Der Würzburger Daniel Osthoff hat 2005 ein Volksbegehren zur Wiedereinführung des G 9 initiiert – vergeblich. Jetzt kommt das neunjährige Gymnasium wohl zurück – und Osthoff hört mit Erstaunen seine früheren Argumente gegen das G 8 aus den Mündern von CSU-Politikern.
Frage: Das G 9 kommt zurück, aber Sie als G 9-Aktivist haben daran keinen Anteil. Wie geht es Ihnen dabei?
Daniel Osthoff: Mir geht es einerseits gut – weil sich mit der Rückkehr zum G 9 endlich wieder das durchgesetzt hat, was wir so lange gefordert haben. Nicht so gut geht es mir, weil dadurch auch klar wird, dass nur Regierungspolitiker die Schullandschaft verändern können – Volksbegehren aber offenbar nicht.
Sie haben bestimmt öfter darüber nachgedacht, warum beide Volksbegehren zum G 9 gescheitert sind.
Osthoff: Ich denke mal, dass etwa das Volksbegehren zum Nichtraucherschutz durchgegangen ist, weil das Thema jeden betrifft, Raucher wie Nichtraucher, also hundert Prozent der Bevölkerung. Schule andererseits tangiert ja nicht alle Bürger, sondern nur Kinder einer bestimmten Schulart – Kinder, die nicht wählen dürfen, und deren Eltern. Als wir damals für die Teilnahme am Volksbegehren geworben haben, haben uns viele Bürger achselzuckend gesagt: „Warum soll ich da mein Kreuzchen machen? Betrifft mich nicht.
“ Sogar Eltern von Kindern mit Abitur haben das gesagt.
Das klingt, als machten Sie den bayerischen Eltern den Vorwurf, sich nicht stärker eingebracht zu haben.
Osthoff: Der Vorwurf geht vor allem an die Landeselternvereinigung. Viele Jahre lang hat die Landeselternvereinigung immer gegen das G 9 gewettert, sich deutlich dagegen positioniert – und dann trägt ironischerweise ausgerechnet eine Umfrage dieser Landeselternvereinigung zur Wiedereinführung des G 9 bei. Das ist schon ironisch. Aber es ist ja nicht zu leugnen, dass offenbar diese Umfrage vom Januar, bei der sich rund 80 Prozent der Eltern für eine Rückkehr zum G 9 ausgesprochen haben, bei den Regierenden eingeschlagen ist. Kurz danach hat sich ja dann der Ministerpräsident in den Entscheidungsprozess eingebracht.
Ihre Bilanz der G 8-Zeit?
Osthoff: Es war ein Experiment – ein Experiment mit unseren Kindern, das sicherlich nicht hilfreich war. Eine ganze Generation von Schülern musste da durch – mit negativen Folgen. Ich glaube, dass das G 8 den Jugendlichen die Fähigkeit ausgetrieben hat, sich in eine Sache zu vertiefen.
Wieso?
Osthoff: Ich sehe es immer wieder, wenn ich mit Jugendlichen oder mit jungen Studenten zu tun habe: Was fehlt, ist das Leistungskurssystem. Zugegeben, in den W-Seminaren des jetzigen G 8 schreiben die Schüler auch Seminararbeiten; verglichen aber mit den früheren Facharbeiten handelt sich es dabei nur um kleinere Hausarbeiten. Das Leistungskurssystem mit der Facharbeit brachte Schüler dazu, sich in ein Thema zu vertiefen und ihm auf den Grund zu gehen. Aus meiner Sicht ist es genau das, was den Menschen prägt: sich verbiestern, sich in etwas reinbeißen, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. Die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema ist eine Erfahrung, die Schüler gemacht haben sollten, bevor sie sich auf ein Studium einlassen.
Was lernt man denn dabei?
Osthoff: Durchhaltevermögen. Unter Umständen lernt man auch Scheitern. Grundsätzlich aber ist vor allem dieses Eintauchen in eine Materie wichtig – und diese Erfahrung konnten Schüler des G 8 mit seinem Bulimie-Lernen nicht machen.
Ein verbreiteter Vorwurf, der dem G 8 gemacht wird, ist, dass es die Kinder stark stresst.
Osthoff: Ich bin dem Gymnasium meiner Kinder nach wie vor stark verbunden, bekomme deshalb mit, was Abiturienten so machen. Ich sehe, dass der große Stress vermehrt dazu geführt hat, dass die Abiturienten nicht sofort das Studieren angefangen haben. Aus meiner Sicht ist das nicht grundsätzlich schlecht. Aber dass so viele Abiturienten notwendig eine Pause von einen halben oder einem ganzen Jahr zwingend gebraucht haben, weil sie nicht mehr konnten, das zeigt doch, dass die Belastung zu hoch war.
Den mit dem G 8 angestrebten Zeitgewinn durch ein Jahr weniger Schule gab es also Ihrer Meinung nach nicht?
Osthoff: Dadurch, dass viele Abiturienten eine Pause brauchen, ist der Zeitgewinn nicht da. Und andererseits – wenn die jungen Leute mit 17 Jahren direkt nach dem Abi ins Studium kommen und dann mit 23 ins Berufsleben, dann ist es der Wirtschaft, die ja damals enorm Druck fürs G 8 gemacht hat, auch nicht recht. „Zu jung, zu unreif“, heißt es dann.
Wirklich akzeptiert war das G 8 in den 13 Jahren seiner Existenz nie. Wie erklären Sie sich, dass diese Schulform in Bayern dann trotzdem so lange Bestand hatte?
Osthoff: Wir haben ein System innerhalb der Schule, das repressiv ist. Es gab ja kaum Lehrer, die sich wirklich trauten, den Mund aufzumachen. Ich kenne Schulleiter, die während ihrer Amtszeit wenig gegen das G 8 gesagt haben und danach gegen diese Schulform gewettert haben ohne Ende.
Was können Bayerns Eltern aus der Geschichte von Aufstieg und Fall des G 8 lernen?
Osthoff: Da lässt sich nicht viel lernen, es ist eine eher hoffnungslose Geschichte. Wenn man als Teil einer Bevölkerung nicht wirklich in der Lage ist, politisch etwas zu bewegen, dann ist das eher deprimierend. Wenn nicht ein Volksbegehren etwas bewirkt, sondern erst ein gewichtiger Politiker wie Seehofer kommen muss, um den Kurswechsel durchzubringen, dann ist das nach meinem Demokratieverständnis deprimierend. Und besonders deprimierend ist es, sich anzuhören, welche Argumente die CSU jetzt benutzt, um die Rückkehr zum G 9 zu rechtfertigen. Es sind meist die gleichen Argumente, die wir schon vor vielen Jahren vorgebracht haben.
Zur Person Daniel Osthoff, Jahrgang 1959, wurde in München geboren und ist in Würzburg aufgewachsen. Nach dem Studium der Germanistik und Romanistik an der Uni Würzburg hat sich Osthoff in Würzburg mit einem Antiquariat selbstständig gemacht. Nachdem zum Schuljahr 2004/2005 das G 8 in Bayern eingeführt wurde, hat Osthoff, Vater dreier Kinder, im Jahr 2005 ein Volksbegehren zur Wiedereinführung des G 9 initiiert. Es scheiterte; nur drei statt der erforderlichen zehn Prozent der Bürger trugen sich ein. Osthoff unterstützte 2014 auch das zweite, von den Freien Wählern initiierte Volksbegehren fürs G 9, das ebenfalls nicht durchkam. grr/Foto: Rauch