Eine leere Weinflasche in New York hat für große Freude und für Spannung in Würzburg gesorgt. Gefunden wurde sie, wie berichtet, bei Ausgrabungsarbeiten auf dem Gelände eines ehemaligen deutschen Biergartens. Der Bocksbeutel trägt das Schulterwappen des Bürgerspitals.
Sofort haben sich Weingutsleiter Robert Haller und sein Verkaufsleiter Thomas Hammerich ins Archiv des Spitals gestürzt, und sie wurden fündig. Eine alte Preisliste aus dem Jahr 1910 führt mit hoher Wahrscheinlichkeit jenen Wein auf, mit dem einst der Bocksbeutel von New York gefüllt war. Für Haller kommen eindeutig nur zwei Weine in Frage: ein Würzburger Stein des Jahrgang 1905 oder ein Würzburger Schalksberg des Jahrgangs 1904.
Ein 1897er Schalksberg des Spitals zeigt dasselbe, fein ziselierte Schulterwappen wie der in New York gefundene Bocksbeutel. Andere Füllungen haben das Siegel mit der flacheren Taubenform. Vernehmlich wurden damals Weine von der Leiste und Steinweine in den Bocksbeutel mit einem oder einem halben Liter Inhalt gefüllt. „Für uns ist das eine Supergeschichte“, freut sich Robert Haller.
Weinhändler aus Volkach?
Begeisterung hat der Fund auch in der Nachbarschaft des Bürgerspitals ausgelöst, bei der Familie Schwarzmann im Fränkischen Hotelgasthof „Zur Stadt Mainz“ in der Semmelstraße. Für die Wirtinnen Anneliese und Margarete Schwarzmann ist es mehr als naheliegend, dass einer aus ihrer Verwandtschaft den Wein nach New York importiert hat, der Weinhändler Johann Baptist Edmund Caspar Haupt. Er stammt aus der Familie Haupt/Schwarzmann, deren Stammsitz das alte Barockhaus neben der Kirche in Volkach ist.
In jungen Jahren ist Haupt nach Amerika ausgewandert und hat in New York mit seinem Geschäftspartner Georg Thee eine Weinhandlung gegründet. Im vergangenen Jahr erst hatte der amerikanische Ableger der großen Familie Würzburg besucht, was für die guten Kontakte in der Familie spricht.
Kaum dass Margarete Schwarzmann die Nachricht vom Würzburger Bocksbeutel ins Internet gesetzt hatte, hat sich auch schon ein Familienmitglied gemeldet, Dirk Weeldryer, ein Urgroßenkel des Weinhändlers. Er ist Anwalt in New York und Ahnenforscher der Familie, der vor 30 Jahren den Kontakt nach Franken wieder hergestellt hat. Er hat sich sogleich auf die Spurensuche gemacht und herausgefunden, dass die Weinhandlung gerade elf Gehminuten vom Fundort des Bocksbeutels entfernt liegt.
Bei der Nachforschung im Archiv ist man im Bürgerspital neben der Preisliste von 1910 auch auf einen historische Prospekt vermutlich aus dem Jahr 1928 gestoßen. Im Vorwort heißt es: „Die Weine des Bürgerspitals zum Hl. Geist hatten schon vor vielen Jahrhunderten einen Weltruf, sie fanden sich in Schlössern und Klöstern aller Gaue und auf den Tafeln fremder Fürsten. Sie haben ohne Gefährdung den Äquator passiert und wurden nach Dänemark und Schweden, England, Amerika, Ost- und Südafrika, Ostindien und Australen verschickt.“ Der jetzt in New York gefundene Bocksbeutel ist der erste handgreifliche Beleg für diese Exporte in alle Welt, nachdem im Krieg viele Dokumente zerstört wurde, sagt Thomas Hammerich.
Das Bürgerspital hat zum Bocksbeutel eine besondere Beziehung. Die älteste noch gefüllte Flasche in der Schatzkammer – sie enthält einen Traminer vom Stein – stammt aus dem Jahr 1893. Ein Ratsprotokoll der Stadt Würzburg und eine Urkunde aus dem Jahre 1726 berichten unter anderem: „Weil durch böswillige Machenschaften die Wirte in Stadt und Land leichte und weniger gute Weine unter die edelsten Weine, insbesondere den Steinwein, mischten, entstand seit längerer Zeit Schaden im Weinhandel“. Auf „gnädige, fürstliche Anordnung hin“ ließ der Stadtrat die im Keller des Bürgerspitals zum Hl. Geist lagernden Steinweine ab dem Jahrgang 1718 in Bocksbeuteln mit einem Maß Inhalt abfüllen und mit dem Stadtwappen versiegeln (verpetschieren). Der Preis für ein Fuder stieg daraufhin von 100 auf 500 Reichstaler.
Dem Beispiel des Bürgerspitals folgten die anderen Weingüter, und so wurde es allmählich Brauch, dass die fränkischen Edelweine sämtlich in Bocksbeutel gefüllt wurden. In dem Prospekt von 1928 ist aber auch die Rede von „unlauteren Elementen“, die auch ganz kleine Weine, die früher nur als Schoppenweine gingen, in Bocksbeutel füllten. „Daher bietet heute der Bocksbeutel an sich leider nicht mehr die Gewähr für einen hochwertigen Inhalt“ – hieß es schon 1928.
Wieder Weine in New York?
Noch etwas Bemerkenswertes fand sich in diesem Prospekt. Etwas, das der heutigen Qualitätsphilosophie der VDP-Weingüter entspricht: Der Verband der Prädikatsweingüter, zu dem auch das Bürgerspital gehört, hat sich vor kurzem von den oft missbrauchten Begriffen Kabinett, Spätlese oder Auslese getrennt und macht das, was der Prospekt von 1928 beschreibt: „Diese unberechtigten Bezeichnungen werden vielfach nur angewendet, um höhere Preise für geringe Weine zu erzielen. Beim Bürgerspital-Weingut aber kündigt das Flaschenschild schlicht und ehrlich nur den Jahrgang mit dem Lagennamen an, wenn es sich um wirkliche Auslesen handel . . .“
Am Fundort des Würzburger Bocksbeutels in New York soll ein großes Hotel entstehen und in der Nähe wohl eine Ausstellung mit den historischen Funden von der Baustelle. Diese alte Flasche wäre für Haller ein wunderbarer Botschafter des Würzburger Weines in Amerika, und so hat er den „sportlichen Ehrgeiz“, dass Weine des Bürgerspitals in diesem neuen Hotel ausgeschenkt werden, auch wenn der Export-Schwerpunkt des Spitals heute in China, Japan und Taiwan liegt.