Seit zehn Jahren gibt es Tafelläden in Würzburg, sechs Ausgabestellen hat der Verein inzwischen. Für Erwerbslose, für Menschen mit schlecht bezahlten Jobs oder mit Minirente werden die Läden immer wichtiger. „Jede Woche kommen zehn weitere Haushalte aus Würzburg und den angrenzenden Gemeinden zu uns“, sagt Isolde Welbers vom Vorstand des Tafel-Vereins. Die Zahl, die sie nennt, spricht für sich: Die Würzburger Tafel versorgt derzeit rund 2300 Menschen.
Die Entwicklung überrascht. Haben wir nicht, wie es immer wieder heißt, eine gute Konjunktur? Sind Jobs und Lehrstellen angeblich nicht leicht zu haben? Doch offensichtlich profitieren bei weitem nicht alle von der positiven Entwicklung. Das jedenfalls lässt die Statistik des Tafelladens vermuten. „Zu Jahresbeginn haben wir 840 Haushalte mit rund 1700 Menschen versorgt“, sagt Isolde Welbers. „Im September war diese Zahl auf 1185 Haushalte hochgeschnellt.“
Immer mehr Leute haben also nichts davon, wenn die Produktion auf vollen Touren läuft. Wie das weitergehen soll? Das weiß sie nicht, sagt die Vorstandsfrau. Besser scheint die Situation nicht zu werden. Im Gegenteil: „Inzwischen kommen auch noch anerkannte Flüchtlinge zu uns.“ Sie seien ebenfalls berechtigt, bei der Tafel einzukaufen.
Dass es einmal so stark mit ihm abwärtsgehen würde, hätte Robert Müller (Name der Tafelkunden geändert) nicht geglaubt. Doch nach der Scheidung von seiner ersten Frau saß er mit einem Berg Schulden da. Damit hat nun vor allem seine zweite Ehefrau Irina Müller zu kämpfen. Robert Müller ackert, aber es kommt kaum etwas rum. „Er verdient bei einem Acht-Stunden-Job 1500 Euro“, schildert Irina. Das bedeutet: „Uns bleiben nach Abzug der Schuldentilgung, der Unterhaltszahlung für die Tochter aus erster Ehe und der Mietzahlung 150 Euro zum Leben.“
Sie selbst sei nicht faul, liebend gerne würde sie etwas zum Lebensunterhalt beisteuern, versichert Irina Müller. Doch ihre Jobchancen seien schlecht, bedauert die 42-Jährige. Dabei ist sie gut ausgebildet: In Russland arbeitete sie 15 Jahre lang als Lehrerin. In Deutschland aber wird ihr Zeugnis nicht anerkannt. Die verlockenden Waren, die Händler in ihren Schaufenstern auslegen und die sich zur Weihnachtszeit in den Regalen stapeln – für Familie Müller unerschwinglich. „Meine siebenjährige Tochter bräuchte dringend Stiefel“, erzählt Irina. Doch dafür reicht das Geld nicht: „Darum schrieb sie dem Weihnachtsmann im Internet und bat um einen Gutschein.“
Irina Müller sieht sich hilflos einem Schicksal ausgeliefert, dem sie nicht entrinnen kann. Ohne den Tafelladen könne sie ihre Familie gar nicht über die Runden bringen. Geld für Weihnachten gibt es nicht. Zum Glück stelle die Tochter keine Ansprüche, seufzt sie.
Ehrenamtliche, die Waren einsammeln und ausliefern, die Lebensmittel sortieren und sie den Bedürftigen geben, werden angesichts des Kundenzustroms dringend gesucht. 160 Menschen engagieren sich derzeit freiwillig im Tafelverein. Eine von ihnen ist Ellen Rendenbach. „Ich hätte gerne Toast“, sagt der Mann an der Brottheke. „Habe ich leider nicht da. Darf ich Ihnen ein Baguette geben?“, fragt die 70-Jährige. Das nimmt er gern. „Darf es eine Brezel dazu sein?“ Innerhalb der zwei Stunden, die der Laden an diesem Tag geöffnet hat, holen sich fast 100 Menschen Lebensmittel ab. Viele Wünsche werden erfüllt. Manche aber auch nicht.
„Es gibt nicht immer Nudel, Mehl oder Zucker“, sagt Roswitha Huppmann an der Ausgabestelle. Gemüse dagegen sei immer da. Immerhin. Karotten, Paprika und Kartoffeln werden stark nachgefragt. Auch Auberginen und Weißkohl sind begehrt und so gut wie immer vorrätig. Fleisch hingegen ist rar. Damit jeder einmal das, was nur in geringen Mengen vorrätig ist, ergattern kann, werden die Kunden blockweise einbestellt: Im 25-Minuten-Rhythmus kommen 25 Menschen an die Reihe. Die Blocks rotieren, so dass jeder mal ganz am Anfang drankommt, wenn die Auswahl noch größer ist.
Licht am Ende des Tunnels, was den Zuwachs an Tafelkunden anbelangt, kann Isolde Welbers nicht sehen. „Zum Glück holt nicht jeder Berechtigte jede Woche Lebensmittel bei uns ab“, sagt die Tafel-Vorsitzende. „Wäre das so, könnten wir die ganze Sache bald gar nicht mehr handhaben.“
Würzburger Tafel
Die Ehrenamtlichen der Würzburger Tafel leisten jede Woche 460 Stunden freiwillige Arbeit. Unter den Berechtigten, die sich für 1,50 Euro bei der Tafel versorgen dürfen, sind 550 Kinder und 320 Senioren über 65 Jahren. Der Anteil der Migranten ist hoch. Menschen aus 28 Nationen kommen zu einer der sechs Ausgabestellen. 50 Fahrer sammeln täglich mit drei Autos Lebensmittel ein und liefern Waren an 15 Einrichtungen wie die Bahnhofsmission, die Wärmestube, Frauenhäuser und Kindergärten aus. Wer das Team der Ehrenamtlichen verstärken möchte, wendet sich an Eugen Süssenguth, Tel. 0173-291 7641, oder Isolde Welbers, Tel. 0173-291 7393.