„Kapier ich nicht! Was heißt das denn?“ Diese Frage hört Stephan Kropf von der Berufsschule Ochsenfurt-Kitzingen kaum noch, wenn er eine „Ex“ austeilt. Kropf formuliert seine Stegreifaufgaben so, dass jeder Schüler sie versteht. Mit diesem Engagement steht er nicht alleine da. 16 Berufschullehrer aus der Region Würzburg setzen sich im „Netzwerk verständliche Sprache“ dafür ein, dass Arbeitsblätter, Infomaterialien und Tests rein sprachlich keine Hürde mehr darstellen.
Das an der Würzburger Don Bosco-Berufsschule angesiedelte „Netzwerk verständliche Sprache“, das im Oktober 2016 an den Start ging, ist ein deutschlandweit einmaliges Projekt. Zu den wichtigsten Zielen gehört die die Anpassung von Unterrichts- und Prüfungstexten für Berufsschulen. Gleichzeitig geht das Netzwerk aber weit über die berufliche Bildung hinaus. So gehört die Stadt Würzburg zu den wichtigsten Projektpartnern. Sie möchte die Kommunikation mit den Bürgern einfacher gestalten. Daneben schulen die Mitglieder des Netzwerks Ehrenamtliche und interessierte Bürger aus Würzburg, wie sie sich einfacher ausdrücken können.
Lehrer zum MItmachen animieren
An der Spitze des Projekts stehen Harald Ebert, Leiter der Don-Bosco-Berufsschule, und Christel Baatz-Kolbe, Leiterin der Würzburger Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe. Lehrerinnen und Lehrer zum Mitmachen zu bewegen, ist Baatz-Kolbe zufolge gar nicht so einfach: „Es gibt durchaus Bedenken.“ Ist es möglich, Texte deutlich zu vereinfachen, ohne dass am Inhalt geknabbert wird? Diese Frage taucht immer wieder auf. Die im Netzwerk integrierten Lehrkräfte konnten inzwischen an Dutzenden von Beispielen belegen: Ja, das ist sehr gut möglich.
Leicht allerdings ist es keineswegs, einen Text einfacher zu machen. Stephan Kropf zum Beispiel saß kürzlich vier Stunden über einem Text, den er für seine Schüler anpassen wollte. „Das Ganze beginnt damit, dass ich Füllwörter herausstreiche“, erläutert er. Dadurch wird der Text schon deutlich kürzer. Bei wiederholter kritischer Durchsicht fällt auf, wie viele weitere Wörter für den Inhalt völlig überflüssig sind, weil sie mit dem Kern der Sache nichts zu tun haben. Sie verwirren nur und machen Schülerinnen und Schüler, die nicht besonders sprachkompetent sind, schwer zu schaffen.
Textoptimierung ist eine Mammutaufgabe
In bisher fünf Textwerkstätten trafen sich Berufsschullehrer aus der Region unter Leitung von Rosi Joßberger von der Würzburger Don Bosco-Berufsschule, um Texte zu vereinfachen. Angesichts der Fülle an Materialien, die im Berufsschulalltag eingesetzt werden, bedeutet das Ziel „Textoptimierung“ eine Mammutaufgabe. Doch sie lohnt sich, meint Joßberger: „Wir tragen so zur Bildungsgerechtigkeit bei.“ Berufsschüler, die fachlich fit sind, sollen in Zukunft nicht mehr scheitern, weil sie sprachliche Probleme haben.
Natürlich müssen sich die Teenager an ihrem Arbeitsplatz ausdrücken können. Eine Friseurin etwa sollte imstande sein, mit einer Kundin zu plaudern. Ein Azubi in der Schreinerwerkstatt muss den Auftrag verstehen, den der Meister ihm erteilt. „Doch die Art und Weise, wie Texte, die in der Berufsschule verwendet werden, formuliert sind, ist oft weit entfernt von der Sprache, die später im Beruf gesprochen oder gelesen wird“, sagt Joßberger. Dies hat auch die Handwerkskammer, ein weiterer Partner im Netzwerk, erkannt. Sie ist momentan dabei, Prüfungsaufgaben „sprachsensibel“ zu gestalten.
Bessere Noten mit einfachen Texten
Eine erste Untersuchung bestätigte laut Michael Baden von der Don Bosco-Schule, dass Jugendliche immens davon profitieren, wenn Aufgaben einfach gehalten sind. „Der Unterschied beträgt ein bis zwei Notenstufen“, so der Lehrer für Bautechnik. Fünfer und Sechser mussten bei dieser Auswertung, an der sich 80 Schüler beteiligt hatten, kaum vergeben werden. Bis Juni läuft nun eine zweite, deutlich umfangreichere Untersuchung, in die 40 Berufsschulklassen in der Region integriert sind.
Weil das Netzwerk deutschlandweit einmalig ist, wird es von der „Aktion Mensch“ großzügig unterstützt. Fast eine Viertelmillion Euro fließen für drei Jahre nach Würzburg. Von diesem Geld konnte mit Annika Hörenberg eine feste Mitarbeiterin engagiert werden. Die 26-Jährige hat sich an der Uni in Freiburg zur Linguistin und zur Expertin für Deutsch als Zweitsprache ausbilden lassen. Im „Netzwerk verständliche Sprache“ schult sie Mitarbeiter der Würzburger Stadtverwaltung und der Caritas sowie ehrenamtlich engagierte Bürger.
OB Schuchardt als großer Unterstützer
Mit Oberbürgermeister Christian Schuchardt hat das Netzwerk einen großen Befürworter. „Oft wird den Menschen in der Kommunalverwaltung vorgeworfen, Fachchinesisch zu sprechen“, erklärte er unlängst im Behindertenbeirat. Dies soll in Würzburg bald der Vergangenheit angehören. Möglichst viele der 2900 Beschäftigten sollen befähigt werden, sich einfach auszudrücken. Dies gilt vor allem für Mitarbeiter, die mit Flüchtlingen, Obdachlosen, armen Menschen, Behinderten, Jugendlichen und Familien zu tun haben. Schuchardt: „Letztlich wollen wir es uns alle leichter machen.“
Aktionstage im Mai Zum Thema Sprache organisiert das „Netzwerk verständliche Sprache“ im Mai unter dem Motto „Sprache erleben“ Aktionstage. Auftakt ist am 9. Mai mit Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Am 22. Mai informiert das Blindeninstitut über „Leben und Lernen mit Taubblindheit“, am 23. Mai organisiert das Netzwerk selbst eine „Mini-Textwerkstatt“. Am 29. Mai veranstaltet das Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe eine Lesung in Leichter Sprache, am 30. Mai bietet die Karl-Kroiß-Schule einen Workshop zu Gebärdensprache und einfacher Sprache an. Alle Veranstaltungen finden von 18 bis 19.30 im Dauthendey-Saal des Würzburger Falkenhauses statt.