sind immerhin 32 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
49 Prozent nutzen dort ihr Auto oder Zweirad. Mit dem Fahrrad erreichen nur etwa neun Prozent ihren Arbeitsplatz. Acht Prozent der Beschäftigten können zu Fuß zu ihrer Arbeit laufen.
Das Auto ist auch in Mainfranken das am meisten genutzte Verkehrsmittel. „Der überwiegende Teil der Berufspendler bevorzugt es, allein zur Arbeit zu fahren und es werden seltener Fahrgemeinschaften gebildet“, erläutert Genders. Den Ausbau und Erhalt der Verkehrsinfrastruktur hält die IHK für eine elementare Voraussetzung für einen funktions- und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort. In Mainfranken machten die Dauerbaustellen auf der A3 und der A7 vielen Pendlern zu schaffen. „Die sechsstreifige Erweiterung der A7 im Abschnitt Autobahnkreuz Biebelried (A3) bis zum Autobahndreieck Schweinfurt/Werneck (A70) ist bedauerlicherweise im aktuellen Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 nicht berücksichtigt“, sagt Genders. Hier spreche sich die Wirtschaft für Nachbesserungen aus. Zudem setze sich die IHK für den zweitnahen Bau der Westumgehung Würzburg B 26n von Werneck bis zur Anschlussstelle Helmstadt ein. „Rund 60 Prozent der mainfränkischen Unternehmen und auch die Pendler würden von der Westumgehung profitieren.“
Unterwegs in der Pendlerrepublik
Pendeln kostet Zeit, Nerven und Geld und belastet Familie, Gesundheit und Umwelt. Der Zeit-Redakteur Claas Tatje (35) hat darüber ein Buch geschrieben: „Fahrtenbuch des Wahnsinns – Unterwegs in der Pendlerrepublik“. Wäre die Arbeit von zu Hause aus – im so genannten Home Office – nicht eine Lösung? Doch der durchschnittliche deutsche Mitarbeiter wird durch veraltete Technologien sprichwörtlich an seinen Schreibtisch gefesselt, anstatt mobil arbeiten zu können: In Deutschland arbeiten 80 Prozent der Mitarbeiter mit Desktop-PCs und 94 Prozent mit Festnetztelefonen, das zeigt die Studie„Mitarbeiterengagement und Arbeitsplätze in aller Welt“ des Marktforschungsinstituts Ipsos und Steelcase.
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, denkt Michael Zimmer über das Pendeln, das er nicht bewusst als belastend empfindet. „Was ich merke ist, dass einiges an Zeit, besser gesagt FREIzeit im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleibt.“