Es ist schon einige Jahre her: Winterurlaub auf La Gomera. Herrlichstes Wetter, angenehm sommerliche Temperaturen. Schneemänner am Strand bauen klappt nicht so ganz und Weihnachten ist gefühlt ziemlich weit weg. Erstaunlich, wie stark ich Weihnachten mit einer winterlichen Umgebung assoziiere.
Wir verbringen sehr entspannte Tage. Vormittags wandern, Nachmittags am Strand erholen und abends Live-Musik genießen. Von vorweihnachtlicher Hektik keine Spur. Nur der Kauf einer Weihnachtsmann-Mütze für das obligatorische Social Media-Photo stellt eine kleine Herausforderung dar. Und die wird mit dem Entdecken eines skurrilen Mini-Tante-Emma-Baumarktes am Ende reich belohnt.
Sonne, Natur und das stete Rauschen der Wellen. Keine Verpflichtungen. Einfach mal Zeit haben. Wir sind im Paradies! Die Tage verfliegen. "Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier…" Und auf einmal ist Heiligabend. Schatz, wollen wir heute Abend was besonders Leckeres essen gehen?... So, wie gestern, vorgestern und die Tage davor auch?
Wir müssen lachen. Komisch, dass mir das an Heiligabend besonders wichtig ist. Da merkt man, was Sozialisation ausmacht. Bei uns war früher Karpfen blau in Rotweinsoße ein wichtiger Teil des Heiligabend-Rituals. Und so schiebt sich der Appetit auf ein festliches Abendessen langsam in den Vordergrund. Wir machen uns auf zu unserem Lieblingsrestaurant. Alles voll. Na gut, lass uns zu dem tollen Fischrestaurant gehen, wo wir neulich waren. Das ist ja gleich da vorne – und bis auf den letzten Platz besetzt. Wir hätten wohl besser reservieren sollen.
Und so beginnt eine kleine Odyssee. Wir laufen kreuz und quer durchs die beiden Ortsteile des Valle Gran Rey und lernen jede noch so kleine Taverne kennen. Alle sind sie bis zum letzten Platz besetzt. Nach Stunden entdecken wir eine ganz urige Bar. In der Ecke ein kleiner Tisch mit zwei freien Stühlen. Vorsichtig fragen wir, ob die Küche noch offen hat. Ich schnappe ein "Conejo" aus dem Spanisch des Kellners auf. Kaninchen, eine Spezialität auf den Kanaren. Wir bestellen, lehnen uns zurück, atmen tief aus und lächeln uns an. Welche Erleichterung, nach einer etwa zweieinhalbstündigen Odyssee. Es ist fast 23 Uhr. Heiligabend kann beginnen.
Wenn ich heute mit viel Abstand an diesen Heiligabend zurückdenke, wird mir klar, wie gut es uns doch geht. Trotz Ferienwohnung mit gefülltem Kühlschrank so viel Zeit für die Nahrungssuche aufzuwenden, ist ein echtes Luxusproblem. Dennoch hatte sich damals eine tiefe Erleichterung und Dankbarkeit ausgebreitet, als wir endlich einen Restaurantplatz gefunden hatten. Wie viel mal dankbarer müssen Josef und Maria gewesen sein, als sie endlich Unterschlupf in einer Krippe fanden.
Text: Michael Ende
Foto: Michael Ende
Michael Ende ist Musikproduzent und E-Bassist in Würzburg.
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.