Die Weihnachts-Gans musste inzwischen dran glauben. Stundenlang im Ofen geschmort, gestopft und bepinselt, so wurde sie immer von der Oma präpariert. Das war uns dann doch zu viel des Guten. An dieser Stelle sind wir, also meine Frau Viktoria und ich, nach einem ersten Versuch ausgeschert aus dem klassischen Weihnachtsprogramm, das uns die Vorgängergenerationen wie selbstverständlich übertragen haben.
Wann ist man Weihnachten "in charge"? Offenbar dann, wenn aus einer Ehe mit zwei Personen eine Familie zu dritt geworden ist. 1996 war das bei uns der Fall, unsere erste – von inzwischen drei Töchtern – war gerade einmal 16 Tage alt, da wurde unsere Wohnung zum Zentrum der familiären Weihnachtsfeier. Um ehrlich zu sein: Wir wussten damals nicht so wirklich, was auf uns zukam. Weihnachten als Familienevent war eben ein Lernprozess, in den wir mit 27 und 29 Jahren eingetaucht sind. Die Rolle ist uns bis heute geblieben. Learning by doing wurde zum Erfolgsrezept, mit all den Herausforderungen, die in wahrscheinlich allen Familien Würzburgs bekannt sind.
Schwiegereltern auf Kollisionskurs oder die Baby Bjorn-Schlacht mit viel zu vielen Paketen, die bei drei kleinen Mädchen aber irgendwie unvermeidlich schien, sind nur zwei Beispiele für klassische Weihnachtshürden. Hinwerfen und weglaufen vor all dem Einkaufen, der Dekoration, dem Einsammeln von Geschenkpapier? Weihnachten in den Alpen, auf irgendeiner Insel, allein mit der Kernfamilie zu fünft? Das alles war für uns seit 28 Jahren kein Thema. Seitdem sind wir Anlaufpunkt für die Großfamilie.
Family First – dieser Slogan zeichnet Weihnachten für uns aus. Wo das Private während des ganzen Jahres so oft hintenan stehen muss, drehen wir Weihnachten den Spieß rigoros um. Ich bin kein Mensch, der an Traditionen klebt, der vor Innovationen zurückscheut, der nicht gerne mal etwas Neues macht. Nicht an diesen Weihnachtstagen. Diese drei Tage sind essenziell, weil wir uns Jahr für Jahr vergewissern, dass für uns alle die gleichen Werte zählen. Bei diesem Weihnachtsfest setzen wir auf totale Normalität, so normal wie wir Weihnachten eben schon als Kinder erlebt haben – bis auf die Gans natürlich.
Wie lange das so bleibt? Keine Ahnung. Kinder werden erwachsen, bekommen Kinder. Und unsere "Drohung" schallt unseren Töchtern schon heute in den Ohren: Kaum ist das erste Enkelkind geboren, sind wir Weihnachten zu Gast. Wahrscheinlich sind meine Frau und ich dann aber tatsächlich doch noch länger (und sehr gerne) Gastgeber für die Großfamilie…
Bernhard May ist Geschäftsführer der Golfplatz Würzburg GmbH.
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.