Vor dem Bayerischen Apothekertag am Wochenende in Würzburg gibt es politischen Sprengstoff: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs sorgt für Zukunftsängste bei den Pharmazeuten. Michael Sax, Bezirksvorstand des Bayerischen Apothekerverbandes für Unterfranken, erklärt die zentralen Forderungen seines Berufsstands.
Frage: In Deutschland und auch in Bayern geht die Zahl der Apotheken stetig zurück. Woran liegt das?
Michael SaX: Einer der Gründe ist, dass der Versandhandel den niedergelassenen Apothekern Probleme macht, befeuert wird das Ganze vom Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Oktober 2016, das nun ausländischen Apotheken auch den Versandhandel von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu deutlich günstigeren Preisen erlaubt. Das ist ungerecht.
Wie viel Prozent des Apothekenumsatzes machen denn die rezeptpflichtigen Medikamente aus?
Sax: Durchschnittliche Apotheken machen ihren Umsatz zu etwa 80 Prozent mit rezeptpflichtigen Medikamenten, 20 Prozent mit freiverkäuflichen Arzneien. Für deutsche Apotheken gilt ja nach wie vor die gesetzlich festgelegte Preisbindung nach Arzneimittelpreisverordnung.
Danach darf der Apotheker beim Verkauf von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nur drei Prozent auf seinen eigenen Einkaufspreis aufschlagen, zuzüglich eines Fixzuschlags von 8,35 Euro pro Packung und 16 Cent für die Vergütung des Notdienstes als Allgemeinwohlpflicht. Die Mehrwertsteuer wird zuletzt addiert.
Warum brauchen wir in Deutschland eine Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente?
Sax: Die Arzneimittelpreisverordnung dient dem Interessenausgleich aller Beteiligten. Den Patienten schützt sie davor, dass seine Notlage durch überhöhte Preise ausgenutzt wird. Feste Preise machen das Sachleistungsprinzip der Krankenkassen erst möglich. Zudem verhindert die Preisbindung destruktive Wettbewerbsformen und sichert eine flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch ein Netz wohnortsnaher Apotheken. Sie sichert Objektivität und Neutralität gegenüber den Patienten in der Apotheke.
Wie viele verschreibungspflichtige Medikamente werden bereits im Versandhandel bestellt?
Sax: Im Versand läuft bislang mehr über die freikalkulierbaren Arzneimittel. Der Versand mit rezeptpflichtigen Medikamenten machte 2014 nach Packungen 0,6 Prozent aus. Das ist zum Glück noch sehr wenig. Doch durch dieses EuGH-Urteil wird sich das mit Sicherheit zulasten der deutschen Apotheken verschieben.
Warum eröffnen Sie dann keine Versandapotheke?
Sax: Versandhandel lohnt sich ja nur, wenn Sie große Mengen zu einem kleinen Preis vertreiben. Eine einzelne Apotheke kann das gar nicht leisten. Die Masse macht es. Sie bräuchten riesige Lagerräume, eine umfangreiche Logistik und viel Personal. In Deutschland konzentriert sich der Versandhandel daher auf etwa 30 Apotheken. Außerdem wird durch den Versand ein vermeintlicher Mehrkonsum gefördert, was meinem pharmazeutischen Verständnis der besonderen Ware Arzneimittel und den damit verbundenen Risiken nicht gerecht wird. Zudem wäre ich hier in Deutschland natürlich an die gültige Arzneimittelpreisverordnung gebunden.
Überall im europäischen Ausland, aber auch in den USA sind Arzneien günstiger als in Deutschland. Warum sind Medikamente hierzulande so teuer?
Sax: Das ist so nicht ganz richtig. Im Zuge der frühen Nutzenbewertung gibt es eine Vielzahl von Medikamenten, die in Deutschland günstiger sind als im europäischen Ausland. Generell hat in Europa jedes Land eine eigene Arzneimittelpreisbindung. Pharmahersteller in Deutschland können in den ersten zwölf Monaten nach der Zulassung eines neuen, innovativen Arzneimittels den Preis selbst bestimmen. Im Schnitt dauert es durchschnittlich zwölf Jahre von der Idee bis zur Zulassung eines Arzneimittels. Sprich, bevor man mit Medikamenten etwas verdient, muss man viel Geld investieren.
Welche Vorteile habe ich, wenn ich nicht im Internet, sondern vor Ort meine Medikamente kaufe?
Sax: Der Apotheker vor Ort klärt sofort über Wechselwirkungen und Nebenwirkungen auf. Über einen Botendienst wird von uns das Medikament bis ans Bett gebracht, wenn der Patient zum Beispiel keine Angehörigen hat. Wir machen Nacht- und Notdienst und erfüllen so wichtige Gemeinwohlaufgaben, die uns der Gesetzgeber auferlegt hat. Zudem stellen wir selbst Rezepturen her.
Dennoch haben viele Menschen die Nebenwirkungen von freiverkäuflichen Schmerzmitteln unterschätzt. Wurden sie richtig aufgeklärt?
Sax: Schmerzmittel werden häufig unkritisch angewendet – teilweise mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit. Im Internet kann man 20 Packungen Thomapyrin kaufen, ohne dass ein Hahn danach kräht. Wenn bei mir jemand zum zweiten Mal in der Woche kommt, um Kopfschmerztabletten zu kaufen, dann liegt wohl ein chronischer Schmerzzustand vor und der gehört in ärztliche Hände. Außerdem informieren wir natürlich über Nebenwirkungen von Schmerzmitteln wie chronische Leber- und Nierenschädigungen.
Welche Gesundheitspolitik wünschen Sie sich in den Wahlprogrammen?
Sax: Ich wünsche mir ein klares Bekenntnis zur inhabergeführten Apotheke vor Ort. Im Falle des EuGH-Urteils muss die Politik handeln und den Versand mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbieten. Denn das ist eine Bedrohung für die hiesigen Apotheken und kann zu großem volkswirtschaftlichen Schaden führen. In 21 Mitgliedsstaaten in Europa ist der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ebenfalls verboten.