Die Tante war kurz vor Weihnahten mit Kindern und Hund „Benno“ in ihr neues Haus gezogen. Es war ihr ganzer Stolz. Vor dem Einzug wurden noch die Biedermeiermöbel neu bezogen. Weihnachten sollte gefeiert werden. Wir waren eingeladen.
Pünktlich zum Mittagessen klingelten wir festtäglich gekleidet, worauf unsere kleinen Cousinen zur Tür eilten. Es gab eine freudige Begrüßung. Meine Tante kam mit gerötetem Gesicht aus der Küche in den Flur, nachdem sie ihre Schürze abgestreift hatte. „Fröhliche Weihnachten! Ihr kommt gerade zur rechten Zeit“, rief sie uns entgegen. „Gerade ist der Braten fertig geworden. Er steht bereits auf dem Tisch.“ An meine großen Brüder gewandt, fügte sie hinzu: „Ihr habt sicher einen Bärenhunger!“
Die Cousinen führten mich ins Wohnzimmer, wo der Tisch gedeckt war. Ein leises Knurren empfing uns. Benno, von den Kindern liebevoll „Benni“ genannt, saß mit seinem Hinterteil auf einem Stuhl, mit den Vorderbeinen auf dem Tisch, ein riesiges Stück Fleisch im Maul, unserem Weihnachtsbraten!
Seine Umgebung schwamm in Bratensoße: das weiße Tischtuch, die Tischdekoration, der frisch bezogene Biedermeierstuhl. Benno verteidigte leise knurrend seine Eroberung.
Die restliche Familie folgte unseren Schreckensrufen. Der Tante standen Tränen in den Augen. Sie hatte sich so viel Arbeit gemacht. Benno hatte die kurze Zeit unserer Begrüßung genutzt und alles zerstört. Ich konnte mit ihr fühlen. Mein jüngster Bruder stürzte zu Benni, worauf sein weißes Hemd ebenfalls in Soße getunkt wurde.
Erst als die Tante entsetzt „Benno“ schrie, ließ dieser von seiner Beute und sprang mit sichtlich schlechtem Gewissen und eingekniffenem Schwanz vom Biedermeierstuhl. Aber zu spät: Der Braten war hin, die festliche Tafel verwüstet.
Meine Mutter fing sich als Erste und begann die Aufräumaktion. Die Flecken ließen sich entfernen, ein frisches Tischtuch finden. Es wurde ein vegetarisches Weihnachtsessen. Nur der Bezug des Biedermeierstuhls war unrettbar dahin. Benni winselte sehnsüchtig, als wir ihn wegtrugen. Er roch so gut nach Soße.
Wir Kinder lachten als Erste und steckten die Erwachsenen an. Selbst die Tante lachte schließlich mit. Der Humor siegte.
Text: Bärbel Krumme
Bärbel Krumme ist Ärztin und leitete viele Jahre am Missionsärztlichen Institut die Arbeitsgruppe „Not und Katastrophenhilfe“.
In der Kolumne „Würzburger Adventskalender“ erzählen Menschen aus Würzburg Anekdoten rund um Advent und Weihnachtsfest.