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Würzburg: Würzburger Adventskalender: Tauschhandel vor Weihnachten

Würzburg

Würzburger Adventskalender: Tauschhandel vor Weihnachten

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    Würzburger Adventskalender: Tauschhandel vor Weihnachten
    Würzburger Adventskalender: Tauschhandel vor Weihnachten

    Seit Mitte der 80er Jahre stand er bei uns jedes Jahr zur Adventszeit im Fenster im 8. Stock des Hochhauses im Süden von Halle. Wenn er leuchtete, dann stieg einem fast automatisch der Geruch von Räucherkerzen in die Nase und im Ohr klangen Lieder wie "Wenn es Raachermannel naabelt" oder "Bleibn mer noch e Wing do": Der Schwibbogen aus dem Erzgebirge ist bis heute ein wohlbehütetes Stück in unserer Familie. Das hat nicht nur mit der heimeligen Atmosphäre zu tun, die vom erzgebirgischen Weihnachtsbrauchtum ausgeht, sondern auch mit der Geschichte, wie der Schwibbogen in unsere Familie kam.

    Wir wollten unbedingt ein solches Stück haben, und selbstverständlich nicht irgendeine Hobby-Laubsägearbeit, sondern ein Original aus einer erzgebirgischen Werkstatt und im Idealfall mit dem bekannten "Schwarzenberger Motiv": Es zeigt zwei Bergmänner, eine Klöpplerin und einen Schnitzer. Nun sollte man meinen, dass man einen Schwibbogen in der DDR eigentlich problemlos hätte bekommen müssen – schließlich ist die erzgebirgische Volkskunst in Sachsen zu Hause. Dort wurde auch fleißig produziert. Das Problem war nur, dass Nussknacker, Räuchermännchen oder eben Schwibbögen damals eine attraktive Exportware Richtung Westen waren. Damit erwirtschaftete die DDR dringend benötigte Devisen – mit dem Ergebnis, dass es die Schnitzereien im eigenen Land kaum zu kaufen gab, am ehesten vielleicht noch vor Ort im Erzgebirge.

    Dass wir doch noch an das begehrte Stück kamen, dazu verhalf unserer Familie eine spezielle Folge der ostdeutschen Mangelwirtschaft: der private Tauschhandel. Der wiederum hatte seine Ursache in der seinerzeit ungleichen Warenverteilung: Was es in der einen Ecke des Landes häufiger gab, war anderswo kaum zu kriegen – und umgekehrt. Man musste eben nur irgendwo jemanden kennen, der vielleicht auch was brauchte.

    Das war der Fall, als mein Vater bei einer Kur einen Zimmerkollegen aus dem Erzgebirge hatte. Der erzählte irgendwann, dass seine kleine Tochter gern Kakao-Milch trank, und zwar solche mit "Trinkfix"-Kakaopulver, damals eine Marke der westdeutschen Firma Trumpf. Das Pulver wurde in der DDR in Lizenz hergestellt und für stolze acht Mark meist in speziellen "Delikat"-Läden verkauft – nur offenbar nicht in der Heimatstadt des Kur-Kollegen. In Halle dagegen gab es den Kakao.

    Wie die Geschichte ausging, liegt auf der Hand: Alsbald ging ein Paket mit zehn Trommeln Trinkfix von Halle ins Erzgebirge, und in umgekehrter Richtung wanderte ein sorgsam verpackter Schwibbogen zu uns – sogar mit Schwarzenberger Motiv! Und während in Halle nun im Halbrund die Lichter im Fenster leuchteten, strahlte im Erzgebirge ein kleines Mädchen über einen üppigen Vorrat an Instant-Kakao. Weihnachten konnte kommen.

    Torsten Schleicher leitet die Redaktion Würzburg der Main-Post.

    In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.

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